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Die himmlische und die irdische Welt
ОглавлениеAristoteles teilte die Welt, oder besser gesagt den Kosmos, grundsätzlich in zwei völlig verschiedene Teile. Ausgangspunkt dieser Teilung waren einfache Beobachtungen, die jedermann jederzeit machen kann, damals wie heute. Wenn wir in einer sternklaren Nacht eine Weile an den Himmel schauen, vielleicht sogar eine Stunde oder mehr, so sehen wir, wie gleichmäßig und ruhig alle Bewegungen ablaufen, die wir dort bemerken können. Auch wenn wir diese Beobachtungen eine Nacht später wiederholen, wird es keine Überraschung geben. Alles läuft unglaublich regelmäßig ab. Bei genauer Beobachtung ist dann auch die Geometrie dieser Bewegung zu erkennen, Himmelskörper durchlaufen Kreise.
Im Gegensatz dazu das bunte Treiben auf dem Marktplatz am Tag danach: Wilde Bewegungen von Menschen und Tieren, scheinbar regellos und chaotisch, jede Stunde bietet ein anderes Bild, es ist praktisch unmöglich, auch nur die Bewegungen eines einzigen Menschen für eine Minute vorherzusagen.
Für Aristoteles war das Grund genug, die himmlische Welt streng von der irdischen zu unterscheiden, und für beide Regionen eine völlig unterschiedliche Gesetzmäßigkeit zu fordern: Die himmlische Welt war dabei vollkommen, regelmäßig und einheitlich, die irdische dagegen unvollkommen, chaotisch und zusammengesetzt.
Im Mittelpunkt des Universums ruhte für ihn die Erde, diese unvorstellbar große Kugel. Die Kugelgestalt der Erde war den Griechen ja schon seit Pythagoras bekannt; als Aristoteles lebte, gab es unter den Gebildeten darüber keinen Zweifel mehr.
Die Erde war aber nicht nur irgendeine Kugel, nein, sie war der größte Körper im Kosmos des Aristoteles, so unglaublich groß, dass es als völlig unmöglich galt, dass sie sich bewegen könnte. Und so wie es auch der bloße Augenschein ergibt, stellte sich Aristoteles vor, dass sich alle Himmelskörper um die Erde bewegen. Die Bahn, die diese Körper, also die Sterne und die Planeten, einschließlich der Sonne und des Mondes, nur annehmen konnten, war die Kreisbahn, und zwar nicht eine angenäherte oder ungefähre Kreisbahn, sondern eine geometrisch ganz exakte. Denn die himmlische Welt war vollkommen, und die einzige geometrische Figur, die vollkommen ist, ist der Kreis. Niemals könne ein Himmelskörper auf die Idee kommen, eine irgendwie von einem Kreis abweichende Bahn (z.B. eine Ellipse) zu beschreiben, denn dies würde seiner Vollkommenheit widersprechen.
Doch nicht nur die Bahn selbst musste vollkommen sein, auch die Bewegung auf dieser Bahn musste der Vollkommenheit genügen. Dies bedeutete, dass sich die Geschwindigkeit nie verändern und niemals ein Himmelskörper schneller oder langsamer werden durfte.
Und so bewegten sich im Kosmos des Aristoteles in steigender Entfernung Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn auf solchen Kreisen mit stets gleicher Geschwindigkeit um die Erde herum. Alles aber wurde umschlossen von einer ganz besonderen Kugelschale, der sogenannten Fixsternsphäre. An ihr dachte sich Aristoteles die Sterne festgeheftet („fixiert“), und diese ganze Sphäre rotierte dann an einem Tag um die ruhende Erde herum. Jenseits dieser Sphäre gab es nichts, keinen Raum, keine Materie, einfach nichts. Alle Himmelskörper bestanden nicht aus der gewohnten irdischen Materie, die Aristoteles sich aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer zusammensetzen ließ (wie bei Empedokles), sondern aus einem ganz eigenen, dem fünften Element (lateinisch quinta essentia), dem Äther. Dieses Element war – wie alles in der himmlischen Welt – vollkommen, daher unwandelbar. Es war außerordentlich dünn, viel dünner als Luft, und aus ihm gingen die übrigen vier Elemente hervor.
Abb. 4: Der Kosmos des Aristoteles
Die irdische Welt stellte sich Aristoteles zwar nicht so extrem geordnet wie den Himmel vor, doch auch hier herrschte eine natürliche Ordnung. Das Kugelschalenmodell des Himmels übertrug Aristoteles auf die Erde, und so kam er zu der Auffassung, dass sich die vier irdischen Elemente wie Kugelschalen aneinanderreihten. Bei Empedokles findet sich die entsprechende Grundlage dieses Denkens. Im Innersten des Universums war das Element Erde konzentriert, diese riesige, massive Kugel, unbeweglich und starr. Über dieser Kugel war dann eine Schicht von Wasser, darüber eine entsprechende Schicht Luft (die Atmosphäre) und schließlich gab es über der Luftschicht noch eine Schicht Feuer, noch dünner als Luft, aber dichter als der sich dann nahtlos anschließende Äther.
Dies wäre der Zustand in einer vollständig geordneten Welt, doch die irdische Region war nicht vollkommen, also war auch die Ordnung dieser Welt eine unvollkommene, sichtbar schon allein dadurch, dass es Kontinente und Inseln gibt, die das Element Erde weit aus dem Wasser schieben. Dies ist für die Einteilung der Bewegungen wichtig, die Aristoteles vorgenommen hat, wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden.
Hier sollten wir auch noch kurz darüber sprechen, was Aristoteles von den Atomen Demokrits und Platons hielt. Einfach gesagt: Nicht viel! Er erörterte die Theorien der beiden, verwarf sie aber. Für ihn war die Teilbarkeit von Materie ohne Ende möglich: Man könne zum Beispiel Wasser endlos weiter teilen, immer wäre es Wasser. Niemals würde man auf kleinste Teile, die Atome, oder gar auf winzige geometrische Körper, in diesem Fall Ikosaeder, treffen, egal wie klein der Tropfen Wasser auch würde. Die Materie bildete für ihn ein raumerfüllendes Kontinuum, daher gab es innerhalb des Wassers oder auch der anderen Elemente keinen leeren Raum, in dem sich irgendwelche Atome bewegen konnten. Einen leeren Raum konnte es nach Aristoteles nicht geben.