Читать книгу Equinox Paradox - Andreas Knierim - Страница 11
ОглавлениеFröhlichstes Pitchen
Geo hatte verwundert das schmerzverzerrte Gesicht des Pförtners Marcello di Costas zur Kenntnis genommen – Gesicht und Person ergaben zuerst kein Matching, wie man es aus James-Bond-Filmen mit Blinken und Piepen auf dem Bildschirm kannte.
»Das kann unmöglich der friedliche Marcello sein« dachte sich Geo. Bis er in das Gesicht von der Pförtnerin Eva schaute, die ihrerseits verwundert zurückblickte.
»Sagen Sie, Frau Schäfer, war das nicht gerade Marcello, der da so durch die Türe stürmte.«
»Ja, Herr Gadaa , das WAR tatsächlich Marcello« antworte die Empfangsdame gewohnt trocken. »Herr di Costas hat sich entschieden, heute seine Altersteilzeit anzutreten.«
Geo traute dieser Empfangsdame kein Fünkchen Ironie zu und verstand deshalb die Erklärung des Marcello-Abgangs nicht bis überhaupt nicht.
Intuitiv nahm er nicht den Expresslift, um ja keinem seiner Kunden zu begegnen – das brachte vor Pitches immer Unglück. Nichts schlimmer als Smalltalk, bei dem die Klienten Witze über die kommende Präsentation und die Qualität seiner Arbeit machten. Studiokunden durften den Protagonisten der nachmittäglichen Vorführung erst in der eigentlichen Sitzung zu Gesicht bekommen. Geo liebte diese Auftritte, im Geiste hörte er sich dazu römische Fanfarenstöße an: Geo Gadaa schreitet als Gladiator ins Colloseum, verbeugt sich vor dem Kaiser und lässt die Spiele beginnen.
Als er in der Geschäftsführungsetage ankam, sagte ihm sein Instinkt, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Der sonst so professionellen Freundlichkeit von Rachels Assistentinnen waren Gesichter der Orientierungslosigkeit à la Marcello-und-Eva-Empfang gewichen. Im Vorraum stand KEIN Nachmittagssnack! Und dort standen auch nicht die üblichen Vorstandsverdächtigen. Ganz klar: Geo hatte sich im Termin vertan. Was ja auch kein Wunder war, da die Präsentationen erst vor drei Tagen genau für Freitag anberaumt waren.
»Julie, was ist denn hier los? Wo sind unsere Freunde vom Vorstand?« fragte er die nächstgelegene Assistentin.
»Geo, gut, dass Sie da sind.«. Alle im Studio sprachen sich in freundlich-feindlicher Verbundenheit mit Vornamen und Sie an. »Hier ist das Chaos ausgebrochen.«
Julie war deutlich anzumerken, dass sie mit dem Wort Chaos erhebliche Schwierigkeiten sowohl in der Aussprache also auch mit der Existenz im vierundzwanzigsten Stockwerk hatte.
»Hätten Sie die Güte, das Chaos näher zu erläutern?« fragte Geo nach.
»Rachel ist eben hier erschienen, eine Stunde zu früh, notdürftig geschminkt und eher Wochenendlich gekleidet, wenn man davon überhaupt sprechen konnte.«
Keine Schminke, kein Businesskostüm. Und das, bevor zwei Pitches mit den momentan aussichtsreichsten Kandidaten über die Bühne gehen sollten? Rachel musste furchtbares durchgemacht haben und furchtbar hieß hier: Plötzlicher Tod von mindestens zwei näheren Angehörigen, Einbruch oder Brand im Penthouse oder alles gleichzeitig.«
»Also der Reihe nach Julie: Was ist genau passiert?«
»Zuerst einmal kam Rachel aus dem falschen Aufzug, die Pforte hatte mich nicht vorgewarnt. Wo ist verdammt noch mal überhaupt dieser Marcello? Dann stürzt sie an mir vorbei in ihr Büro. Wie immer zwar ohne Gruß, aber das erste Mal auch ohne den klitzekleinsten Anschiss.«
Hier kam Geo schon im Grübeln, »Anschiss« gehörte vielleicht in Julies Vokabular mit ihrer Kollegin aber doch nicht in die Konversation mit Productdesign-Directors wie ihn.
»Na ja, jeder hat mal einen schlechten Tag, auch Rachel.«
»Aber genau das ist doch das furchtbare: In meinen vier Jahren der Assistenz hatte Rachel nur schlechte Tage gehabt und mir das unmissverständlich mitgeteilt. Nur heute eben kein Wort. Das ist so schlimm« sagte Julie und eine Träne zeigt sich unter dem linken Auge – bereit, die 50-Euro-Wimperntusche aufzunehmen und in der geschminkten Wange eine dunkle und hässliche Straße zu asphaltieren.
»Okay, keine Panik. Julie, ich gehe rein« tröstete Geo und hielt über den vier Zentimeter dicken Teppich auf die Doppeltüre zu.«
»Das kann ich Ihnen nicht raten« waren die letzten Worte, die noch an sein Ohr drangen, eher er ins Allerheiligste trat. Ganz hinten, klein wie eine Stecknadel, konnte er in diesem Megabüro Rachel Rutenberg am Schreibtisch entdecken. Vor ihr standen: ein Obstkorb, ein Telefon und ein Glas - randvoll mit Whisky ohne Eis. Geo hielt inne, machte das imaginäre Erinnerungsfoto für die Studiobiografie, sucht einen Stuhl, fand keinen und stellte sich deshalb an die Ecke des Schreibtisches. »Hallo Rachel, wie geht es dir denn heute?«
»No time for Smalltalk, Geo. Auch ein Gläschen?« fragte Rachel und deutet auf den Vierfachen in ihrem Glas.
»Nein danke, du weißt, die Fahne macht sich in den Präsentationen nicht so gut.«
»Vergiss die Präsentationen, Geo, es geht um Leben und Tod. Und bei mir wohl eher um Tod.«
Rachel erzählte Geo den Traum der vergangenen Nacht, ganz entgegen ihrer Gewohnheit, emotionale Regungen einem ihrer Mitarbeiter auszubreiten.
»Wir sitzen im Meeting. Wie immer. Alle schauen auf mich und ich kann nicht sprechen. Es ist sehr schlimm. Mein Mund geht auf und zu, es kommt nichts raus. Nach einer Zeit des Schweigens schaue ich an mir herunter: Ich trage einen Anzug. Und es ist einfach so: Ich bin ein Mann. Abends liege ich zuhause im Bett und neben mir liegt noch ein Mann. Ich bin schwul! Verstehst du, Geo, ich bin schwul!«
Geo verstand: »Okay, ich vertrete dich heute. Wir erfinden eine Frauenausrede.«
Rachel war noch nicht fertig: »Das schlimmste ist: Ich kann mich an jede Einzelheit dieses furchtbaren Traumes erinnern, verstehst du? Jede Einzelheit! Und das ist mir in den letzten Jahren nicht mehr gelungen. Ich habe geglaubt, dass ich überhaupt nicht mehr träume. Verstehst du, Geo?«
Geo verstand weiterhin klar und deutlich: Die unbewussten Träume von Madame waren – ich bin ein Mann und schwul. »Am besten, du nimmst deinen Hinterausgang plus Lastenaufzug direkt runter zum Auto und erholst dich heute einfach mal, okay?«
Rachel nickte zuerst nur, sie konnte mit Erholung auch heute nichts anfangen. »Und wenn du Lasse Torbo in die Finger kriegst, zerquetsch' ihn. Ihm zuliebe habe ich an einem Donnerstagabend Champagner getrunken. Das hat wohl meinen Säure-Basen-Haushalt extrem durcheinander gebracht.«
»So, so« dachte Geo, »war das nun ein Versöhnungs- oder Abschiedschampagner gewesen?« Seine Erfahrung verbot ihm, laut danach zu fragen. Stattdessen antwortete er nur: »Jawohl, Boss, zerquetschen.« Er drückte den Daumen auf ihre Schreibtischplatte, bewegte ihn von Position Ein Uhr auf Vier Uhr und wieder zurück, stand auf, salutierte und verließ ihr Büro.
Der Snack im Vorraum war inzwischen notdürftig hergerichtet, die Vertreter der Unternehmen eingetroffen und ins Gespräch vertieft. Geo ging mit schnellen Schritten nach vorn, die Assistenten standen schon bereit.
»Meine Herren, Frau Rutenberg fühlt sich heute nicht wohl. Sie wissen schon. Aber Sie kennen mich ja: die De|Sign-Qualität ist bei allen Mitarbeiter gleich.«
Nicken bei den Beteiligten.
»Stellen Sie sich also folgendes vor ...«
Der 200-Zoll-LED-Schirm beflimmerte die Gesichter. Die Vorstellung des neuen Produkt-Designs, Tag- und Nachtwerk von einunddreißig Mitarbeitern in der abgelaufenen Woche, begann.
Der Ablauf dieses Pitchs, obwohl auf der ganzen Linie ein Erfolg, ließ nichts Gutes für den zweiten Pitch am späteren Nachmittag erwarten. Denn, das wusste Geo aus leidlicher Erfahrung, Kunden aus dem Düngemittelsektor hatten ein Hundertstel Humor wie die Shampoo-Vorstandsleute von eben.
In den Wörterbüchern der Führungskräfte, die Rachel für 16 Uhr bestellt hatte, kamen die Wörter »Ironie« oder »Sarkasmus« nicht vor, denn diese Entscheider waren in der Politik verflochten. Und die Politik kannte nur das brutal ernst gemeinte Wort und das war PR-porentief rein geschleudert und für sauber befunden.
Er entschloss sich, diesen Termin abzusagen und formulierte im Geiste schon einmal die Inschrift auf seinem Grabstein: »Hier ruht Geo Gadaa, erschlagen durch den Zorn Rachel Rutenbergs, geläutert durch den heiligen Designgott der Uncancelbarkeit von Kundenterminen.«
Tief im Unbewussten von Geo lagerte sich nach dieser Entscheidung die Erkenntnis an: Es sollten weitere Grabstein-Inschriften folgen, die einen Steinmetz rein von der Länge her überfordern und den Designgott vor unlösbare Aufgaben stellen würden.