Читать книгу Equinox Paradox - Andreas Knierim - Страница 8
ОглавлениеFree Suppe for all
Weinsteins Vermarktungsmaschine lief auf Hochtouren. Für ihn hätte es nicht besser laufen können. Lasse Torbo war heiß auf sein neues Produkt und als Testperson für Equinox prädestiniert. Ein idealer Multiplikator, der via Empfehlungsmarketing weitere Erstkunde anlocken würde. Die dann für entsprechendes Mengenvolumen sorgen und dann die, so wichtigen Wochenabsatzzahlen in die Höhe schnellen lassen würden.
Weinsteins Risiko lag einzig in der mangelnde Erprobung der Wirkung von Equinox. Das Headquarter in USA hatte in einer Vielzahl von Memos auf diesen Umstand hingewiesen, um sich abzusichern. Man darf sich den US-Drogenmarkt nicht als rechtsfreien Raum vorstellen, die Die Organisation Corp. beschäftigte schließlich zehn Anwälte in Vollzeit. Das Unternehmen garantierte für Wirkung seiner Produkte und hatte bei der klagefreudigen amerikanischen Klientel im Rahmen der Produkthaftung immer den einen oder anderen Prozess am Hals. »Wir sprechen hier aber von Markenprodukten, die schon lange im Bewusstsein der Konsumenten verankert sind und nur einer von hunderttausend Verbrauchern Probleme bei der Anwendung hatte« beruhigte sich Weinstein selbst.
In Europa war das mit Equinox ein ganz anderes Kaliber. Sicherlich: Es war es nicht das erste Mal auf dem hartumkämpften Markt der Designerdrogen, dass neue Produkte ohne Langzeit-Prüfung zum Kunden gelangten. In der globalen Welt standen alle Anbieter unter erheblichem Zeitdruck. Da wurden schon mal Testreihen verkürzt, schnell in den Markt gedrückt. In der Softwarebranche sprach man von »Bananenprodukten« - sie reiften beim Kunden. Bei Equinox konnte die Zentrale aber nicht eben mal mit kleinen Updates nachbessern, das sich automatisch und im Hintergrund im limbischen System ihrer Nutzer installierte.
War die Wirkung einmal da – und keiner kannte die Wirkung wirklich so genau – mussten vor allem die Verkäufer an der Front damit umgehen und Beschwerden managen. Natürlich waren Rückrufe möglich und Weinstein konnte mit Hilfe von Blackberry-Rundmails an seinen Verteilerring die ganze Ware wieder einsammeln lassen. Aber eben nur die Ware, die nicht schon geschluckt worden war. Was im schlimmsten Fall blieb, war ein Kollateralschaden, der möglichst geräuschlos und ohne viel Öffentlichkeit unter »Einzelfällen« in Krankenhäusern verbucht werden konnte. Und Weinstein kannte die Möglichkeiten von der Ärzte- bis zur Medienmanipulation auswendig, seine Kundschaft in diesen stressgeplagten Organisationen war schließlich reichhaltig.
Das Worst-Case-Szenario einer negativen Wirkung wollte Weinstein mit Hilfe von Lasse Torbo realistisch durchspielen. Torbo würde von ihm eine kleine Menge Equinox bekommen, Weinstein ihn an der kurzen Kommunikationsleine halten. Mehr Menge gab es nur für mehr Informationen über die Wirkungen.
In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag – der offizielle Launch-Termin für Equinox im Testmarkt Europa war zwei Tage später – sollte die erste Übergabe an Torbo erfolgen.
Weinstein höchstpersönlich hatte den Ort bestimmt und wie immer alles unter Kontrolle. Er machte aber, wie alle Kontroll-Freaks, den Fehler, sich die eigenen blinden Flecken nicht bewusst zu machen. Und ohne Bewusstsein waren diese auch keiner Analyse zugänglich. Zu Weinsteins blinden Flecken zählte die Zielperson Torbo, die er, aus Zeitnot, nicht komplett überprüft hatte und auch nicht observieren ließ. Er vertraute ihm einfach, vertraute seiner eigenen Intuition und projizierte sie auf Torbo. Und dies war sogleich Fehler Nummer zwei.
Wenn Kontroll-Freak auf Kontroll-Freak traf, gab es immer empfindliche Verluste, auf beiden Seiten. Lasse Torbo gab, zumindest in dieser ersten Runde, die Kontrolle nicht aus der Hand. Er nahm kein Gramm aus der ersten Equinox-Lieferung, wartete genau vierundzwanzig Stunden ab, um dann Weinstein zu kontaktieren.
»Hallo Dr. Weinstein, hier Torbo.«
»Danke, wie zuverlässig Sie sich verhalten, Herr Torbo. Hat es Ihnen gemundet?«
»Die Wirkung ist, wie Sie er versprochen haben, sen-sa-toi-nell. Sehr realistische Halluzinationen, zirka eine Stunde lang. Dann folgt ein extreme Schlafphase und am nächsten Morgen: nicht!« log Lasse.
»Was meinen Sie mit 'Nichts'«
»Na, kein dicker Kopf, kein schlechter Geschmack im Mund, kein cold turkey. Eher so ein fröhlicher Morgen nach fröhlichen Träumen.«
Weinstein war hoch zufrieden mit diesem Bericht, denn genau das brauchte seine Zielgruppe: ein schnellen Kick, tiefen Schlaf und das Aufwachen ohne Nebenwirkungen.
Lasse hatte ihn mit der vollen Breitseite belogen. Am Abend vorher war er mit einer Flasche Dom bei Rachel in ihrem Marco-Polo-Penthouse gewesen und um einen Abschiedstrunk gebeten. Mit seinem Blaue-Augen-Hundeblick selbstverständlich, für den sich sogleich Basset Arthur interessiert. Aber auch Rachel konnte nicht ablehnen und so hatten sie ein »Gläschen« getrunken. Frisch verstärkt mit Equinox, das Lasse in seiner Wirkung testen wollte. Und es hatte wohl gewirkt, denn Rachel war, entgegen ihrer Gewohnheit, noch nicht im Studio erschienen.
Lasse ging bei Weinstein in die Vollen »Heute bräuchte ich dann schon eine größere Menge. Wir planen eine kleine Studioparty, Sie verstehen?«
'Verstehen' war gar kein Ausdruck für Weinstein. Auf diesen Torbo war Verlass. Er hatte das schöne, neue Equinox nicht nur erprobt, er sorgte auch schnellstens für die Verbreitung. »Ich lasse ihnen, sagen wir mal, die zehnfache Menge von gestern zukommen?«
»Ausgezeichnet, Dr. Weinstein, ausgezeichnet« zitiert Lasse Torbo den skrupellosen Geschäftsmann Mister Burns aus Simpsons und machte in Gedanken dazu auch die typische Bewegung mit den spielenden Fingern.
Freitags gab es immer die kostenlose Suppe in der Kantine – ein Kommentar zur Armut in der Republik, ein Designkracher, erdacht von den Zyniker aus Stockwerk einundzwanzig, ganz im Sinne von De|Sign »ironisch gebrochen« an die Zielgruppe serviert. Natürlich handelte es sich bei der »Suppe« um ganz was Feines, um die Ironie auf die Spitze zu treiben.
Zwei Produktpräsentationen sollten am Freitag stattfinden - was für die Wirkung von Equinox ideal war. Doch die, gleichzeitig fantastische als auch zerstörerische »Sofortwirkung« kannten weder Lasse Torbo, weder Herbert Weinstein, noch das Headquarter der Organisation. Einzig ein kleines Chemielabor in Washington und mit ihm drei, auf höchster Geheimstufe eingeweihte Mitarbeiter wussten ganz genau, was sie taten und welche Wirkungen sie erzielen wollten.
Lasse bekam per Kurier die entsprechende Menge, mischte sie unter die frischgehackten Kräuter für die Tagessuppe in der Studiokantine und sorgte so für eine flächendeckende Verteilung.
Drei Köche streuten die Kräuter direkt am Ausgabetresen auf die fertige Suppe. Sie machten das so formvollendet, dass sogar die Mitarbeiter zugriffen, die eigentlich keine Suppe aßen.