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Arschloch

»Lasse, du bist so ein …..«

»Arschloch?«

Nola war einigermaßen beeindruckt, dass sich ihr »Freund« Lasse überhaupt dazu herabgelassen hatte, mit ihr diesen Ausflug in den Zoo zu machen. Jetzt versaute er ihr auch noch den finalen Auftritt und erriet ihre Lieblingsbezeichnung für Lover kurz vor der Exekution.

Lasses Hang zu zynischen Kommentaren war einer der Gründe, warum ihre Liebe erkaltet, warum alles verdorben war:

»Elefanten in Gefangenschaft, möglichst in der dritten Generation gezüchtet, verfallen in eine Art Lebenskoma und können trotzdem die Tagesroutinen vor Publikum durchführen.«

»Die Fische können uns nicht sehen, die Innenseite des Glases wirkt als eine Art Spiegel – sie sehen sich also nur selbst und sind erleichtert, unter Artgenossen zu sein.«

Das waren die noch harmlosen Bemerkungen, Lasse hatte vor, sich im Laufe des Nachmittages noch erheblich zu steigern. Dazu fehlte Nola die Kraft und sie schlug vor, eine Auszeit im Zoo-Café zu nehmen und ihre Beziehung, wie sich gerne ausdrücke, »zu thematisieren.«

Nur, Lasse hatte die Lust an diesem Thema schon vor Wochen, vielleicht auch schon vor Jahren verloren. Er lief im Laufrad seiner kleinen Hamsterwohnung, arbeitete sich voran – und doch wurde sein Fleiß nicht belohnt. Seine Besitzerinnen verlangten immer neue Kunststückchen, die er von Natur aus leider nicht beherrschte. Gerne wäre er ein One-Trick-Pony, das sein ganzes Leben lang eben nur den einen, dafür gekonnt ausgeführten, Trick kannte.

Wenigstens war das Trennungsgespräch im Zoo-Café mal etwas Neues. ER hatte den Mut aufgebracht und sich getrennt. ER konnte seine trockenen Tränen den Nashörner präsentieren, die ihn seltsamerweise trösteten. Es waren ja auch Nashörner und keine Krokodile. Vor Nola hatten in diesem Jahr von ihm auch Maike, Rafaela, Felice und Ella diverse Kunststückchen verlangt. Er hatte mit seinen treuen Hamsteraugen in die unerbittlichen Gegenüber geblickt, hilflos und überfordert.

Schluss damit, Lasse hatte sich entschlossen, Rache zu nehmen an den Dressurversuchen seiner Freundinnen. Speziell an einer, die ihn so eiskalt abserviert hatte, dass seine Wohnung noch tagelang die Betriebstemperatur eines Bofrost-Autos anzeigte: Rachel Rutenberg, Besitzerin des Studios De|Sign.

Dies eine Mal würde er ihr jeden Cent zurückzahlen, sie sollte für alle Nolas, Ellas und so weiter gleich mit büßen. Es gab eine Reihe von offenen Rechnungen, die Lasse jetzt eintreiben würde. Rachel musste bezahlen, noch diese Woche und hoffentlich das verlieren, was ihr am Herzen lag: ihren exzellenten Ruf.

Rachel hatte bei Lasse in den letzten sechs Monaten ihr Meisterwerk der Dressur vollenden wollen. Natürlich ging es um Macht, deshalb hatte sie sich die auch das Designstudio angeschafft. Vor allem Macht gegenüber Männern und die subtile Art und Weise, sie dort zu kränken, wo es Männer am meisten ausmachte – in der Arbeit. Im Hollywoodfilm hätte Rachel die dunkelhaarige Rivalin gespielt, die den Protagonisten zum Schluss an die Blondine verliert. Und genau das war ihr egal, sie legte es vielmehr darauf an. Kurz vor dem Verlieren holte sie meistens zum finalen Schlag aus und hinterließ ihre Männer als gescheiterte Existenz, die noch nicht einmal den Gang zum Rechtsanwalt wagten.

Lasse Torbo war ihr klassisches Beuteschema: Als sie ihn als Branding-Director einstellte, vereinte er alle Charaktereigenschaften, die sie zu brechen gedachte. Das eitle Kreative, das machohafte Herumkommandieren und die beleidigte Leberwurst waren die drei Lasse-Hydras, die Rachel je nach Gusto gegeneinander ausspielen konnte. Sie folgte einer perfiden Strategie - dass Lasse ihr Mitarbeiter war, gehörte immer zum Konzept.

Natürlich hatte sie gleich am Anfang mit ihm geschlafen, damit er sich in Sicherheit wiegte. Im Bett gab er bereitwillig Auskunft, wer im Studio schlecht über sie redete und wer hoffnungslos demütig war. Doch als Informationsquelle hatte Lasse schnell seinen Reiz verloren, er sollte heute der Prototyp ihres ausgefeilten Bossings werden – die Mobbingvariante, bei der der Chef der Böse ist.

»Herr Torbo, kommen Sie doch mal in mein Büro« sagte Rachel möglichst beiläufig und laut genug, dass alle im Großraumbüro es hören konnten.

Als Lasse die Tür, genauso hörbar für alle, hinter sich zuschlug, musste er sich sichtlich zusammennehmen: »Hey, Rachel, was soll die Siezerei und vor allem: dieser Befehlston?«

»Zu den Statuten eines Designstudios gehört nun mal der Umgangston« erwiderte Rachel, wohl wissend, dass sich alle im Studio duzen. Außer den Praktikanten, die waren in Augen der Festangestellten sowieso nur Inhuman-Kapital.

»Genug der Flötens, was kann ich für die werte Studioinhaberin tun?«

»Zuerst einmal solltest du deinen Textmist von gestern überarbeiten, damit wir unserem Kunden ausnahmsweise mal Qualität liefern.«

»Schön, dass wir wieder beim 'Du' sind. Ich kann mich leider nicht erinnern, jemals so etwas wie 'Mist' abgeliefert zu haben.«

»Lasse, nur weil wir miteinander schlafen, heißt das nicht, dass ich nachsichtig mit deiner Arbeit bin.«

»Nachsichtig, nachsichtig« äffte Lasse sie nach und fühlte sich leider wieder einmal an seine Mutter erinnert. Obwohl der Altersunterschied zwischen ihm und Rachel wohl ähnlich groß war.

»Das wäre doch jetzt einmal die Zeit für eine Spitze« dachte er sich und verwarf den Gedanken ob seines sichtlich schlechtgelaunten Bosses.

Rachel knallte seinen schönen Pappschilder mit den ausarbeiteten Entwürfen auf den Tisch, wiederum deutlich sichtbar für alle Angestellten, die das Pärchen im gläsernen Büro wie in einem Aquarium betrachteten. Rachels Ex-Lovers aus früheren Zeiten konnten die Dialoge im Geiste zumindest mitsprechen und genossen das Schauspiel, das Showdown, das unvermeidliche.

»Ja genau, Nachsicht, mein lieber Lasse, können wir uns bei der angespannten Marktsituation nicht erlauben.«

Lasse wusste, dass »mein lieber Lasse« nur der Anfang vom Ende sein konnte. In der Woche vorher war er noch »mein Süßer«, »mein Liebster« und kurz davor noch »Mein Hengst« gewesen. Dies Kosenamen-Zeit war wohl endgültig vorbei: »Und was soll ich deiner Meinung nach verändern, was genau ist 'Mist'?«

Eine strategisch unkluge Frage, denn Rachel erwartete bei dem Stichwort »Mist« normalerweise keine Nachfrage sondern Schwanzeinziehen.

»Mein lieber Freund«, schlimmer ging es jetzt nicht mehr, »du machst jetzt mal deine Hausaufgaben, sonst verlierst du diesen Kunden.«

Lasse wusste genau, dass seine Präsentation Extraklasse war, das Briefing des Kunden Punkt für Punkt abgearbeitet und dann kreativ gebrochen, dass allen im Meeting schon der Atem gestockt war. Er war jetzt Teil des Rachel-Spiels, gespielt auf der Bühne ihres Glasbüros. Keine Premiere, sondern eine Wiederaufnahme wegen des großen Erfolges. Aber diesmal sollte sich das Publikum wundern, denn er hielt sich nicht an seinen Text und den schnellen Abgang: »Hör zu Rachel, du weißt ganz genau, dass das hier Spitzenqualität ist, first flush. Ich glaube aber vielmehr, du willst mich hier abservieren. Der Kunde vertraut mir mehr als dir.«

Ein ungeschriebenes Gesetz der Organisation besagt: Wer Die Organisation in Frage stellt und das Schauspiel entlarvt, ist zum Abschuss freigegeben. Die Rolle »Aufklärer« wurde auf der Bühne nicht besetzt, selbst die systemische Unternehmensberater hatten sich vor Jahren von dieser Rolle verabschiedet und lieber weitere Rechnung geschickt. Warum Lasse das ihm bekannte, das allen bekannte, Gesetz brach, war wohl seinem Hang zum Risiko zuzuschreiben. Er gab alles, endlich einmal ein überraschtes Gesicht von Rachel Rutenberg, der eiskaltesten Lady des Designuniversums, zu sehen zu bekommen.

Und Rachel enttäuschte ihn nicht: »Da hat dir der Ruhm wohl die Sinne vernebelt« war zunächst alles, was ihr einfiel. Kaum drei Sekunden später aber noch dies, mehr im brüllenden Ton: »Und diesen Nebel, Herr Torbo, beabsichtige ich nicht zu lichten. Ich nicht!«

Sie öffnete die Tür und konnte gerade noch sehen, wie sich in den Gesichtern einiger ihrer Angestellten die blanke Angst zeigte: »Raus und raus heißt: Bis 14 Uhr haben Sie ihren Schreibtisch zu räumen.«

Da war Lasse dann doch überrascht: »Du feuerst mich, deinen besten Designer? Nur weil ich deine Eitelkeit gekränkt habe?«

Im gesamten Großraumbüro war eine sakrale Stille eingekehrt. Die Gemeinde in der De|Sign-Kathedrale hatte andächtig der Predigt ihres Herrn und Meisters gelauscht. Und da hatte ein Abtrünniger zum ersten Mal das Haupt erhoben und die Wahrheit verkündet. An Atmen war über einen längeren Zeitpunkt nicht zu denken!

Rachel spürte die Erwartungshaltung ihrer Mitarbeiter und sie machte das, was sie am besten konnte: Auf dem Höhepunkt der Emotionen den Saft abdrehen. Sie drehte sich leicht nach rechts und sagte zu einer ihrer Assistentinnen: »Frau Herford, bitte zeigen Sie doch Herrn Torbo unsere Auswahl an Pappkartons, die wir zu diesem Zweck bereithalten.« Dann drehte sie sich um, schloss die Tür und kehrte zu ihrem Schreibtisch zurück.

Für Lasse war die Situation längst nicht so souverän lösbar. Er hob die Hände gleichzeitig und sagte eher leise »Entschuldigt, Majestät, dass ich mein Talent in diesem Loch vergeudet habe. Ich werde beim nächsten Mal besser aufpassen.« Dann ignorierte er die dargebotenen Kartonalternativen und schritt von dannen. In seinem Büro angekommen, war der Plan schon geschmiedet. Eine, von ihm geliebte, Mindmap hatte schon ihre Krakenarme ausgebreitet und eine Fülle von Ideen an ihren Enden generiert.

Denn woran Rachel nicht im Traum dachte, sollte sich dennoch bewahrheiten: Lasse würde als erster Mann in einer langen Reihe von Männer Rache üben. Rache war von Studiobeginn an das Heimatgebiet von Rachel, schon wegen des klitzekleinen »l«-Anhängsels in ihrem Namen.

Lasse war auf diesem Gebiet neu, für ihn machte es aber, rein emotional, keinen Unterschied. Besser gesagt, nach einer Wartezeit von ein paar Tagen würde keiner seiner Kollegen mehr Verdacht schöpfen, dass ausgerechnet er, der treue und stille Lasse, der Auslöser des Chaos sein sollte.

Equinox Paradox

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