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Dr. Alois Alzheimer

»Ich versuche, mir die Schuhe zu binden. Die Schnürsenkel reißen immer wieder. Sie sind aus Spaghetti! Ich nehme neue Spaghetti und fädele sie ein, sie reißen. Ich verknote sie, sie reißen wieder. Ich schaffe noch nicht mal einen Schuh. Und ich muss dabei auch noch mit einer Frau sprechen, sie beruhigen und ihr sagen, dass ich alles im Griff habe.«

Für einen Menschen, dessen Lebenssinn im Erledigen von day-by-day-Terminen bestand, konnte das Vergessen des Tagesablaufes nur die totale Katastrophe bedeuten. Die schön aufgereihten Stunden, die schön aufgereihten Ereignisse und dazu die schön aufgereihten Namen ergaben für Geo Gadaa seinen Halt in der Welt. Und schützten ihn vor Sinnlosigkeit des Daseins und Depression. Denn seine Assistentinnen schafften immer neues Material heraus, das Geo als Meetingmaschine mit dumpfen Stampfen verarbeitete.

Ohne klare Struktur gab es keine Existenzberechtigung für Geo im Räderwerk des Designs. Und genau diese Struktur verlor sich gerade mit sanfter Regelmäßigkeit in der Unendlichkeit des Vergessens. Auch deshalb wurden aus Schuhbändern plötzlich Spaghetti und aus Spaghetti der hilflose Versuch, die Welt wieder zusammen zu binden.

Geo wachte mit einem Krampf in der Wade auf. Langsam versuchte er, das Bein auszustrecken. Nur unter Schmerzen gelang ihm das. Als es vollbracht war, fühlte er Genugtuung. Er hatte seinen Körper mit seinem Willen besiegt, sich bereit gemacht für einen neuen Tag und für den Kampf gegen das Vergessen.

»Mein Gott, es wird schlimmer«, dachte Geo, »ich vergesse immer mehr.«

Schon länger hatte er seine Termine nicht mehr im Griff, schaute morgens einfach auf sein Blackberry, um die Updates seiner Treffen zu sichten. Nur: Für ihn waren das keine Updates, seit einer Woche kam es ihm so vor, als ob jedes Meeting in seinem elektronischen Terminkalender ganz neu war.

»Verdammt, wer ist das noch mal?« fragte er seine Assistentin und ärgerte sich gleich über seine Frage.

»Fenick & Truggles sind Headhunter, die einige Dienstleistungen neu positionieren wollen«, antwortete Julie pflichtgemäß.

»Fenick, Truggles, Headhunter, Dienstleistungen?«, so ging der Nebel durch seinen Kopf.

»Ich habe noch nie, ich schwöre, noch nie etwas von diesen Dingen gehört« wollte er gerade zu Julie sagen und konnte sich gerade noch bremsen. Doch es war die reine Wahrheit und das war die eigentliche Tragik, denn Geo Gadaa war für feine Ironie in seinen Kommentaren bekannt.

Natürlich hatte er im Internet recherchiert und natürlich war er auch Alzheimer gestoßen. Das erschreckende Ergebnisse in einer Newsgroup lautete: Alzheimer ist nicht immer eine Alterserkrankung, sondern kann auch schon ab dreißig auftreten.

»Ab dreißig«, dachte Geo und genau das war das Problem, denn Geo hatte gerade seinen vierunddreißigsten Geburtstag gefeiert. Zusammen mit seinen Freunden, die sich komplett tot lachten über seine Ängste, er leide »an dieser Krankheit, dessen Namen ich gerade vergessen habe«. Was sie nicht wussten: Auch sein Vater hatte Alzheimer gehabt und war damit im Laufe von fünf Jahren ins Nirwana der Gedankenlosigkeit verschwunden.

Im Online-Krankheitsbild hatte Geo Gadaa nachgelesen, das das Vergessen langsam einsetzt, genauso war es. Am Anfang war es noch lustig gegenüber Geschäftsfreunden, bestimmte Dinge zu vergessen. In der nächsten Phase folgten sein schamhafte Verdecken der Gedächtnislücken und schließlich das panikhafte Nachfragen bei Assistenten und Nachschlagen auf seinen Facebook- und Xing-Accouts. Gesichter sorgten bei ihm nicht mehr für den Widererkennungsreflex, Namen schaukelten im Wind wie vergessene Wäsche auf der Leine. Ja, langsam hatte das eingesetzt, wenn man eine Woche als »langsam« bezeichnen würde.

Geo musste sich jemand anvertrauen, der ihn nicht gleich auslachen würde. Auf die Schnelle fiel im leider dazu gar keiner ein. Denn das Designgeschäft war ein einsames. Jeder kämpfte gegen jeden, survival of the fittest. Hatte man einen Kollegen als Freund gefunden, verlor man seinen Biss, wurde nachsichtig und, zack, machte Fehler. Fehler waren in seinem Studio keine Punkte auf der Tagesordnung. Die Agenda verzeichnete Erfolge, Erfolge, Erfolge – in dieser Reihenfolge.

Dieser Morgen steigerte Geos Leidensdruck auf neue Höhen: Beim Bäcker war ihm schon nicht mehr das Wort für Mohnbrötchen eingefallen. In den Geschäften waren alle auf diese neue asiatische oder auch amerikanische Art und Weise freundlich zu ihm. In seinem neuen Zustand empfang er es aber nicht aufgesetzt, sondern freute sich über diese Freundlichkeit: Die Stewardess, die ihn zudeckte, die Frau im Call-Center, der Studiopförtner. Das war für ihn alles, was zählte.

Die elektronische Erinnerung war sein Rettungsanker, die Geo über den Tag half und, pling, den nächsten Termin anmahnte. Im Kalender hatte er inzwischen auch schon Frühstücken und Mittagessen eingetragen, er vergaß einfach alles. Nicht nur das: Gut war auch, nach einem Termin das Erledigt-Häkchen anzuklicken - so wenig konnte er sich am nächsten Tag erinnern, ob das Meeting überhaupt stattgefunden hatte.

»Kein Zweifel«, dachte Geo, »ich bin wirklich krank.«

Und sein Apotheker würde diesmal keine Idee für eine Pille haben, das war zumindest mal klar.

Equinox Paradox

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