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Die Chefin

Eine Frau in der Führungsposition ist für Männer immer eine Herausforderung, bei der Organisation galt dies im Besonderen. Dealer waren nun mal meistens Männer, warum eine Frau ganz oben? Die Chefin hatte sich den Chefbonus durch den Umstand einer knallharten Drogenkarriere erworben. Wobei diese Karriere im eigentlichen Sinne zu verstehen ist, denn sie hatte nichts ausgelassen, was sich in Körperöffnung stecken oder schnupfen, was sich unter die Haut spritzen ließ. Ihr Überleben glich einem Wunder der Medizin, mehrmals auf der Intensivstation von fähigen Ärzten bestätigt und in vielen Akten dokumentiert. Wer sie als Fall hatte, schrieb darüber einen Fachartikel, die Datenbasis war einfach zu gut.

Auf dem Weg des kalten Entzuges hatte sich Die Chefin vor fünf Jahren entschlossen, aufzuhören und anzufangen. Wobei »entschlossen« eine schöne Formulierung war, denn Entschlüsse hatte sie damals nicht mehr treffen können. Das hatte ihr Mann getan: die Einweisung in die Klinik, die Zahlung sämtlicher Rechnungen und schließlich die Scheidung nach ihrer erfolgreichen Heilung. Sie hatte genau 15 Monate und vier Tag dafür gebraucht, dokumentiert in besagten Akten und begleitet in einem Tagebuch, nach dem sich jeder Verleger die Finger lecken würde.

Sie war geheilt, Drogen spielten in keiner Faser ihres Körpers und ihres Geistes eine Rolle mehr. Leider auch sonst nichts mehr, die Heimat der Gefühle hatte sich nicht eingestellt. Ihrer Leere waren keine Menschen gewichen, die sie liebten. Geliebt zu werden, schien ihr unerreichbar und auch undenkbar. Denn Liebe bedeutet immer, sich ein bisschen selbst aufzugeben und den anderen in das eigene Leben hereinzubitten. Das hatte sie den vielfältigen Substanzen erlaubt und teuer bezahlt. Wenn Liebe nicht mehr infrage kam, wäre Hass doch eine Lösung, beschloss das Die-Chefin-Unbewusste und ebnete so den Weg einer zweiten Drogen-Karriere, der sensationellsten in der Geschichte der Organisation – vom Junkie zur Vorstandsvorsitzenden, an den Schaltstellen der Macht.

Ihre Chefchefs im Aufsichtsrat waren bestens über ihren Lebenslauf informiert. Sie hatte mit den exzellentesten Profilern dafür gesorgt, dass in ihren Papieren nur die Fakten vorkamen, die für einen Vorstandsposten auch relevant waren. Fünf Jahre Junkie-Business und eineinhalb Jahre Entzug zählen nicht dazu, dafür aber gefakte Diplome aus St. Gallen und erfundene Referenzen vorheriger Arbeitsgeber.

Die Chefin machte sich eine Eigenart von Menschen zu nutze, die vor Entscheidungen stehen: Männer waren von ihrer Attraktivität beeindruckt und blendeten all das aus, was eben nicht in das Bild dieser Karriere-Frau passte. Nur 30 Sekunden nach einem Zweifel verbleiben dem Gehirn, diesen Zweifel als solchen auch wahrzunehmen und in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. In ihrem Fall war eine Vielzahl von 30-Sekunden-Zweifeln im Desktop-Papierkorb der Aufsichtsrat-Gehirne gelandet und dort unwiederbringlich gelöscht worden.

Die Organisation sorgte in der Führungsriege nur für die besten Besetzungen, es waren schließlich Filialen in 56 Ländern punktgenau zu steuern. Die Chefin hielt dieses Steuerrad auf der Brücke fest in der Hand, täglich gespeist mit ihrem Hass auf ihren Ex-Mann, die Ärzte, die Dealer, die Junkies und die Welt. Ihr Posten in der Führung eines Drogenkartells ermöglichte das Management ihres grenzenlosen Hasses auf der Basis von Top-Down-Entscheidungen: Die Chefin beschloss und ihre Mitarbeiter führten aus.

So wie Weinstein, der in Europa im Moment eine hervorragende Leistung erbrachte. Sie wertschätzte ihn dafür und sagte ihm das gerne in den Quartalsmeetings. Und sie verachtete ihn dafür, dachte das aber nur an Rotwein-Abende in ihrer Loft.

Nun tat sich zwischen ihrer wertschätzenden Führung und verachtenden Haltung gegenüber ihren Mitarbeitern eine Authentizitätslücke auf, die sie nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte. Trotz intensivstem Training entglitt ihr die Körpersprache der routinierten Chefin, auf der Damentoilette sah sie in das Gesicht des Jokers, des Batman-Rivalens, des Bösewichts, der befriedigt die Welt untergehen sehen wollte.

Die bösen Grundwerte mussten in die Tiefen ihrer Psyche zurückbefördert werden und dafür, das wusste sie nur zu genau, war zuerst die Beförderung nach oben angesagt. Die Chefin hatte während ihres Entzuges keine Therapeuten an sich heran gelassen, die Angst der Entdeckung ihrer inneren Leere war ihr Schutz für das Überleben in der Außenwelt gewesen. Die diversen Coaches waren nicht zu ihr vorgedrungen, trotz Flipchart-Schlachten und Selbsterfahrungsübungen. Sie hatte die Kontrolle behalten und jetzt verlor sie diese Kontrolle, Entlastung war wahrscheinlich nur über Öffnung der Seele zu erreichen – sie verabscheute diese Formulierung und musste sich ihr trotzdem stellen.

Wie immer ging sie akribisch bei der Suche vor und entschied sich für eine Frau, die mit richtigen Diplomen (das hatte sie überprüft) schon jetzt den Ruf einer Meisterin der Psychoanalyse genoss: Dr. Cristin Bonnet.

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