Читать книгу Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern - Andreas Minkoff - Страница 51
II. Kontroll- und Überwachungspflichten
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Während damit den Geschäftsführungsorganen einer Konzernobergesellschaft ein Ermessen bei der Frage eingeräumt wird, wie weit Konzernleitungsmaßnahmen reichen müssen, rücken damit in der Folge weitere Pflichten in den Fokus. Denn nicht in völliger Deckung mit der Frage des Eingriffs in die Führung der Tochtergesellschaft ist die Frage zu beantworten, wie weit diese zu kontrollieren und zu überwachen ist. Während also bei der Frage der aktiven Konzernleitung ein Ermessen über die Reichweite der Leitungsmaßnahmen gewährt wird, kann dies nicht gleichermaßen für die Kontroll- und Überwachungspflichten gelten.[1] Aufgrund der Pflicht, das eigene Unternehmen vor Risiken und Schäden zu bewahren, kann die Kontrolle und Überwachung der Tochterunternehmen vielmehr notwendige Voraussetzung des ordnungsgemäßen Ermessens der Leitungsorgane hinsichtlich der aktiven Führung der Tochtergesellschaft durch die Obergesellschaft sein.[2] Sofern Konzernobergesellschaften für Verbindlichkeiten der Untergesellschaften einzustehen haben, ist diese Notwendigkeit der Überwachung evident. Darüber hinaus sind die Interessen der Konzernobergesellschaft und gegebenenfalls weiterer Konzerngesellschaften aber auch abseits von primären Fiskalinteressen zu wahren. So können etwa Pflichtenverstöße und Gesetzesübertretungen nicht nur zu direkten Vermögenseinbußen führen, sondern durch Sekundärschäden wie etwa Reputationsbeeinträchtigungen erhebliche Nachteile für den gesamten Konzernverbund und damit vor allem auch für die Konzernobergesellschaft mit sich bringen.[3] Der Kontrolle und Überwachung von Tochtergesellschaften kommen damit für den Gesamtkonzern, wie aber auch für jede einzelne Konzerngesellschaft – und damit freilich auch für die Konzernobergesellschaft –, erhebliche Bedeutung zu.
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Um derartige Risiken zu verhindern, muss bereits abseits von Konzernen auf Ebene eines Einzelunternehmens eine Organisationsstruktur etabliert werden, die Gesetzesübertretungen im eigenen Tätigkeitsbereich verhindert.[4] Unter dem Begriff Corporate Compliance wird diese Aufgabe zusammengefasst, die Unternehmen in Deutschland zunehmend beschäftigt und fordert.[5] Ausgangspunkt dieser Entwicklung war der Finanzsektor, wo bereits Anfang der Neunzigerjahre auch deutsche Finanzinstitute mit der Implementierung von Compliance-Organisationen begannen, um die Einhaltung der für Wertpapierdienstleistungen geltenden Regelungen sicherzustellen.[6] Nach der Jahrtausendwende erlangte Compliance dann auch für Unternehmen abseits des Finanzsektors zunehmende Bedeutung. Wesentlicher Entwicklungstreiber waren dabei vor allem für Unternehmen mit Bezug zu den USA Neuregelungen des dort geltenden Kapitalmarktrechts, die in Folge aufsehenerregender Unternehmenszusammenbrüche verabschiedet wurden.[7] Spätestens mit der vielbeachteten Aufdeckung der Korruptionsaffäre um den Siemens-Konzern im Herbst 2006 und deren Folgen rückte Compliance dann auch in Deutschland auf breiter Front und unabhängig von einzelnen, speziell regulierten Branchen in den Fokus von Wissenschaft und Praxis.[8] Gleichwohl die Frage nach der Rechtspflicht zur Implementierung entsprechender Systeme nicht abschließend geklärt ist,[9] kann sich nach heute wohl allgemeiner Ansicht kein Unternehmen mehr leisten, den Themenbereich Compliance auszublenden.[10] Getrieben durch umfassende öffentliche Diskussionen und eine stetig sich intensivierende Verfolgungspraxis versuchen Unternehmen, Haftungsrisiken durch die Implementierung entsprechender Präventionsstrukturen zu minimieren.[11]
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Eine klare Eingrenzung des mit dem Begriff Compliance umfassten Pflichtenkatalogs oder gar dessen dogmatische Verankerung ist trotz einer unübersehbaren Flut an Veröffentlichungen[12] dabei bis heute nicht gelungen, die Schaffung einer neuen und eigenständigen „Schublade“ mitunter aber auch gar nicht erforderlich. Derartige Ansätze versuchen, das Phänomen Compliance als neues Rechtsgebiet mit klar umrissener Kontur zu etablieren. Vielmehr aber muss Compliance – und dies deckt sich mit der Umsetzung in Praxis und Wissenschaft gleichermaßen – als Summe der Präventionsmaßnahmen verstanden werden, die Gesetzeskonformität mit Regelungen aus zahlreichen und bisweilen sehr unterschiedlichen Bereichen gewährleisten sollen.[13] Damit wird auch der Weg zur Ermittlung der Rechtsgrundlage von Compliance vorgezeichnet. Denn wenn es dabei um die Aufgabe geht, Gesetzeskonformität als solches herzustellen, dann ist auch „das Gesetz“ – in diesem Sinne verstanden als Summe aller Normen des kodifizierten Rechts – als Rechtsgrundlage der Compliance anzusehen.[14] Dennoch ist Compliance weitaus mehr, als das – unspektakuläre, weil selbstverständliche[15] – Gebot, nicht gegen die Rechtsordnung zu verstoßen.[16] Vielmehr gibt Corporate Compliance der Unternehmensleitung auf, durch aktive Maßnahmen eine Struktur zu etablieren, die Übertretungen verhindert oder jedenfalls erschwert.[17] Die eine Rechtsgrundlage für das Gesamtphänomen Compliance kann es aufgrund der aufzeigten Konturlosigkeit damit nicht geben. Vielmehr finden sich in verschiedenen Rechtsbereichen Regelungen, die Aufsichts- und Kontrollmaßnahmen zur Vermeidung von Rechtsverstößen – je nach Norm mehr oder minder konkret – verlangen und damit den Zweck von Compliance in kleinen oder großen Teilen decken. Diese Normen rücken richtigerweise in den Vordergrund, wenn um das dogmatische Fundament von Compliance diskutiert wird.[18] Sie finden sich in spezialgesetzlichen Regelungen gleichermaßen wie in allgemein gültigen Normen.[19]
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Gleichwohl diese Regelungen als rechtliche Grundlage der Compliance teils seit vielen Jahren und Jahrzehnten bestehen, greift es zu kurz, Compliance als alten Wein in neuen Schläuchen zu bezeichnen.[20] Die Entwicklung der Rechtswirklichkeit und dabei vor allem der Verfolgungspraxis der – auch ausländischen – Behörden haben den genannten Normen eine neue Bedeutung verliehen und Unternehmen damit vor die Aufgabe gestellt, den vielseitigen und unterschiedlich begründeten Anforderungen erstmals durch ein gesamtkoordiniertes und systematisches Vorgehen unter Anpassung der Unternehmensprozesse zu entsprechen.[21] Compliance resultiert damit aus der Bündelung von normierten Anforderungen, denen jeweils für sich betrachtet in der Vergangenheit weitaus geringere Bedeutung zukam oder jedenfalls zugemessen wurde. Und die hieraus entstehenden und unter dem Begriff der Compliance zusammengefassten Pflichten stellen in ihrer ganzheitlichen Betrachtung in der Tat eine – nunmehr nicht mehr ganz – neue Herausforderung für Unternehmen dar, womit die gesonderte Aufarbeitung der Problematik Compliance und der sich dabei stetig neu entwickelten Problemfelder auch in dem bekannten Umfang durchaus angezeigt ist.[22] Die im weiten Sinne wirtschaftsstrafrechtlichen Komponenten haben zu der rasanten Entwicklung sicherlich entscheidend beigetragen, wenn erst durch finanziell drastische Sanktionierung auch auf gesellschaftsrechtlicher Ebene Fragen zu möglichen Kompensationen aufkamen. In diesem Zusammenhang kommt der Regelung des § 130 OWiG große Bedeutung zu. Sie stellt den Anknüpfungspunkt zur ordnungsrechtlichen Ahndung mangelnder Aufsicht im Unternehmen dar und wird daher auch als „zentrale strafrechtliche Compliance-Norm“ bezeichnet.[23] Doch auch im Gesellschaftsrecht finden sich Anknüpfungspunkte für den Bereich der Compliance. Insofern gewinnen die an dieser Stelle der Untersuchung im Fokus stehenden Überwachungs- und Kontrollpflichten an Bedeutung, die nicht nur im Einzelunternehmen, sondern auch im Konzernverbund zu berücksichtigen sind.