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1. Gesellschaftsrechtliche Überwachungspflichten im Einzelunternehmen

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Für die Begründung gesellschaftsrechtlicher Überwachungspflichten herangezogen wird auf Ebene des Einzelunternehmens etwa die allgemeine Leitungsmacht des Vorstandes gem. § 76 AktG, aus der zugleich eine Leitungspflicht entwächst.[24] Es steht dem Vorstand eines Einzelunternehmens damit nicht frei, seine Leitungsaufgaben wahrzunehmen. Hierzu ist er vielmehr verpflichtet.[25] Zu der Unternehmensleitung gehört dabei auch die Kontrolle und Überwachung.[26] Daraus wird bereits an dieser Stelle die Pflicht des Vorstandes aus § 76 Abs. 1 AktG abgeleitet, durch Wahrnehmung von – mehr oder weniger ausgeprägten – Compliance-Maßnahmen Übertretungen im eigenen Unternehmen zu verhindern oder jedenfalls zu erschweren.[27]

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Eine besondere Konkretisierung dieser Pflichten findet sich in § 91 Abs. 2 AktG. Danach hat der Vorstand ein Überwachungssystem einzurichten, das es ermöglicht, den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh zu erkennen. Da die Regelung sich ihrem Wortlaut nach auf die Vermeidung existenzgefährdender Entwicklungen beschränkt, ist die Norm für sich allein allerdings nur unzureichende Rechtsgrundlage umfassender Compliance-Systeme zur Vermeidung sämtlicher – und damit auch nicht existenzgefährdender – Pflichtverstöße.[28]

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Compliance-Pflichten ergeben sich überdies aus der Legalitätspflicht jedes Vorstandsmitglieds.[29] Danach haben die Geschäftsführungsorgane sich bei der Ausübung ihrer Tätigkeit stets gesetzestreu zu verhalten.[30] Dies gilt auch dann, wenn gesetzeswidriges Verhalten im konkreten Einzelfall scheinbar förderlich für die Gesellschaft wäre.[31] Das unternehmerische Ermessen kann damit nur innerhalb der geltenden Rechtsordnung Entfaltung finden.[32] Die Pflicht zur Rechtstreue beschränkt sich dabei nicht auf das eigene Verhalten des Vorstandes, vielmehr hat die Geschäftsleitung jedes rechtswidrige Verhalten innerhalb eines Unternehmens zu unterbinden.[33] Hierfür hat sie etwa für die ordnungsgemäße Auswahl, Einweisung und Information der nachgeordneten Mitarbeiter und zudem für die Einführung einer Überwachungsstruktur zu sorgen.[34] Die Legalitätspflicht gilt als Bestandteil der allgemeinen Sorgfaltspflichten aus § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, wonach der Vorstand im Rahmen der Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenshaften Geschäftsleiters walten zu lassen hat.[35] Resultiert aus mangelhafter Aufsicht ein Vermögensschaden der Gesellschaft, droht dem Vorstandsmitglied eine Inanspruchnahme gem. § 93 Abs. 2 AktG.[36] Nach der vielbeachteten ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH ist der Aufsichtsrat dabei grundsätzlich auch verpflichtet, entsprechende Ansprüche zu prüfen und gegen den Vorstand gem. § 112 AktG durchzusetzen.[37] Bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung ergibt sich eine entsprechende Ersatzpflicht des Geschäftsführers aus § 43 Abs. 2 GmbHG. Für die Geltendmachung ist hier gem. § 46 Nr. 8 GmbHG die Gesellschafterversammlung zuständig.[38]

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Als weitere Grundlage für die Etablierung einer unternehmensweiten Präventionsorganisation wird schließlich die Schadensabwendungspflicht herangezogen, wobei diese nicht isoliert von der Pflicht zur sorgfältigen Geschäftsleitung aus §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG gesehen werden kann, sondern dieser vielmehr entspringt.[39] Es ist danach Aufgabe des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, jedwede Schäden von der Gesellschaft abzuwenden.[40] Gleiches gilt für die Geschäftsleitungsorgane im Rahmen der übrigen Gesellschaftsformen. Sofern Pflichtverstöße etwa durch Bußgelder, Ersatzansprüche oder Reputationsschäden Nachteile für die Gesellschaft mit sich bringen, haben die Geschäftsleitungsorgane damit die Maßnahmen zu ergreifen, die für eine Vermeidung etwaiger Verstöße hilfreich sind.[41]

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Das Verständnis, die ordnungsgemäße Leitung eines Unternehmens umfasse auch die Wahrnehmung von Compliance-Maßnahmen, deckt sich überdies mit den Bestimmungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK).[42] Dort ist in 4.1.3. DCGK geregelt: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“ Zwar kommt dem Kodex selbst kein unmittelbarer Gesetzescharakter zu,[43] nach dem Verständnis der Kodexkommission soll er jedoch an dieser Stelle die Gesetzeslage beschreiben.[44]

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Die Verbindung der aus §§ 76, 93 AktG resultierenden Pflichten verdichtet sich damit zu dem Gebot, durch die Implementierung einer wirksamen Organisations- und Kontrollstruktur die Gefahr von Pflichtverstößen zu minimieren.[45] Welche Maßnahmen dabei konkret zu ergreifen sind, wird indes nicht bestimmt.[46] Dies soll sich vielmehr nach den konkreten Anforderungen im Einzelfall richten[47] und insofern im Ermessen der Geschäftsleitung stehen.[48] Die aufgezeigten Pflichten können damit bei entsprechenden Voraussetzungen zur Notwendigkeit eines umfassenden Compliance-Management-Systems führen; für alle Fälle erforderlich ist dies jedoch nicht.[49] Im Ergebnis besteht nach wohl weitgehendem Konsens jedenfalls im Gesellschaftsrecht keine unbedingte Pflicht, ein umfassendes Compliance-Management-System zu implementieren, jedoch aber die Pflicht zur Prüfung, ob dies erforderlich ist.[50] Führt die Risikoanalyse zu entsprechenden Ergebnissen, kann sodann hieraus die Pflicht zur Einführung folgen.[51]

Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern

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