Читать книгу Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern - Andreas Minkoff - Страница 55
ОглавлениеTeil 2 Gesellschaftsrechtliche Grundlagen › C. Auswirkungen auf den unternehmerischen Pflichten- und Haftungsumfang › III. Haftungsdurchgriff
III. Haftungsdurchgriff
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Bei der Beurteilung der Konzernierungswirkung ist neben den Ausflüssen im Pflichtenprogramm der Obergesellschaft schließlich auf eine mögliche Erweiterung des Haftungsverbundes einzugehen. Unter dem Stichwort des Haftungsdurchgriffes wird dabei diskutiert, ob Konzernobergesellschaften unmittelbar für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaften in Anspruch genommen werden können, auch wenn sie selbst nicht haftungsbegründend an einer Schuldentstehung mitwirken.
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Dabei ist zunächst der Grundsatz der rechtlichen Selbstständigkeit der verbundenen Gesellschaften zu betonen. Aus dieser Selbstständigkeit erwächst das Trennungsprinzip, das einem Haftungsdurchgriff grundsätzlich im Wege steht.[1] Nach der Konzeption unserer Gesellschaftsrechtsordnung ist ein Haftungsdurchgriff damit grundsätzlich ausgeschlossen.[2] Vielmehr haftet jede Gesellschaft eigenständig für ihre eigenen Verbindlichkeiten.
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Relativiert wird diese strikte Trennung indes durch die bereits dargelegten, besonderen Regelungen des Konzernrechts. So normiert für den Fall der Eingliederung § 322 Abs. 1 AktG eine Ausnahme des Trennungsprinzips, sofern die Obergesellschaft nach dieser Regelung für Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft als Gesamtschuldnerin haftet. Zwar existiert für den in der Praxis deutlich verbreiteteren Vertragskonzern keine entsprechende Haftungsregelung. Allerdings statuiert § 302 AktG für entsprechende Unternehmensverbindungen einen Verlustausgleichsanspruch der Tochtergesellschaft gegen die Obergesellschaft. Gläubiger der Tochtergesellschaften können diesen Anspruch pfänden lassen.[3] Auch wenn damit keine Primärverbindlichkeit des herrschenden Unternehmens begründet wird, so wird jedoch im Ergebnis der Zweck eines Haftungsdurchgriffs als Mittel der Sicherung für den Gläubiger erfüllt. In faktischen Konzernverbindungen findet sich hingegen keine entsprechende Regelung des Verlustausgleichs. Hier muss die herrschende Gesellschaft lediglich gem. §§ 311 Abs. 1, 317 AktG Nachteile ausgleichen, die sie der abhängigen Gesellschaft konkret zugefügt hat.[4] Erst wenn die Obergesellschaft derart umfassend in das abhängige Unternehmen eingreift, dass die konkret zugefügten Nachteile sich nicht mehr isoliert feststellen lassen, erwächst auch im Rahmen von faktischen Konzernverbindungen eine Verlustausgleichspflicht entsprechend § 302 AktG.[5]
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Daneben werden mögliche allgemein schuldrechtliche Schadensersatzansprüche der Tochtergesellschaft gegenüber der Obergesellschaft wegen Verletzung der Sorgfaltspflichten gem. §§ 280, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 BGB angeführt, die gegebenenfalls auch Gläubigern des abhängigen Unternehmens zur Verfügung stehen sollen.[6]
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Eine tatsächliche Durchbrechung des Trennungsprinzips bedeutet all dies jedoch nicht, da es dabei nicht um akzessorische Primäransprüche gegen die Obergesellschaft geht, sondern lediglich um abgeleitete Ansprüche der abhängigen gegenüber der herrschenden Gesellschaft. Damit bleibt es abseits der Eingliederung grundsätzlich bei der Geltung des Trennungsprinzips. Ausnahmen hiervon sollen nur in engen Grenzen möglich sein, wenn die Haftungsabschottung einen Verstoß gegen Treu und Glauben und damit rechtsmissbräuchlich sein soll.[7] Genannt wird dabei etwa die Fallgruppe der bewussten Vermögens- und Sphärenmischung.[8]