Читать книгу Neue Schweizer Bildung (E-Book) - Andreas Pfister - Страница 16
Es gibt eine Binnendifferenzierung in ein Niveau A und ein Niveau B.
ОглавлениеEs ist sinnvoll, innerhalb der Berufsmaturität verschiedene Niveaustufen einzuführen, also eine Berufsmaturität A und eine Berufsmaturität B. Dies in Analogie zu den unterschiedlichen Leistungsklassen innerhalb der Sekundarschule. Eine solche Differenzierung wird den unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden besser gerecht. Gegenwärtig wird die Berufsmatura von einzelnen Berufsgruppen intensiv, von anderen aber kaum absolviert. Um auch sie zu erfassen, ist eine Binnendifferenzierung der Berufsmaturität hilfreich.
Im Kern geht es darum, den Anteil schulischer Bildung in der Berufslehre zu erhöhen. Wenn man das erreichen will, ohne den ebenso wichtigen praktischen Anteil abzubauen, braucht es eine Verlängerung der Lehre. Will man eine solche Verlängerung nicht, müssen bei der praktischen Ausbildung Abstriche gemacht werden. Nicht alle Berufslernenden schaffen die BM1 in ihrer jetzigen Form, sie ist zu anspruchsvoll. Diese Entscheidung kann nur in Absprache mit Akteur*innen der Berufslehre getroffen werden. Es gilt, bei den Erwartungen realistisch zu bleiben. Die Lernenden erreichen nicht auf mirakulöse Weise bessere schulische Leistungen. Sie werden schlicht anders oder länger gebildet.
Das Wording ist nicht entscheidend, doch der Begriff der Maturität ist treffend. Er bringt zum Ausdruck, dass beide Wege, der duale und der akademische, zu Reife führen, zu Mündigkeit und Vollwertigkeit. Matur ist nicht nur ein Teil der Bevölkerung, matur werden alle. Der Begriff zeigt, um was es in der Bildung geht: um den Menschen, seine Entfaltung und sein Recht, vollwertiger Teil der Gesellschaft zu werden. «Maturität» ist deshalb ein Begriff, der zu Recht nicht dem Gymnasium vorbehalten ist. Er sollte auch nicht einem kleinen Teil der Berufslernenden vorbehalten bleiben. Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass gewisse Lernende vor dem Begriff «Matura» zurückschrecken. Sie sehen darin nicht das Versprechen, nicht das Schillernde und Noble, sondern Matura ist für sie bloss Ausdruck der verhassten Schule. Wenn sie noch mehr davon über sich ergehen lassen müssen, verzichten sie lieber darauf. Wenn das Wort abschreckend wirkt, so wie der Begriff «Akademiker*innen» für Gewisse ein Reizwort ist, dann ist es kontraproduktiv, den Begriff zu verwenden. Es braucht dieses Siegel nicht. Aber mehr Schule in der Lehre – das braucht es.
Gegenwärtig verfolgt die Berufsmaturität ein doppeltes Ziel:[5] Zum einen die Vorbereitung auf das Studium an einer Fachhochschule, zum anderen eine erweiterte Allgemeinbildung. Letzteres ist Bildung in einem umfassenden Sinn. Es geht darum, sich in einer von Upskilling geprägten Welt selbstbestimmt zu bewegen. Es geht um Entwicklung – im Beruf, in der Gesellschaft, privat. Dazu gehört der Aufbau von Wissen und Kompetenzen, von Arbeits- und Lernstrukturen, von reflektierten Haltungen. Sowohl die gymnasiale als auch die Berufs- und Fachmaturität stehen in humanistischer Bildungstradition. Ihr gemeinsames Bildungsziel ist die persönlichen Reife. Mit der flächendeckenden Einführung der Berufs- und Fachmaturität verschiebt sich die Gewichtung der bisherigen Bildungsziele. Wichtiger wird neben der Studienreife die erweiterte Allgemeinbildung. Die neue Berufsmaturität befähigt weiterhin zum Wechsel auf die Tertiärstufe. Sie hat aber nicht den Anspruch, dass alle Lernenden diesen Wechsel vollziehen. Es müssen nicht alle Berufsmaturand*innen studieren gehen. Wenn ein grösserer Teil als bisher auf die tertiäre Stufe wechselt, ist ein wichtiges Ziel bereits erreicht. Das ist keine Verschwendung von Bildungsressourcen. Berufs- und Fachmaturand*innen, die nicht studieren, hat man nicht «umsonst» gebildet. Die erweiterte Bildung der Berufsmaturität erfüllt klare Aufgaben. Sie passt die duale Bildung an die Anforderungen der Gegenwart an. Sie legt eine stabile, zukunftstaugliche Grundlage für weitere Bildung. Das schafft die Voraussetzungen, dass mehr junge Erwachsene ein Fachhochschulstudium aufnehmen oder den Weg über die höhere Berufsbildung in Angriff nehmen können. Die Berufsmaturität verbessert die Anschlussfähigkeit für das lebenslange Lernen, auch ausserhalb der Hochschule. Sie verkleinert die Lücke zwischen den steigenden Anforderungen und der bisherigen Bildung. Damit reduziert sie die Gefahr von Überforderung. Sie eröffnet berufliche Chancen und mindert das Risiko von Arbeitslosigkeit. Sie platziert die Allgemeinbildung ins Jugendalter, wo sie hingehört. Man soll sie nicht während des Erwerbslebens nachholen müssen.
Eine flächendeckende Berufsmaturität wertet die Lehre auf. Die Berufslehre wird noch stärker als bisher zu einer echten Alternative, die nicht nur ausbildet, sondern Bildung in humanistischem Sinn umfasst. Das nimmt Druck vom Gymnasium – und es nimmt das Recht aller Jugendlichen auf Bildung ernst. Die Binnendifferenzierung in ein Niveau A und ein Niveau B erlaubt eine spezifische Gewichtung der jeweiligen Bildungsziele innerhalb der Berufs- und Fachmaturität. Niveau A kann stärker auf die Fachhochschulen ausgerichtet sein als Niveau B. Diese Unterschiede im Niveau sind kein Novum für die Berufsmaturität. Schon jetzt lebt sie mit Niveauunterschieden zwischen den verschiedenen Branchen. Die Berufs- oder Fachmaturität mit Niveau B soll ebenfalls zum Studium an der Fachhochschule berechtigen. Das ist insbesondere für jene Jugendlichen aus bildungsfernen Verhältnissen eine Chance, die erst später Ambitionen auf ein Studium entwickeln. Diese Möglichkeit soll offen bleiben, selbst wenn sie nicht intensiv genutzt wird. Um die Chancen auf ein erfolgreiches Studium zu verbessern, können Vorbereitungskurse eingeschoben werden. Ähnlich wie die Passerelle auf das Studium an der Universität vorbereitet, können diese Vorbereitungskurse auf das Studium an einer Fachhochschule vorbereiten. Die Anforderungen der Fachhochschulen bleiben auf demselben Niveau wie bisher. Wer Mühe mit diesem Niveau hat, kann seine Chancen über den Vorbereitungskurs verbessern. Das verlängert die Bildungszeit, steht aber im Dienste der dringend notwendigen Tertiarisierung. Und es verbessert die Aufstiegschancen von schulisch Schwächeren oder Spätzündern.