Читать книгу Matura für alle - Andreas Pfister - Страница 14
WER GEHÖRT ANS GYMNASIUM?
ОглавлениеMan kann ein bisschen nachhelfen, sagt sich mancher Bildungsbürger und schickt seine Kinder ins Lernstudio. Weil das System so stark selektioniert, passt er sich an.
Nun wäre es zu einfach, die Eltern der Wegselektionierten als blosse Opfer zu sehen. Die Eltern sind letztlich selber schuld. Sie sind es bzw. die Gesellschaft ist es, welche diese Selektion will. Die niedrige gymnasiale Maturitätsquote in der Schweiz ist politisch gewollt – auch von jenen, die dann mit Rekursen vorgehen gegen die verpatzte Gymiprüfung. Es mag schizophren anmuten, nach dem Motto: Ans Gymnasium gehören nur ganz wenige Kinder – und meins. Dieses Paradox hat damit zu tun, dass wir verschiedene Rollen einnehmen. Wir sind einerseits besorgte Eltern, andererseits aber auch strenge Lehrmeister. Wir sind Steuerzahler, Auftraggeber, Fachpersonen und vieles mehr. Wir wollen, dass unsere Unis Spitzenplätze belegen in internationalen Rankings. Und wir wollen, dass unsere Kinder dort studieren. An diesem Zustand wird sich erst etwas ändern, wenn die Abgewiesenen so zahlreich sind, dass sie eine Mehrheit bilden, die politisch umsetzt, was sie umtreibt: Der Wunsch nach Teilhabe.
Wer gehört ans Gymnasium? Die übliche Antwort darauf lautet ungefähr: Wer die intellektuellen Voraussetzungen mitbringt – und die nötige Motivation. Es spielt immer beides eine Rolle. Es gehört zu unseren Freiheiten, auch Dinge tun zu können, in denen wir nicht so gut sind. Oder umgekehrt das Gymnasium nicht zu besuchen, obwohl wir das Potential dazu hätten. Kein System soll uns zwingen, allein unseren Fähigkeiten nach zu leben. Unsere Neigungen sind genauso wichtig. Diese Haltung kann zwar zu Reibungsverlusten führen. Es ist für alle Beteiligten nicht ideal, wenn «die Falschen» am Gymnasium sind. Also Kinder mit ambitionierten Eltern, aber wenig schulischem Potential. Für die Kinder ist es die grösste Plage: Sie können die schulischen Anforderungen und elterlichen Erwartungen nicht erfüllen. Für die Gesellschaft ist es auch ein Verlustgeschäft, denn während der teure Bildungsplatz nicht optimal besetzt ist, geht das Potential eines anderen Schülers, der es besser könnte, verloren.
Doch wenn wir dem Wollen einen angemessenen Platz einräumen neben dem Können, muss es möglich bleiben, mit Einsatz und Fleiss eine Schule zu schaffen, die ein Begabterer ohne grosse Anstrengung durchläuft. Wenn wir nicht in einem totalitären System zu den Sklaven unserer (fehlenden) Begabung werden wollen, muss der Willensentscheidung eine bestimmte Berechtigung zugesprochen werden. Keine totale. Die Begabung spielt ebenso eine wichtige Rolle. Aber nicht die einzige.