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FOKUS DER EMPÖRUNG

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Gegenwärtig stehen im Fokus der öffentlichen Empörung jene, die wollen, aber kaum können. Gerne vergessen werden dabei die anderen. Nämlich die, die sehr wohl könnten, aber nicht wollen. Hier liegt viel Potential verborgen. Im Gegensatz zur Kritik an der angeblichen Förderwut hört man kaum von einer Empörung über Eltern, die das schulische Fortkommen ihrer Kinder vernachlässigen. Ihre unterlassene Hilfeleistung wird selten kritisiert. Dass bildungsferne Eltern ihren Kindern mit Bildungsverachtung, Gleichgültigkeit, spöttischen Bemerkungen über die angebliche Faulheit von GymnasiastInnen usw. die Freude an der Schule vergällen, ihnen teilweise sogar Steine in den Weg legen, daran scheint sich kaum jemand zu stören. Im Gegenteil: Man ist froh, dass nicht noch mehr ans Gymnasium drängen.

Bewegung in die Bildungspolitik können derzeit nur die Akademikereltern bringen. Das ist nicht unproblematisch, denn es geht ihnen um ihr Partikularinteresse – und nicht um das Gemeinwohl. Doch indem sich Akademikereltern für ihre eigenen Kinder einsetzen, könnten sie quasi als Nebeneffekt das Gymnasium und die Universitäten auch für bildungsferne Jugendliche öffnen. Das ist zwar nicht das, was man sich als Ideal vorstellt, doch auf dem Boden der politischen Tatsachen dürfte sich dieser Weg als der pragmatischste und zugleich aussichtsreichste erweisen.

Schon heute kommt das Bisschen an Druck auf die Bildungspolitik vor allem aus bildungsaffinen und zugleich etablierten Kreisen. Ins Feld geführt wird zum Beispiel der Standort Schweiz als Wirtschaftsfaktor. Internationale Unternehmen überlegen sich nicht nur, wo die Steuern günstig sind. Sie berücksichtigen auch weichere Faktoren wie zum Beispiel das Bildungsangebot für die Kinder ihrer Mitarbeiter. Das internationale Management will seine Kinder meist am Gymnasium sehen – nicht in einem Berufsbildungssystem. Besonders die hochqualifizierten Einwanderer aus Deutschland, also unsere Ärztinnen, Journalisten, Dozentinnen, wollen ihre Kinder gerne an ein öffentliches Gymnasium schicken. Ist das nicht möglich, so helfen sich viele von ihnen selbst und schicken ihre Kinder an eine Privatschule. Die Düpierten sind einmal mehr die Einheimischen, die weiterhin auf die Lehre setzen, und jene, die sich eine Privatschule nicht leisten können. Hochqualifizierte aus fremdsprachigen Ländern wie England, den USA, Frankreich, Osteuropa schicken ihre Kinder schon wegen der Sprachbarriere häufig an International Schools. Der boomende Markt der Privatschulen verzerrt die Schweizer Bildungspolitik zusätzlich. Insgesamt werden jährlich rund fünf Prozent8 der Kinder und Jugendlichen am rigiden Schweizer Selektions-Rechen vorbeigeschleust. Das mag man als nicht besonders viel empfinden. Doch wenn man die Spitzenwerte einzelner Gemeinden mit besonders hoch gebildeter Bevölkerung anschaut, sieht es anders aus. In Zumikon, Rüschlikon und Kilchberg (ZH) besucht mittlerweile ein Viertel der Kinder und Jugendlichen eine Privatschule. In Walchwil (ZG) sind es 23 Prozent, in Wollerau (SZ) 21 Prozent.

Diese PrivatschülerInnen aus wohlhabenden Häusern werden später studieren und Kaderstellen besetzen. Währenddessen bremsen wir die Kinder an öffentlichen Schulen aus. Die zugezogenen Nachbarn schütteln den Kopf und fragen sich verwundert: Warum bildet ihr eure Leute nicht selber aus?

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