Читать книгу Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt - Andreas Preiß - Страница 10
ОглавлениеWasserbüffel
Der alte Herr saß zusammengesunken neben der offenen hinteren Tür des Rettungswagens auf einem Rollator. Über seinen Schultern lag eine graue Decke, die Hände hatte er um einen dampfenden Plastikbecher gelegt. Er trug eine goldgerahmte Brille und hatte graue, nach hinten gekämmte Haare mit deutlichen Geheimratsecken. Seine Füße steckten in wasserdichten Thermostiefeln, an denen der Schmutz bereits angetrocknet war.
„Mein Name ist Zaplinski, Mordkommission Nord, Herr, ääh …“ Zaplinski hatte vergessen, Kolbow nach dem Namen des alten Herrn zu fragen und er wandte sich Hilfe suchend an Magga.
„Kleemann, Herbert Kleemann“, sprang Magga ihm sofort bei.
„Ja, also Herr Kleemann. Können Sie uns ein paar Fragen beantworten?“
„Ich hab doch schon …“, entgegnete Kleemann und stellte seinen Becher ab.
„Ja, ich weiß. Sie haben schon meinen Kollegen alles erzählt“, unterbrach Zaplinski ihn ungeduldig. „Aber für uns ist es wichtig, dass wir es nochmal direkt von Ihnen hören.“
Kleemann nickte zwar, er wirkte aber nicht so, als würde ihm das einleuchten.
„Also, ich war mit Marlene spazieren.“
Als er Zaplinskis fragenden Blick bemerkte, drehte er sich zum Inneren des Rettungswagens um. Auf dem Fahrersitz thronte ein blondes Mädchen im Vorschulalter. Der Rettungssanitäter zeigte ihr gerade, wo das Blaulicht eingeschaltet wird.
„Meine Enkelin.“
„Aha“, sagte Zaplinski.
„Um halb eins sind wir los. Wir wollten uns die Wasserbüffel ansehen.“
Wieder erntete er von Zaplinski einen verwunderten Blick. „Welche Wasserbüffel?“
„Im Sommer ist hier immer eine Herde Wasserbüffel. Das Gartenbauamt transportiert sie extra her, damit sie das Gras kurz und das Wasser am Fließen halten“, klärte Kleemann ihn auf. Sein Blick sagte: „Das weiß man doch.“
Zaplinski nickte. Ihm war das neu. Aber auch egal. „Und weiter?“
„Marlene kommt immer sonntags zu mir. Wir gehen dann zusammen raus. Jedes Mal eine andere Runde. Das ist das Schöne hier. Viel Wald. Ich wohne unten an der Malche im Seniorenheim, wissen Sie, im 9. Stock. Da hat man einen herrlichen Blick auf den Tegeler See. Auf die Uferpromenade. Im Sommer ist da viel zu sehen. Dampfer, also ich liebe ja die Havelqueen mit diesem Schaufelrad und dann die Segelboote …“
Zaplinski trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen und war drauf und dran, dazwischenzugehen.
Magga sah aus, als wolle sie ihrem Chef eine Hand auf den Arm legen, um ihn davon abzuhalten. Aber sie tat es nicht. Herbert Kleemann hatte indes wohl selbst gespürt, dass er ein wenig vom Thema abgeschweift war.
„Ja, also heute sind wir zum Fließ runter.“
„Klar, Herr Kleemann. Was ist dann passiert?“, drängte Zaplinski. Konnte der Kerl nicht endlich auf den Punkt kommen?
„Na ja, wir waren auf dem Weg und da haben wir Geräusche gehört. Vom Fließ unten. Ich dachte, das sind die Büffel. Wir waren schon ein paar Mal hier, aber die hatten sich immer irgendwo versteckt. Marlene war immer so enttäuscht. Und da dachte ich, na ja, wir sind da durchs Gebüsch. Trotz Verbotsschild.“
Er sah Zaplinski schuldbewusst an. Der erteilte ihm mit einem väterlichen Nicken für den Regelverstoß sofort Absolution. Was angesichts des Altersunterschiedes schon ziemlich absurd war.
„Und da haben wir einen Riesenschreck bekommen. Da war ein Wildschwein, das hat uns angegrunzt. Marlene hat geschrien und da ist es zum Glück gleich geflüchtet. Ich hätte nicht gewusst, was ich machen soll.“ Er senkte den Blick.
„Und weiter?“ Zaplinski verlor mehr und mehr die Geduld.
Der alte Mann schlug die Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. „Dann hab ich erst gesehen, was da liegt. Ich konnte das gar nicht fassen, furchtbar. Ich hab Marlene die Augen zugehalten und dann sind wir wieder hoch zum Weg.“
Er zog ein Seniorenhandy mit großen Tasten aus der Tasche. „Dann habe ich natürlich gleich die 110 angerufen. Bei uns im Haus waren doch ihre Kollegen, die diesen Vortrag zur Seniorensicherheit …“
„Ja, das war toll, Herr Kleemann“, unterbrach Zaplinski ihn, wobei die nicht zu überhörende Ironie in seinen Worten den Inhalt konterkarierte. Er gab Magga ein Zeichen und fragte dann weiter: „Kennen Sie den Mann?“
„Ich hab nicht so genau hingeschaut“, sagte Kleemann entschuldigend.
Magga hielt dem alten Herrn das Handyfoto entgegen, das sie vom Toten gemacht hatte. Kleemann schaute drauf, verzog angeekelt das Gesicht und schüttelte den Kopf.
„Nee, den habe ich noch nie gesehen.“
„Herr Kleemann, waren zu der Zeit noch Leute hier unterwegs? Spaziergänger, Jogger oder Radfahrer?“, wollte Zaplinski wissen.
„Nein, da war niemand. Das Wetter ist ja auch nicht so toll.“
„Sie gehen ja regelmäßig hier spazieren. Ist Ihnen da in den letzten Tagen irgendetwas aufgefallen? Leute, die sich gestritten haben zum Beispiel, Hilferufe oder sowas?“
Der Senior dachte nach. „Da war nichts. Ich war auch seit ein paar Tagen nicht hier. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.“
„Macht nichts Herr Kleemann. Die Kollegen bringen Sie jetzt nach Hause“, sagte Zaplinski und wunderte sich einen Moment über seine plötzliche Fürsorglichkeit.
Kleemanns Augen leuchteten kurz auf, aber er wehrte bescheiden ab. „Ist eigentlich nicht nötig.“
„Das ist schon okay. Und Marlene wird es auch gefallen. Wiedersehen, Herr Kleemann.“ Zaplinski gab Magga ein Zeichen und sie ging zu den beiden Uniformierten hinüber, die an ihrem blau-weißen Streifenwagen standen.
Als sie wieder in den Dienstwagen stiegen, meinte Magga nachdenklich: „Hoffentlich hat die Kleine nicht allzuviel gesehen. Nicht, dass sie mit Opa jetzt keine Ausflüge mehr machen will.“
„Ja hoffentlich. Aber unser Märchenonkel ist heute beim Kaffeekränzchen im Seniorenheim garantiert der Held der Rentnergang …“, antwortete Zaplinski grinsend.
„Ach, Herr Zaplinski, ich gönn ihm das. Wenn ich so an meinen Opa denke … Im Alter kann einem furchtbar langweilig werden. Wenn kein Partner mehr da ist und die Verwandten nicht so oft zu Besuch kommen. Haben Sie gesehen, wie er aufgeblüht ist, als er uns was erzählen durfte?“
„Hoffentlich werde ich nie so ein Quatschkopp“, erwiderte Zaplinski flapsig, obwohl ihm gerade mulmig geworden war.
Partner? Verwandte? Bei ihm Fehlanzeige. Mit Schaudern dachte er daran, dass er selbst nur noch ein paar Jahre bis zum Ruhestand hatte. Er wischte den unangenehmen Gedanken sofort weg. An das tiefe dunkle Loch, in das er als Pensionär möglicherweise fallen würde, wollte er nicht mal ansatzweise denken. Die Arbeit war sein Lebensinhalt. Was würde er ohne die Kripo machen? Jeden Tag bei Moni am Tresen hocken sich langsam mit Bier und Schnaps abfüllen? Stammtischparolen dreschen, wie Werner, der dicke Manne, und Tischler-Ralf, die alle Rentner und alleinstehend waren?
Er kniff sich ins Ohrläppchen, damit der Schmerz seine Gedanken wieder in eine andere, angenehmere Richtung lenkte.