Читать книгу Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt - Andreas Preiß - Страница 5
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Enrico Pape verließ den Friedhof. Er blickte nach oben in den grauen Himmel. Scheißregen, nicht heftig, aber auf Dauer unangenehm nervend. Er zögerte, ob er heute nicht lieber den längeren Weg an der Mühle vorbei nach Hause nehmen sollte. Hinten herum durch den Wald war es zwar deutlich kürzer, aber er würde sich Hose und Schuhe im Dreck ruinieren.
Bei einem Blick zum Boden war ihm allerdings sofort klar, dass da nicht viel mehr Schaden anzurichten war. Der Anzug musste eh in die Reinigung. Die Schuhe würden schon wieder trocknen. Außerdem fror er. Und hell genug war es gerade noch. Er schlug fröstelnd den Mantelkragen zum Schutz gegen den feucht-kalten Wind hoch. Dann beschleunigte er seine Schritte und bog hinter der Autobahnunterführung rechts zum Tegeler Fließ auf den Wanderweg in den Wald ab.
Als er nach einigen Minuten das kleine Tor am Zaun erreichte, nestelte er noch im Gehen sein Schlüsselbund aus der Manteltasche. Mit den kalten Fingern hatte er Mühe, den richtigen Schlüssel auszuwählen, zumal in diesem Dämmerlicht.
Als er ihn endlich herausgefiltert hatte und im Begriff war, die Zauntür aufzuschließen, beschlich ihn das ungute Gefühl, nicht alleine zu sein. Er wollte sich gerade umdrehen, um sich zu vergewissern, da hörte er ein britzelndes Geräusch.
Eine Millisekunde später traf ihn schon ein mächtiger stechender Schlag seitlich in den Hals. Unerträglicher Schmerz erfasste explosionsartig seinen ganzen Körper. Sein Gehirn registrierte noch verwundert, dass er stürzte, er wollte die Hände bewegen, um sich abzufangen. Vergeblich. Er war komplett verkrampft, paralysiert. Sein Körper gehorchte ihm überhaupt nicht mehr. Ein weiterer heftiger Schmerz bohrte sich in seinen Bauch, als er hart auf einen Aststumpf prallte.
Hilflos und mit verständnislos aufgerissenen Augen musste er ertragen, wie er an den Füßen über die Erde geschleift wurde. Sein Hinterkopf stieß gegen Steine und Wurzeln, Zweige streiften ihn schmerzhaft im Gesicht.
Dann plötzlich ließ man ihn los. Seine Beine fielen wie tote Äste auf den Boden. Er lag auf dem Rücken, hilflos wie ein Käfer. Es roch modrig. Er spürte Wasser, Matsch. Und Kälte. Bis auf die heiße Stelle im Bauch.
Ein Gesicht tauchte dicht vor seinem auf, schrie ihn an. Jemand kniete auf ihm, auf seiner Brust, er konnte kaum noch atmen. Er verstand lediglich Wortfetzen.
„Drecksau … Schwein …mir angetan …?“
Wer zur Hölle ist das? Was soll das?, fragte er sich.
Im Dunkeln konnte er nichts erkennen. Schläge trafen hart sein Gesicht, links, rechts, links, rechts, klatsch, klatsch. Gebrüll. Spucke sprühte in seine Augen. Er blinzelte, hatte den Impuls sich das Gesicht zu schützen, aber seine Hände wollten nicht, konnten nicht.
Wegen dieser Hilflosigkeit überkam ihn unbändige Wut. Er wollte brüllen, um sich schlagen, konnte es aber nicht. Hustete nur. Krächzte nur. Kassierte – peng – wieder einen Schlag. Auf das rechte Ohr, das sofort mit einem schrillen Pfeifen reagierte. Und noch eine Backpfeife, und wieder, links, rechts, links. Er wollte sich wegdrehen. War aber ausgeliefert.
„Sieh … mich … an!! Los … sieh mich an“, befahl die wutverzerrte Fratze.
Er reagierte nicht. Weil er nicht reagieren konnte. Erneut spürte er diesen gewaltigen blitzähnlichen Schlag am Hals. Das Gesicht näherte sich und zischte ihm etwas ins Ohr. Ja, jetzt erinnerte Enrico sich. Wegen dieser Lappalie so ein Stress?? Das war doch überhaupt nichts Persönliches gewesen. Rein professionell.
„… feiges… Stück… Scheiße…!“, brüllte ihn die Stimme wieder an.
Enrico wollte den Kopf heben, etwas sagen. Doch es gelang ihm einfach nicht.
„Feiges… Arschloch … damit … weißt, wie … das anfühlt ...“, schrie die Stimme. Sie überschlug sich und er verstand nicht alles.
Dann explodierte der bekannte Schmerz wieder in ihm. In seinen Hoden. Einmal, und noch einmal und wieder. Sein Körper zuckte unkontrolliert, er stand kurz vor einer Ohnmacht.
„Aber ich … sollte nur … ich …wollte nur“, krächzte er mühsam. „Chang …, Chang hat …“
Das Gesicht vor ihm war überrascht, blickte ihn verwirrt an. „Chang?“
Er versuchte zu sprechen. Aber in ihm war keine Energie mehr. Nur ein unverständliches Brabbeln drang aus seinem Mund. Als er das Bewusstsein verlor, fühlte sich das herrlich an. Den hektischen Versuch, ihn durch Schütteln und Ohrfeigen und Anbrüllen wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen, registrierte er nicht mehr. Dann war da nur noch Ruhe und Enrico Papes Kopf rutschte langsam in das morastige Wasser.