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Spätschicht

Der Leiter der Mordkommission Nord gähnte. Kurz vor zwei Uhr nachmittags erst aufgestanden und schon wieder müde. Ich glaube, ich werde langsam alt, dachte Zaplinski.

Im Gehen nippte er an seinem Thermobecher, in dem der Latte aus der heimischen Kaffeemaschine vor sich hin dampfte. Zaplinski war wieder auf dem Weg zum Dienst. Nach der unbefriedigenden Obduktion war er kurz zu Hause gewesen, Duschen, Umziehen, den Geruch vom Leichenschauhaus loswerden.

Zaplinski lebte in Berlin-Wittenau. Erst seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts hieß dieser Ortsteil des Bezirks Reinickendorf so, benannt nach dem damaligen Ortsvorsteher Witte. Der alte Ortsname Dalldorf war zuvor allzusehr mit der dortigen „Städtischen Irrenanstalt“ assoziiert worden. Davon hatten die Leute hier schließlich die Nase gestrichen voll gehabt und vehement eine Umbenennung betrieben. Inzwischen war auch der Nachfolger der Irrenanstalt, die Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik – im Volksmund nur „Bonnies Ranch“ genannt – längst Geschichte.

Rund um Zaplinskis Wohnung gab es Supermärkte, Restaurants, ein Tattoostudio und diverse Ärzte und Apotheken. Dazu eine Handvoll Dönerläden, einen großen türkischen Lebensmitteldiscounter mit Halal-Fleisch und einen arabischen Barbershop.

Aber weder ein Geldinstitut noch eine Post. Irgendwie typisch für die Großstadt-Nahversorgung im 21. Jahrhundert.

Vor nicht allzu langer Zeit war in einem ehemaligen Supermarkt zwei Straßen weiter eine Moschee eröffnet worden. Wittenau war eben jetzt Multikulti wie Neukölln oder der Wedding. Das galt auch für das nahegelegene Märkische Viertel. In die Hochhaussiedlung aus den 1960er mit knapp 40.000 Einwohnern, die hier jeder selbstironisch nur das „Merkwürdige Viertel“ nannte, zogen wegen der überwiegend großen Wohnungen halt vermehrt Familien mit mehreren Kindern. Und das waren eher die mit Migrationshintergrund und offenkundigem Bedarf an religiöser Betreuung. Die Ureinwohner hatten es ja nicht mehr so mit dem Kinderkriegen. Mit der Religion ebensowenig.

Die knapp fünfzehn Minuten von zu Hause zum Büro ging Zaplinski manchmal zu Fuß, vorbei am Rathaus Reinickendorf und dann quer durch den Park. Vor einigen Wochen waren beim Discounter um die Ecke diese elektrischen Tretroller günstig im Angebot gewesen. Da hatte das Faultier in Dieter Zaplinski kurz über eine solche Anschaffung nachgedacht. Am Ende hatte jedoch die Vernunft knapp gesiegt. Mit dem Ding hätte er künftig die wenigen Strecken, die er jetzt zu Fuß ging, auch noch bewegungsarm zurückgelegt. Ein prüfender Griff an den über seinen Gürtel quellenden Bauch hatte handfest die Entscheidung eingefordert, den Kauf sein ja zu lassen.

In dem Zusammenhang war ihm der Witz aus den Zeiten eingefallen, als es auf den Bahnhöfen noch Personenwaagen gab. Für zehn Pfennig verrieten sie einem das Körpergewicht, ausgedruckt auf einem kleinen Pappkärtchen. Auch bei ihm würde heute wahrscheinlich statt der Kilogrammzahl draufstehen: „Waage bitte nur einzeln benutzen.“

Er näherte sich dem Dienstgebäude am Nordgraben, wo er sein Büro hatte. Der dreistöckige Zweckbau direkt neben dem Finanzamt stammte aus den 1960er Jahren. Zaplinski zog am Eingang seinen Dienstausweis durch das Kartenlesegerät und drückte die Glastür auf.

Er machte noch einen kleinen Umweg zur Wache und rief den uniformierten Kollegen hinten im Aufenthaltsraum über den Tresen einen Gruß zu. Es gefiel ihm, dass jetzt wieder Schutz-und Kriminalpolizei unter einem Dach saßen. Der „kleine Dienstweg“ funktionierte fast wie früher, weil man sich persönlich kannte und täglich über den Weg lief.

Außerdem wussten die Uniformierten immer mal Dinge, die in keiner Akte oder Datei zu finden waren. Schade nur, dass die Kontaktbereichsbeamten nicht wieder eingeführt worden waren. Diese Kiezpolizisten waren früher für einen kleinen überschaubaren Bereich zuständig gewesen, täglich zu Fuß unterwegs und hatten damit echte Bürgernähe praktiziert. Vorbei.

Jetzt war es ein exotisches Ereignis, wenn die Kollegen aus dem Dienstwagen ausstiegen, ohne dass sie dorthin alarmiert worden waren oder es einen Imbiss zu holen galt.

Wenn man die zahlreichen blau-weißen Fahrzeuge auf dem Hof so betrachtete, die da nur standen und eben nicht streiften, war der alte Begriff Streifenwagen sowieso irreführend. Wahrscheinlich hießen sie aus diesem Grund auch inzwischen Einsatzwagen.

Mit solchen wehmütigen Gedanken an die guten alten Zeiten, also die in seiner Erinnerung guten alten Zeiten, steuerte der Erste Kriminalhauptkommissar Zaplinski in Richtung Aufzug.

Drinnen drückte er den Knopf für den dritten Stock, wo die Büros seiner kleinen Truppe zu finden waren. Die Treppen hochlaufen könnte er dann beim nächsten Mal. Vielleicht.

Tod am Fließ - Zaplinski ermittelt

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