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1.3 Begründungstheoretische Probleme

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Dass Glück nicht mit Lust [[Konzeption eines gelingenden Lebens]] identifiziert werden kann, heißt nicht, dass Lust irrelevant ist. Aus epistemischer Sicht ist Glück aber insofern abstrakt, als es nicht auf Lust als einen besonderen Typ subjektiven Erlebens reduziert werden kann. Dieses Moment kann positiv bestimmt werden als „Konzeption eines gelingenden Lebens.“ Eigentlich erwartet man Kriterien dafür, wie lustvoll das Glück ist. Und man möchte wissen, worin ein gelingendes Leben besteht. Die Philosophie kann jedoch seriös nur sehr unbestimmte Antworten auf diese Erwartungshaltung anbieten. Im Folgenden sollen vier methodische Merkmale einer philosophischen Glückskonzeption erarbeitet werden.

Bestimmte subjektive Erlebnistypen (wie Lust, Vernunft, Wunsch, Interesse, Emotion, Affekt) sind für sich betrachtet zwar glücksrelevant [< 15] und auch glückskonstitutiv, aber nicht exklusiv. (Vgl. insgesamt Landweer/Renz 2008.) Ein Partybesuch kann beispielsweise Spaß machen, beim Lernen für den Studiumsabschluss aber hinderlich sein und so die berufliche Entwicklung möglicherweise beeinträchtigen. Ein Mensch, der Erfüllung vor allem im Beruflichen sucht, würde langfristig demnach „glücklicher,“ wenn er in gewissen Studienphasen bisweilen auf Partys verzichtet. In einer begründeten Entscheidung für das eine und gegen das andere sollte man sich darüber klar sein, wie lang- und kurzfristige Ziele des Lebens zu gewichten sind. Für das eine spricht die Aussicht auf schnelle Lust; für die langfristige Perspektive spricht vernünftige Einsicht. Sich hierüber klar zu werden heißt, eine Konzeption eines gelingenden Lebens bzw. dessen, was man in seinem Leben darstellen und verwirklichen möchte, zu entwickeln.

Eine solche Konzeption ist kein Erleben und kein besonderer Erlebnistyp. Glück ist also in diesem Sinne etwas Abstraktes. Dabei bedeutet abstrakt „losgelöst“ vom subjektiven (also bewussten) Erleben in motivationaler und begründungstheoretischer Hinsicht. Ein menschliches Leben zu leben, kann nicht auf unmittelbare Lusterlebnisse und Luststreben reduziert werden. Andererseits kann ein gelingendes Leben nicht unter Verweis auf objektive (als begründet geltende) Konzeptionen subjektiv allzu unattraktiv werden. Philosophisch entsteht so eine unbefriedigende Situation: Glück ist ein wenig subjektiv im epistemischen und im begründungstheoretischen Sinn, weil es in beiden Hinsichten auch ein wenig objektiv ist.

[[(1) Glück ist abstrakt]] Glück ist also insofern abstrakt, als es nicht mit Glückserlebnissen (Lust, Wunsch, Vernunft etc.) identifiziert werden darf, da es möglich ist, dass diese Erlebnisse uns Gründe nur epistemisch vorgaukeln. Was Glück im Sinne des von Aristoteles postulierten Ziels menschlichen Handelns ist, kann aus einer rein epistemologischen Perspektive nicht beantwortet werden. Glück ist kein Erlebnis und kein Erlebnistyp. Es bedarf einer moralischen bzw. ethischen „Perspektive.“ Man benötigt Vorstellungen darüber, worin das Gelingen des Lebens besteht. Eine solche Vorstellung ist epistemisch der Zugang zum Glück und begründungstheoretisch eine Rechtfertigung des Glücks. Aus der Perspektive der Begründungstheorie kann eine [[Subjektives und objektives Glück]] Glückskonzeption entweder subjektiv (also „für mich“ geltend) oder objektiv (also „für mehr oder weniger viele andere als nur mich selbst“ geltend) sein.

Eine Konzeption des gelingenden Lebens ist zunächst nichts Besonderes. Sie ist eine Vorstellung des gelingenden Lebens, die aus einem Sammelsurium von Vorstellungen bestehen kann. Dieses Sammelsurium kann sehr systematisch sein. Eine solche „Vorstellung“ ist allerdings kein Erlebnis im psychischen Sinne, sondern ein Gegenstand [< 16] des reflexiven Denkens, insofern es eine Vorstellung als Ergebnis formt. Sie kann eine theoretische, romanhafte, poetische, ästhetische ... Einheit bilden. Dies würde die Redeweise „die Konzeption“ oder „die Vorstellung“ des gelingenden Lebens philosophisch rechtfertigen. Aber sie kann auch unschuldiger verstanden werden: Es ist eine Person, die handelt und sich vor sich und anderen verantwortet und der Welt Rechenschaft ablegt. Aus diesem handlungs- und begründungstheoretischen Individualismus, ist der Singular, der sich leicht einschleichenden Redeweise, philosophisch unproblematisch erklärbar.

Was könnte es nun heißen, wenn Aristoteles sagt, dass Personen in allen ihren Handlungen nach dem Glück streben? Man strebt nicht nach etwas Abstraktem. Handelnd müssen Personen konkret Erreichbares in Angriff nehmen. Unmittelbarer Sinn konstituiert Motivationen. Das Leben als Ganzes ist auch keine Handlung. Was für eine Handlungsanweisung geben Eltern ihren Kindern, wenn sie ihnen sagen „Kind, werde glücklich!“? Man kann aber nicht in einem Akt glücklich sein wollen. Ebenso wenig kann man es befehlen. Überdies intendiert man normalerweise im Alltag bewusst dieses oder jenes, aber kaum je Glück. Und Glück ist auch Glückssache; man kann es nicht handelnd, wollend, befehlend ... erzwingen. Will man die aristotelische These dennoch akzeptieren, muss man ihr philosophisch Sinn abgewinnen können.

Eine Analogie soll an dieser Stelle weiter helfen: Ein Arzt strebt nach [[Gesundheit als Ziel medizinischen Handelns.]] Gesundheit. Sofern er ein kompetenter und aufrichtiger Arzt ist, wird jede seiner beruflichen Handlungen auf Gesundheit hinzielen. Er wird Patienten verletzen (Spritzen geben, chirurgische Eingriffe vornehmen), vielleicht auch schwere Gifte verabreichen (Chemotherapie). Dies alles ist nicht verwerflich, sondern ärztliche Kunst, weil erkennbar ist, dass der Arzt letztlich nur die Gesundheit des Patienten erreichen möchte. Ärzte dürfen (die Zustimmung des Patienten vorausgesetzt) Dinge tun, die bei Nicht-Ärzten strafbewehrt sind. Manchmal verweigert der Arzt die Anwendung seiner ärztlichen Kunst. Er ist sicherlich auch gut darin, Sterbende sanft zu töten. Viele Ärzte lehnen aktive Sterbehilfe aber mit dem Verweis darauf ab, dass keine ihrer professionellen Handlungen in grundsätzlichem Gegensatz zum Streben des Arztes nach Gesundheit stehen darf, und nehmen an, dass aktive Sterbehilfe ihrem Berufsethos zuwider läuft.

Ärzte intendieren in der alltäglichen Praxis als Ärzte dieses oder jenes. Aber in gewissem Sinne ist „Gesundheit“ das eigentliche Ziel ihres beruflichen Tätigseins und es ist in jeder Handlung präsent. Es ist selbst dann noch handlungsleitend, wenn der Arzt Gesundheit nicht intendieren kann (z. B. weil es um einen Sterbenden geht oder er gerade diagnostische Maßnahmen durchführt). Wenn Personen also in jeder ih-[< 17]rer Handlungen und mit jedem Handlungstyp und in jedem Bereich des Handelns nach Glück streben, dann muss „Glück“ im Leben so etwas sein, wie „Gesundheit“ in der Medizin.

Aber in welcher Weise ist das [[(2) Etwas im Lichte einer Konzeption des gelingenden Lebens sehen]] Glück als Ziel in allen Handlungen präsent? Wenn „Gesundheit“ eine prägende Ordnungsstruktur der Medizin als einer sozialen Praxis zu sein scheint, so ist sie in dieser Handlungsstruktur präsent. Um eine Metapher zu benutzen, könnte man sagen: Alles Handeln in der Medizin geschieht im Lichte der Gesundheit. Zwar sind Gesundheit und Glück als Ziele des Handelns abstrakt, aber sie werden dadurch konkret, dass man sein Leben und die Handlungen in ihrem Lichte sieht. Wenn man aufgefordert wird, die Dinge seines Lebens in einem anderen Licht zu sehen, dann verändern sich unsere Motivationen zum Handeln oder die rechtfertigenden Gründe. Manchmal verändert sich so unser Leben. Unser Handeln im Lichte einer Konzeption des gelingenden Lebens zu sehen, bleibt jedoch kaum mehr als eine Metapher. Sie lässt sich mit Bezug auf Aristoteles etwas konkretisieren.

Aristoteles unterschied zwei grundsätzliche [[Verschiedene Lebensentwürfe als Glückskonzeptionen]] Lebensformen: das praktische und das theoretische Leben (griechisch bios praktikos und bios theoretikos). (Aristoteles 2011, 10.6-9, Kullmann 1995.) Das praktische Leben menschlicher Personen findet in einem alltäglichen sozialen Kontext statt. Der Bürger ist Politiker, aber er ist auch Arbeiter oder Arbeitgeber und er ist Familienmitglied, Freund. Ein gelingendes menschliches Leben umfasst viele unterschiedliche Rollen und Bereiche. Jeder folgt eigenen Gesetzmäßigkeiten. Es gibt viele unterschiedliche Lichtquellen im Leben. Es gibt viele unterschiedliche Lichtquellen im Leben. Wer ein virtuoser Musiker, ein eindrücklicher Maler, ein erfolgreicher Karrierist, ein mächtiger Politiker, ein innovativer Wissenschaftler oder ein Olympionike werden will, muss sich meditativ auf sein partielles Ziel konzentrieren, um gut zu sein.

Im praktischen Leben benötigt man viele Formen der Erkenntnis und Kompetenzen für viele Bereiche des menschlichen Handelns, um jeweils spezifische Rollen angemessen ausfüllen zu können. Für diese Pluralität bzw. Komplexität des menschlichen Lebens kann man nun die Wissenschaft (den akademischen Elfenbeinturm und die Grundlagenforschung) einerseits und das praktische Leben im aristotelischen Sinne als Familienmitglied in einem Freundeskreis und als Bürger-Politiker, Freizeitmusiker, Angler, ... andererseits beispielhaft untersuchen. (Das Ideal mancher Mönche ist: Bete und arbeite!) Beide Bereiche ergänzen sich ebenso, wie sie einander ausschließen.

Im Gang der Überlegungen ist die [[Was wählen? Muss man wählen?]] Frage nun: Muss man für das Glück im Leben ein praktisches oder ein theoretisches Leben wählen? Diese Frage ist aber mindestens eine dreifache: Muss man das eine (1) oder das andere (2) wählen und schließen sich beide wechselseitig aus [< 18] (3)? Jede Kultur kennt Lebenswege, die darauf beruhen, dass das Glück in einem an Komplexität reduzierten Leben besteht: meditierende Mönche, schöpferische Künstler, nachdenkliche und nachschauende Wissenschaftler. Reduzierte Lebensformen sind nötig. Nur wer sich konzentriert, macht etwas gut. Auch der Handwerker oder der Politiker muss sich konzentrieren. Aber jede reduzierte Lebensform setzt sich aufgrund der geringeren Komplexität der Gefahr aus, als verarmt zu gelten. Die dritte Frage ist notorisch schwer zu beantworten. Je restriktiver man sie beantwortet, desto exklusiver ist das Glück und desto weniger komplex ist die entsprechende Konzeption des gelingenden Lebens. Im dem Maße, wie man sie zu Gunsten einer Vielfalt beantwortet, wird das Glück inklusiver und eine artikulierte Konzeption des gelingenden Lebens schließt mehr Ziele ein. Die Vielfalt der Ziele ist sowohl horizontal (quantitativ) als auch vertikal (qualitativ) zu sehen. Das Glück als Zielhorizont des Lebens kann also systematisch einfacher oder komplexer sein.

In diesem Sinne fragt Aristoteles nach dem Glück im Leben als der Frage nach dem aktiven oder dem theoretischen Leben. Und er hat erkannt, dass Exklusivität des Glücks in der epistemischen Favorisierung bestimmter [[exklusive Erlebnistypen]] Erlebnistypen besteht. Für die unterschiedlichen Lebensentwürfe gibt es im Sinne unterschiedlicher Lichtquellen unterschiedliche evaluative Erlebnistypen. Vereinfacht gesagt ist das Erkenntnisvermögen des praktischen Lebens die Lust und das des theoretischen die Vernunft. Viele Philosophen sehen die Vernunft in einem Gegensatz zur Lust. Dafür sprechen Suchtphänomene: Vernunftmotivationen kämpfen gegen begehrliche Motivationen. Die Forderung, dass man sein Leben aber exklusiv auf die Vernunft zu „gründen“ habe, ruft die entsprechende Gegenforderung als exklusive oder inklusive hervor. Steht die Vernunft überhaupt in Gegensatz zur Lust? Müssen wir allein den Geboten der Lust im Leben folgen? Der Streit ist alt und vollkommen ungelöst. (Vgl. Kapitel 12.1.)

Ohne philosophische Vorentscheidungen kann man nicht viel mehr sagen als: Jede Person sieht ihr Leben im Lichte eines mehr oder weniger komplexen Zielhorizontes und artikuliert so ihre Zielvorstellungen als ihre Konzeption eines ihr gelingenden Lebens. Personen können hierin irren: Sie können falsch artikulieren. Vielleicht ist ihre Konzeption des gelingenden Lebens auch die eines aus der Perspektive anderer oder der Moral misslingenden Lebens. (Vgl. Kap. 6, „vollständig subjektiv“).

Es gibt zwei unterschiedliche Strategien in der Philosophie, Konzeptionen des gelingenden Lebens konzeptionell zu deuten: Glück als inklusives oder exklusives Gut im Leben von Personen. [[Exklusive Glückskonzeptionen]] Exklusive Glückskonzeptionen führen zu einer grundsätzlichen Revision des all-[< 19]täglichen Glücksverständnisses. Das theoretische Leben des Wissenschaftlers und das genießerische Leben des politisch aktiven Bürgers und Familienvaters stellen einseitige Interpretationen dar und werden erst möglich, wenn ein bestimmtes (dominantes) Erkenntnisvermögen als allein glückskonstitutiv begründet ist. Bestimmte, von Philosophen ausgezeichnete Erkenntnisvermögen dominieren praktische Überlegungen (Was soll ich tun? Was wäre jetzt gut?) und verleihen ihnen eine auf ein Ziel ausgerichtete klare Orientierung (Lust, Wahrheit).

Der Vertreter einer inklusiven Glückskonzeption wird beide exklusiven Lebensentwürfe anerkennen, sie aber in einen [[Inklusive Glückskonzeption]] einschließlichen systematischen Rahmen stellen, in dem (1) alles auf das eine Ziel hinausläuft, (2) dieses Ziel intern komplex und hierarchisch strukturiert ist und (3) es sowohl persönlich erkannt als auch persönlich realisiert werden kann. Inklusiv ist das Glück also, wenn es um die Realisierung von Glück im Leben von Personen geht und dieses Glück alle verschiedenen Lebensbereiche umfasst und systematisiert, sodass Personen in der Lage sind, das Richtige und Gute im Handeln zu erkennen, und zugleich über die persönliche Kompetenz verfügen, mit dem Richtigen und Guten im Handeln das Glück zu realisieren. Eine solche Konzeption verbindet Vernunft und Lust als Erkenntnisquellen für die Einsicht in das Glück, während eine exklusive Glückskonzeption beide (und möglicherweise noch weitere) Erkenntnisquellen gegeneinander ausspielt.

Was heißt es nun, für Antworten auf die Frage nach dem Glück eine Vorstellung von Zielhorizonten zu gewinnen? Hier wird die Unterscheidung zwischen dem herstellenden und dem vollziehenden Handeln [[Poiesis, Praxis (vgl. das Glossar)]] (Poiesis, Praxis) relevant. Sie spitzt die Frage noch zu: Inwiefern kann man für vollziehendes Handeln (wie Spazierengehen, Tanzen, Golf spielen ...) davon ausgehen, dass es zwar kein Ziel hat, aber dennoch ein Ziel hat? Es hat kein Ziel im herstellenden Sinn: Wir intendieren mit diesem Handeln kein Endprodukt (der Schuh ist zum Tragen da) und es ist kein Mittel zu etwas anderem (das Hämmern dient zum Zimmern). Das menschliche Leben ist im Bezug auf diese Unterscheidung eher Vollzug als ein Produzieren. Zwar sprechen wir auch von einer Lebensleistung und man reproduziert sich, wenn man Kinder bekommt. Aber wenn die Kinder erwachsen sind und man im Alter nicht mehr produktiv tätig sein kann, ist das Leben nicht „fertig.“ Es scheint irgendwie eher ein Zeitvertreib zu sein, wie Tanzen und Golfspielen.

Dennoch sind wir, wenn wir Aristoteles folgen, auf die Annahme verpflichtet, dass alle Handlungen ein Ziel haben: das Glück. [[Glück als Ziel von Handlungen ohne Ziel?]] Vollziehende Handlungen haben in diesem Sinne ein Ziel, ohne auf ein Endprodukt zu zielen oder Mittel zu einem anderen zu sein. Diese zunächst bloß systematische Forderung (wir akzeptieren die von Aristoteles vorgestell-[< 20]te Unterscheidung) versteht man unter Verweis auf das inklusive oder exklusive Glückskonzept besser, das auf die Vorstellung des „etwas im Lichte einer Konzeption des gelingenden Lebens Sehen“ führte. Wenn man sich und sein Handeln im Lichte einer bestimmten Konzeption des gelingenden Lebens sieht, verändern sich Einschätzungen, Entscheidungen und Reflexionen. Konkrete Handlungsoptionen verändern ihre Bedeutung.

Man denke an die Konzeption eines gelingenden Urlaubs einer Person, die gerne Golf spielt. [[Golf spielen]] Golf spielen im Urlaub gilt ihr weder als Mittel zu etwas noch produziert sie damit Erholung. Man kann sagen, dass das Golf Spielen für das Gelingen des Urlaubs förderlich bzw. konstitutiv ist. Ob man das sagt, hängt jeweils von der Konzeption eines gelingenden Urlaubs ab. Eine solche Konzeption mag subjektiv sein (andere wollen lieber bei der Weinernte in der Provence helfen oder sich am Strand sonnen). Neben solchen subjektiven Bedingungen, haben unsere Urlaubskonzeptionen auch objektive Bedingungen. Denn im Urlaub darf man nicht im eigentlichen Sinne arbeiten (gegen Lohn etwas herstellen oder Dienstleistungen erbringen). Und nicht immer ist Golf spielen im Urlaub möglich. Vielleicht ist der Rasen durch Regen durchweicht oder Zugvögel haben den Golfplatz gerade in Besitz genommen. Da Glück also auch Glückssache ist, sollte man unter einem gelingenden Urlaub vielleicht mehr als nur Golf spielen verstehen.

Das [[(3) Glück als Ziel des Handelns im Maßstabssinn]] Glück besteht also notwendig in bestimmten Tätigkeiten, aber keine bestimmte Tätigkeit ist notwendige oder hinreichende Bedingung für Glück. Welche Handlungen, Tätigkeiten, Arbeitsvorgänge und Erlebnisse in welcher Weise glückskonstitutiv werden können, hängt von einer Konzeption des gelingenden Lebens ab, die uns die Dinge unseres Lebens in einem bestimmten „Licht“ sehen lässt. Dieses Licht liefert uns Gründe und Motivationen zu handeln. Glück ist also Ziel im Maßstabssinn.

Wer im Urlaub Golf spielt, hat daher das Ziel, den Golfball auf den verschiedenen Bahnen in die Löcher zu putten, weil seine Konzeption des gelingenden Urlaubs ihm Golf Spielen als Urlaubsziel plausibel erscheinen lässt. Und er hat darin auch Gründe, den Vorschlag eines Museumsbesuches als unpassend abzulehnen. Konzeptionen des gelingenden Urlaubs sind ebenso wie die des gelingenden Lebens in jeder Handlung eines Urlaubs und des Lebens Ziele in einem Maßstabssinn. Sie können mehr oder weniger exklusiv oder inklusiv sein.

Die [[Und wo bleibt die Moral?]] Frage nach dem Maßstab des Gelingens für den Urlaub mag subjektiv sein, aber die Frage nach dem gelingenden Leben erachten wir in vielen Hinsichten als moralisch. Das genießerische Leben ist an sich kein Problem, aber der Genuss des Sadisten ist unmoralisch. Das [< 21] Streben nach Wissen ist an sich kein Problem, aber der Wissenschaftler im Elfenbeinturm vernachlässigt vielleicht seine Kinder. Das Leben des Theoretikers könnte ebenso unglücklich sein wie das des Sadisten. Doch nach welchem normativen Maßstab lässt sich das beurteilen? (Vgl. insgesamt zur Antike Forschner 1993.) Der Maßstab für das Glück wird bisweilen als ein vollkommener moralischer oder tugendhafter Lebensvollzug bestimmt. Was das bedeutet, ist Gegenstand der Ethik insgesamt. Für eine philosophische Konzeption des Glücks sind an dieser Stelle nur zwei Dinge wichtig: (1) Wie subjektiv ist das Glück? (2) In welcher Beziehung stehen das Glück und die Moral zueinander?

Es hat sich gezeigt, dass das [[(4) Subjektivität, Pluralität und Systematizität des Glücks]] Glück nicht im Sinne der Lust epistemisch subjektiv ist. Das Glück kann nicht bloß in einem aktualen Bewusstseinszustand (Lust, Wunsch, Vernunft) bestehen. Dennoch kann das Glück des tugendhaften Lebens nicht vollkommen lustlos sein. Im Konzept der „Freude“ muss es also für die Lust einen Platz geben. Aber auch im Geltungssinn kann Glück subjektiv sein: Passt das aktive Leben zu mir? Oder sollte ich mich doch lieber ganz der Wissenschaft verschreiben? (Oder der Malerei?) Eine pluralistische Konzeption des Glücks müsste Glück objektiv als zumindest partiell subjektives Konzept bestimmten. Man verfügt dann über Gründe, weswegen ein bestimmtes Leben zu einem selbst passt und deshalb für diese Person glückskonstitutiv wäre, wenn ihr alles glückt.

Wie stark ist die konzeptionelle [[systematische Einheitsideale]] Einheit des Glücks? Diese Frage steht auch im Zentrum der Wahl zwischen dem aktiven und dem theoretischen Leben als exklusiven Lebensentwürfen. Man kann sich aber auch konkret das Leben eines Künstlers vorstellen, das kompromisslos der Kunst gewidmet ist. Für ihn ist das Leben eines Normalbürgers ,unzumutbar.‘ Nehmen wir an, dass das Leben des Normalbürgers aus entfremdeter Lohnarbeit und einem reichen Familienleben in der Freizeit besteht. Die Lohnarbeit langweilt ihn und führt dazu, dass viele künstlerische und intellektuelle Fähigkeiten verkümmern, aber sie stattet ihn mit genügend materiellem Wohlstand aus, damit er sich in der Freizeit seiner Familie widmen kann. Dem Künstler wäre ein solches Leben ein Graus. Die Bedingungen der Zumutbarkeit führen (nicht erst heute) zu einer Pluralität der Glücksinhalte: Eine philosophische Ethik darf weder dem Künstler ein normales Leben noch dem Normalbürger das Leben eines Künstlers zumuten. (Aufgrund einer Ethik Unangenehmes leiden zu müssen, ist doppeltes Leid.) Zumindest eine gewisse Vielfalt von (sich wechselseitig ausschließenden) Lebensentwürfen muss in Form von individuell geltenden Alternativen objektiv begründbar sein. (Kymlicka 1997, S. 154 f., 162 ff.; Nielsen 1973.)[< 22]

Es wird deutlich, dass man sich über das Verhältnis von [[Glück und Moral]] Glück und Moral klar werden muss. Der Hedonist sieht die Moral als glückswidrig, weil sie ihn zwingt, sich Lust zu versagen (Unvereinbarkeitsthese). Hedonisten in einem weiteren Sinne (also nicht „Lust,“ sondern „Freude“) können der Auffassung sein, dass das Glück mit der Moral vereinbar ist (Harmoniethese) oder dass es mit der Moral identisch ist (Koinzidenzthese). Diese Fragen können nur im Rahmen der Ausarbeitung einer bestimmten Ethik und einer mit ihr vereinbaren Sammlung an moralischen Normen, Regeln und Werten diskutiert werden. Hält man aber an einer Pluralität der Glücksinhalte fest, dann erscheint die Koinzidenzthese zu stark.

Man muss also die Frage nach der [[Reichweite der Ethik]] Reichweite der Ethik stellen. Denn eine Ethik scheint zwischen der hedonistischen Lust und der Moral zu stehen. Je nachdem, wie wir eine Ethik philosophisch konzipieren, stellt sich uns das Verhältnis zwischen dem motivierenden Genussleben und dem moralischen Leben anders dar. Für den französischen Maler Paul Gauguin war es vielleicht moralisch angemessen, Ende des 19. Jahrhunderts Frau und Kinder zu verlassen, um auf Tahiti zu malen und dort mit einem sehr jungen tahitianischen Mädchen zusammen zu leben.

Einführung in die Philosophische Ethik

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