Читать книгу Petersburg - Andrei Bely - Страница 6

Brief mit spanischer Marke

Оглавление

Inhaltsverzeichnis

Auf dem Tisch erhob sich eine kalte, langbeinige Bronze; des Lampenschirms rosig-violette Farbe schimmerte nicht: verloren hat das neunzehnte Jahrhundert das Geheimnis dieser Farbe; das Glas dunkelte ab von der Zeit, und ebenso die feine Zeichnung.

Die goldenen Trumeaus zwischen den Fenstern verschlangen überall mit dem Grün ihrer Spiegelflächen den Salon; Perlmuttertischchen schimmerten neben jedem Trumeau.

Sich mit der Hand auf die fein geschliffene Kristallklinke stützend, öffnete Apollon Apollonowitsch rasch die Tür; seine Schritte hallten auf dem glänzenden Parkett; überall an allen Ecken standen Haufen kleiner Nippsachen aus Porzellan; diese Nippsachen brachten sie mit aus Venedig, er und Anna Petrowna, vor — vor nun dreißig Jahren.

Seine Augen glitten zum Klavier hinüber.

Apollon Apollonowitsch erinnerte sich: eine weiße Petersburger Nacht; hinter den Fenstern ein breiter Fluß; der Mond stand oben, und es rauschte eine Roulade von Chopin: ja, er weiß es noch; Chopin (nicht Schumann) hatte Anna Petrowna gespielt . . .

Apollon Apollonowitsch ließ sich in einen Empiresessel nieder, wo auf dem blaßblauen Atlas des Sitzes Kränzchen sich wanden, seine Hand griff nach dem chinesischen kleinen Tablett, auf dem ein Paket uneröffneter Briefe lag; sein kahler Kopf neigte sich über die Briefe. In Erwartung des Kammerdieners mit der Meldung: »Der Wagen wartet« vertiefte er sich in die Morgenpost.

Die Kuverte wurden erbrochen, eins nach dem anderen.

»Hm . . . So—o, so—o— so—o: schön . . .«

Und eines der Kuverte wurde sorgfältig eingesteckt.

»Hm . . . Bittgesuch . . .«

»Bittgesuch, Bittgesuch . . .«

Ein Umschlag aus massivem grauen Papier, versiegelt, mit Wappenzeichen, ohne Marke, mit Siegellackpetschaft.

»Hm . . . Graf Dublwe . . . Was mag’s wohl sein? Bittet, im Bureau zu empfangen . . . Persönliche Angelegenheit . . .«

»Hm . . . Aha! . . .«

Graf Dublwe, das jetzige Oberhaupt des neunten Departements, war der Gegner des Senators.

Weiter . . . Ein blaßrotes Miniaturkuvert; die Hand des Senators erbebte, Anna Petrownas Schrift; er besah sich die spanische Marke, brach aber das Kuvert nicht auf:

»Hm . . . Geld? . . .«

»Geld war ja abgeschickt?«

»Es wird geschickt werden!! . . .«

»Hm . . . notieren . . .«

In der Meinung, einen Bleistift aus der Tasche gezogen zu haben, hielt er ein beinernes Nagelbürstchen in der Hand und wollte gerade die Notiz: »Zurücksenden« machen, als . . .

»— ? . . .«

»Der Wagen wartet . . .«

Apollon Apollonowitsch hob den kahlen Kopf und schritt hinaus aus dem Zimmer.

An den Wänden hingen Bilder, deren ölig schimmernde Leinwand nur mit Mühe Französinnen unterscheiden ließ, die wie Griechinnen aussahen, in engen Direktoire-Tuniken und riesenhohen Frisuren.

Über dem Klavier hing eine verkleinerte Kopie des Bildes von David: »Distribution des aigles par Napoléon premier.«

Kalt war die Pracht des Salons wegen des vollständigen Mangels an Teppichen; der Parkettboden glänzte; würde ihn die Sonne einen Augenblick bescheinen, die Augen würden von selbst sich geschlossen haben. Kalt war dieses Gastzimmers Gastfreundschaft.

Senator Ableuchow aber hat diese Kälte zum Prinzip erhoben.

Sie prägte sich: im Wirt, in den Bronzen, in den Dienern, selbst in der tigerähnlichen, dunkelfarbigen Bulldogge, die irgendwo in der Nähe der Küche lebte.

Mit der Abreise Anna Petrownas verstummte der Salon; der Deckel des Klaviers klappte zu, keine Roulade erklang mehr.

Ja, was Anna Petrowna betrifft — oder einfacher gesagt, was den Brief aus Spanien betrifft: kaum war Apollon Apollonowitsch hinausgeschritten, begannen zwei Lakaien miteinander zu plappern:

»Er las den Brief nicht . . .«

»I wo: fällt ihm nicht ein, ihn zu lesen . . .«

»Wird er ihn zurückschicken?«

»Wahrscheinlich ja.«

»So ein Stein von einem Menschen, Gott sei mir gnädig.«

»Ich will Ihnen was sagen: Sie sollten delikater in Ihren Ausdrücken sein.«

Während Apollon Apollonowitsch ins Vorzimmer schritt, sah der grauhaarige Kammerdiener, ebenfalls hinschreitend, zu den würdigen Ohren empor und drückte in der Hand seine Tabakdose — ein Geschenk des Ministers.

Apollon Apollonowitsch blieb auf der Treppe stehen und suchte nach einem Wort.

»Mm . . . hören Sie . . .«

»Exzellenz?«

Apollon Apollonowitsch suchte nach einem passenden Wort.

»Was im allgemeinen — ja — macht . . . macht . . .«

»—? . . .«

»Nikolai Apollonowitsch.«

»Nichts weiter, Apollon Apollonowitsch, der junge Herr befinden sich wohl.«

»Und sonst?«

»Wie immer: Der junge Herr geruhen sich einzusperren, lesen Bücher.«

»Auch Bücher?«

»Dann promenieren der junge Herr durch die Zimmer.«

»Promenieren — ja, ja . . . Und . . . Und? Wie?«

»Der junge Herr promenieren . . . im Schlafrock . . .«

»Lesen, promenieren . . . So. Weiter?«

»Gestern erwarteten der junge Herr . . .«

»Erwarteten — wen?«

»Den Kostümeur . . .«

»Was für einen Kostümeur?«

»Den Kostümeur.«

»Hm — hm . . . Wozu denn eigentlich?«

»Ich denke mir, der junge Herr wollten zu einem Ball . . .«

»Aha — so . . . zu einem Ball . . .« Apollon Apollonowitsch rieb sich an der Nasenwurzel: ein Lächeln erhellte sein Gesicht, es wurde plötzlich greisenhaft.

Apollon Apollonowitsch nahm seinen Zylinder und schritt durch die geöffnete Tür.

Petersburg

Подняться наверх