Читать книгу Alex und Alexandra - Angela Rommeiß - Страница 10
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ОглавлениеEs war viel Arbeit.
Es war so viel Arbeit, dass Alexandra manchmal meinte, es nicht in zwei Leben zu schaffen. Die Müllsäcke füllten sich allmählich und stapelten sich unter Frau Eberleins wachsamen Blicken an der Hausmauer zu unschönen Bergen auf. Alex musste mit anpacken, ob sie wollte oder nicht. Zu Alexandras Verwunderung stellte sich das Mädchen gar nicht schlecht an. Außerdem hatte sie im Gegensatz zu ihrer Mutter keine Angst vor Spinnen, die sie cool fand, was in diesem Haus ein unschätzbarer Vorteil war.
Nach einer Woche sah das Haus schon ganz anders aus, sie hatten viel geschafft: Die Fenster waren geputzt, der Flur und die Räume von Spinnenweben und dem ärgsten Schmutz befreit. Die tote Katze war ebenso wie der Elektrokocher, die Bettdecken, die Matratzen und die Vorhänge auf dem Müll gelandet. Ein großer LKW von einer Entsorgungsfirma hatte alles schnell und unkompliziert abgeholt.
Alexandra wollte demnächst in ein Möbelhaus fahren, um neue Matratzen zu kaufen und die Schlafräume im ersten Stock bewohnbar zu machen. Zumindest Alex sollte so schnell wie möglich ein eigenes Zimmer bekommen, damit sie sich hier heimisch fühlte. Alexandra wollte gern das alte Zimmer von Tante Anna beziehen, und so durfte Alex das größte Zimmer haben.
Es hatte immer noch etwas von einem Abenteuer an sich, wie sie hier lebten, als wären sie in einem Feriencamp und würden bald wieder heimfahren. Vor allem Alex fiel es schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie nun für immer hierbleiben sollte. Sie wollte auch gar nicht hinaus, um eventuell andere Jugendliche kennenzulernen, sondern blieb lieber drin und telefonierte. Manchmal stöberte sie voller Eifer irgendwo herum und erinnerte ihre Mutter an das Kind, das sie vor kurzem noch gewesen war. Bald darauf verwandelte sie sich aber wieder in den motzigen Teenager, an den sich ihre Mutter nicht gewöhnen wollte. Wenigstens erledigte Alex alle Aufgaben, die ihr übertragen wurden, mehr oder weniger eifrig. Sie schien zu Alexandras Erleichterung sogar einen gewissen Stolz darauf zu entwickeln, was sie hier zusammen schafften. An den Nachmittagen saßen sie oft in ihrer gemütlichen Küche, aßen gekauften Kuchen aus der Tüte und besprachen ihre Fortschritte.
Alexandra war derweil ein bisschen mehr im Ort herumgekommen. Sie hatte den Friedhof besucht und die Gräber ihrer Großeltern und ihrer Tante gefunden. Der Grabstein des Doppelgrabes von Karl und Wilma Sebach lag im hinteren Teil des Friedhofes, der ihrer Tante Anna weiter vorn.
Wer hatte Annas Grabstein bestellt und bezahlt? Das musste doch ihre Mutter gewesen sein? Sicherlich war sie damals auch zur Beerdigung hierhergefahren. Alexandra hatte davon nichts mitbekommen, und sie grübelte erneut darüber nach, warum ihr Mutter nicht schon zu dieser Zeit von der Finkendorfer Verwandtschaft erzählt hatte. Was mochten nur die Gründe für diese Heimlichtuerei gewesen sein?
Zu Alexandras Verwunderung waren die Gräber nicht von Unkraut überwuchert, wie sie angenommen hätte, sondern sauber abgeharkt und von immergrünen Pflanzen bewachsen. Sie nahm sich vor, demnächst ein paar Blumenschalen aufzustellen und regelmäßig zu bepflanzen. Sicherlich erwarteten die Nachbarn, die bisher die Gräber gepflegt hatten, von ihr, dass sie sich nun selbst um deren Pflege kümmerte, und das wollte sie auch tun.
Da hatte sie nun endlich ihre Familie gefunden, und es blieb ihr nichts anderes, als deren Gräber zu pflegen! Während sie so dastand und auf Tante Annas letzte Ruhestätte nieder sah, nahm sie sich vor, sich nach einer Grabumbettung ihrer Mutter zu erkundigen. Adele Sebach sollte auch hier bestattet sein, neben ihrer Schwester und ihren Eltern in dem Dorf, in dem sie geboren worden war. Sie gehörte nicht nach Berlin in diese anonyme Großstadt, wo ganz bestimmt niemand das Grab einer Fremden pflegen würde. Im Gegenteil, die Leute würden sich über das ungepflegte Grab bei der Friedhofsverwaltung beschweren und diese würde die Angehörigen mit einem Mahnbrief an ihre Pflichten erinnern. Diese Pflichten konnte aber Alexandra nicht mehr wahrnehmen, weil sie wahrscheinlich immer seltener nach Berlin kommen würde. Und irgendwann gar nicht mehr.
Wenn Alexandra auf der Straße stand und sich mit Frau Eberlein unterhielt, kamen oft Leute vorbei, um sich am Gespräch zu beteiligen und sich die „Neue“ von Nahem zu besehen. Frau Eberlein platzte fast vor Stolz, dass sie die erste gewesen war, die über die Neuankömmlinge Bescheid gewusst und mit ihnen geredet hatte.
Es war für Alexandra faszinierend zu sehen, dass sich hier tatsächlich alle Leute kannten. Und zwar nicht nur oberflächlich vom Sehen, nein, man wusste über die Nachbarn alles: Wie alt sie waren, was für Krankheiten und Eigenheiten sie hatten, wie die Kinder in der Schule waren und wie die Haustiere hießen, welche Dummheiten sie in ihrer Jugend angestellt hatten, mit wem wer verwandt war und so weiter und so fort. Alexandra hörte aufmerksam zu. Sie hegte die Hoffnung, irgendwann vielleicht herauszufinden, wer ihr Vater gewesen war. Könnte es tatsächlich Herr Karge sein? Oder ein anderer Mann, der hier im Ort oder in der Nähe wohnte? Vielleicht hatte er eine Familie – Eltern und Kinder? Es wäre doch möglich, dass sie noch Großeltern und Geschwister hier hatte? Nach ihrer Trennung von Stefan war Alexandras Sehnsucht nach der Geborgenheit einer echten Familie größer denn je, und je besser sie die Leute hier kennenlernte, umso eher würde sie etwas Interessantes über ihre Mutter erfahren. Vorerst ließ sie sich aber geduldig ausfragen und über den neuesten Klatsch und Tratsch informieren.
Ein Mann aus dem Hof, der neben der Gärtnerei lag, bot ihr einen Welpen an. Seine Hündin hätte vor sieben Wochen geworfen, er wüsste noch nicht genau, wie die Welpen aussehen würden, wenn sie groß sind, aber wahrscheinlich wäre wieder der freche Flocki von Müllers - ein ganz schlimmer Streuner - der Vater, und dann würden es kleine, wuschelige Mischlinge werden. Alexandra wollte erst freundlich ablehnen, aber dann dachte sie: „Warum eigentlich nicht? Wir haben doch jetzt einen Garten und hier muss man niemanden um Erlaubnis fragen, ob man in seiner Wohnung einen Hund halten darf. Und Alex – na, die wird sich nicht mehr einkriegen vor Freude! Wenn sie einen eigenen Hund besitzt, wird sie bestimmt auch mal ins Dorf gehen und Bekanntschaften schließen.“ Alexandra sagte dem Mann zu, dass sie gern einen Welpen nehmen würde und fühlte sich gut dabei.
Nicht gut fühlte sie sich, wenn sie über ihre Finanzlage nachdachte. Das Geld wurde knapp, sie mussten sparen. Dabei war noch so viel zu tun und anzuschaffen! Die Toilette war benutzbar, aber Alexandra wollte sie doch gern modernisieren, schon wegen des Wasserverbrauchs. Wenigstens das Toilettenbecken und der Spülkasten mussten ausgetauscht werden, außerdem brauchten sie ganz dringend einen neuen Heißwasserboiler. Eigentlich gehörte das ganze Badezimmer frisch gefliest und mit neuen Armaturen ausgestattet, aber dafür fehlte ihr einfach das Geld.
Ein befreundeter Architekt, der zufällig beruflich in der Gegend war und sich das Haus auf ihren Wunsch hin angesehen hatte, machte ihr keine Hoffnungen, die Renovierung auf eigene Faust durchziehen zu können.
„Das Dach, Alexandra, das Dach muss in Ordnung sein, das ist zunächst das Wichtigste. Hast du die Stockflecke an der Decke gesehen? Da hat es seit Jahren reingeregnet, das kannst du mir glauben. Man braucht sich das Dach ja bloß von außen ansehen, da weiß man schon Bescheid. Die Schornsteine gehören auch repariert. Eigentlich müsste eine neue Heizung rein, aber zumindest muss der Schornsteinfeger mal kommen.“
„Den hab ich schon angerufen, der kommt nächste Woche“, warf Alexandra ein, froh, wenigstens einen kleinen Teil richtig gemacht zu haben.
Doch ihr Freund schaute sie ernst an. „Hoffentlich legt er dir die Öfen nicht still.“
Alexandra war erschrocken. „Darf er denn das? Ich meine, sie funktionieren doch! Und im Schuppen ist noch eine Menge Brennholz, auch Kohlen sind noch da. Also wurden die Öfen noch bis vor fünf Jahren betrieben. Sag mir doch auch mal was Positives, Uwe!“
Der große, korpulente Mann lachte. „Na gut, das Positive. Also, die Bausubstanz ist ganz gut, soweit ich das sehe. Kein Schimmel, solides Mauerwerk. Einen Keller hast du nicht, der voller Wasser stehen könnte, die Fußböden sind in Ordnung. Allerdings könnten die Dielen im Wohnzimmer einen Schliff und eine neue Versiegelung vertragen.“
Alexandra winkte nur ab. „Da hab ich Wichtigeres zu tun. Was ist mit den Fenstern?“
„Das sind gute, alte Doppelfenster, sieht man heute gar nicht mehr. Erst musst du das eine öffnen, dann das andere. Die Leute früher waren gar nicht so dumm, im Grunde eine geniale Erfindung. Aber sie sind natürlich sehr alt, der Kitt bröckelt raus und verzogen sind sie auch. Ich glaube nicht, dass dir die noch jemand repariert. Da müssten schon neue rein.“
„Und was kostet das?“, fragte Alexandra vorsichtig.
Uwe wiegte den Kopf. „Da kannst du schon mit drei Nullen hinten dran rechnen, meine Liebe. Wenn du mich fragst, ist das Haus ein Loch, in dem man sein Vermögen versenken kann. Abreißen und neu bauen, würde ich raten!“
Alexandra lachte bitter. „Ja, du. Du bist ja auch ein Mann und ein Architekt dazu. Ich muss sehen, dass ich es einigermaßen herrichte, dass ich hier wohnen kann. Viel Geld habe ich nicht mehr, die Ersparnisse meiner Mutter gehen langsam zur Neige.“
„Was ist mit Unterhalt?“, fragte Uwe vorsichtig. „Zahlt dir Stefan was?“
„Warum sollte er das? Wir sind noch nicht geschieden, und schließlich habe ich ihn verlassen. Ich will auch nicht betteln, weißt du.“
Uwe nickte, ein wenig peinlich berührt. Er war Stefans ehemaliger Kollege, sie hatten eine Zeitlang im selben Baubüro gearbeitet und sich angefreundet. Ein paarmal hatten er und seine Frau mit Stefan und Alexandra zusammen Silvester gefeiert. Es tat ihm leid, dass die Ehe der beiden auseinanderging, zumal er nicht begreifen konnte, dass sich Stefan mit anderen Frauen einließ, wo doch seine eigene eine gutaussehende, kluge Frau war, die so manchem Mann den Kopf verdrehen könnte. Aber wer wusste schon, wie es in andern Beziehungen zuging.
„Ich muss los, Alexandra. Nächste Woche schau ich nochmal rein. Beschaff dir einen Klempner, einen Elektriker und den Schornsteinfeger, dann musst du dir eine Dachdeckerfirma besorgen. Ich schicke dir mal ein paar Adressen. Hast du ein Faxgerät?“
Alexandra lachte. „Nicht mal Handyempfang haben wir im Erdgeschoss. Ich muss wohl auch noch die Telekom anrufen, dass sie mir einen Festnetzempfang legt. Alex will außerdem wieder ausziehen, wenn nicht bald ein Fernseher hier steht – also am besten, ich rufe dich an, wenn ich im Lotto gewonnen habe!“
„Na, na, nicht so pessimistisch. Das wird schon!“, brummte Uwe und verabschiedete sich.
Alexandra blieb resigniert zurück.
Abreißen und neu bauen, ha! Sie würde nur die notwendigsten Dinge erledigen können, und auch die würden ihre Finanzen überschreiten. Das Dach, ja, das musste unbedingt gemacht werden. Auch die Elektrik war so veraltet, dass man Angst haben musste, dass es zu einem Brand kam. Mit den Fenstern könnte sie sicherlich noch warten, schließlich kam jetzt erst mal der Sommer. Sie musste zusehen, dass sie einen neuen Job fand, und dann eventuell einen Kredit aufnehmen.
„Ach, Mutti!“, seufzte Alexandra. „Von wegen: Kümmere dich um das Haus. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?“