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Das laute, unmelodische Hupen drang in alle Häuser.

Einen Moment später öffneten sich Hoftore und Frauen kamen heraus, die Geldbörse in der einen, den Korb in der anderen Hand. Meistens waren es ältere Frauen, wenige junge und gar keine Männer. Sie trugen bunte Kittelschürzen und Kopftücher, an den Füßen hatten sie Stallschlappen oder Hausschuhe. Eine junge Frau trat aus einem Gartentor, hinter dem einen Moment später ein lautes Heulen ertönte. Sie eilte zurück und kam mit einem kleinen, etwa zweijährigen Jungen auf dem Arm wieder heraus, mit dem sie sich zu den Frauen gesellte, die am Bäckerauto standen.

„Na, wollte dich die Mutti nicht mitnehmen?“, wurde das Kind von einer der älteren Frauen angesprochen. Sie hatte eine frische Dauerwelle und war in puscheligen Hauspantoffeln erschienen, die ihre Beine noch dürrer erscheinen ließen, als sie ohnehin schon waren. Der Kleine steckte den Daumen in den Mund und barg den Kopf an der Schulter der Mutter.

„Bei uns hätte es das früher nicht gegeben – mal kurz heulen, und schon gibt die Mutter nach. Ein paar hinten drauf gab‘s da, weiter nüscht“, meldete sich eine andere Frau zu Wort, die ihren massigen Körper in eine lilafarbene Kittelschürze gezwängt hatte. Sie hielt ihre Worte anscheinend für freundlich, denn sie neigte ihr Gesicht ein paarmal zu dem Kleinen hinab und sagte dabei jedes Mal neckend: „Weiter nüscht, weiter nüscht!“

Das Kind starrte die Frau stumm an.

„Oder in den Laufstall. Meine waren nur im Laufstall. Hast du denn keinen Laufstall, Verena?“, mischte sich Frau Eberlein, die dritte im Bunde, in das Gespräch.

Die junge Frau schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab.

„Es ist nicht mehr wie früher, Elvira!“, gab die Dicke zu bedenken. „Die jungen Leute hören nicht mehr auf die Alten. Machen alles wie sie wollen. Keine Ordnung mehr, keine Erziehung, nix! Zwei Sahneeclairs bitte und drei Pfannkuchen. Ach und geben Sie mir noch ein paar von den Nussecken dort. Das war alles.“

Die Verkäuferin im Wagen warf der jungen Mutter von ihrer erhöhten Position aus ein kleines Grinsen zu, während sie der korpulenten Kundin die Leckereien in eine Tüte steckte. Die junge Frau antwortete mit einem vielsagenden Lächeln. Derweil hatte sich das Gespräch einem anderen Thema zugewandt.

„... und der Garten sieht aus wie eh und je, nur Kraut und Rüben. Es ist noch nicht mal umgegraben, dabei muss doch jetzt die Frühjahrssaat rein. Wir haben schon alles drin, die Möhren, die Erbsen...“

„Was, jetzt erst? Das hat mein Mann alles schon Anfang April drin gehabt!“, mischte sich gleich lautstark Frau Eberlein ein.

„Na, der muss ja auch immer der Erste sein“, antwortete die Angesprochene beleidigt. „Wenn er so viel Zeit hat, kann er ja mal bei der jungen Sebach umgraben, das würde ihm doch bestimmt Spaß machen“, fügte sie gehässig hinzu.

„Puh“, antwortete Frau Eberlein und pustete die Backen auf, wodurch sie wie ein Kugelfisch aussah. „Das soll sie man schön selber machen, hat ja Zeit genug. Geht ja auch nicht arbeiten, wie‘s scheint. Aber keinen Handschlag tun, so sind sie, die Städter!“

„Aber der Vorgarten ist doch schon sehr hübsch. Und immerhin renoviert sie ja das Haus. Alles auf einmal kann sie ja auch nicht machen“, mischte sich jetzt doch die junge Mutter ins Gespräch und trat einen Schritt in der Schlange vor. Die dünne Frau, die vor ihr dran war, reichte dem Kleinen ein Brötchen, welches er ohne Zögern ergriff und anbiss.

„Ach was, das ist nur Getue, weiter nichts. Jahrelang hat sie sich nicht um das Haus gekümmert und auf einmal kommt sie doch, jetzt, wo alles verfallen ist. Soll sie doch sehen, wie sie zurechtkommt. Ich helfe ihr nicht mehr.“ regte sich Elvira Eberlein auf.

„Was ist dir denn über die Leber gelaufen?“, erkundigte sich die Dünne. „Warst doch bis jetzt ganz angetan von deiner neuen Nachbarschaft - weil du wieder was zum Gucken hast!“

Sie lachte und die anderen lachten mit. Das erboste Frau Eberlein.

„Hab mich immer um das Haus gekümmert, alles in Ordnung gehalten und - was ist der Dank? Hat die Türschlösser ausgetauscht, stellt euch das mal vor. So ein Undank.“

Die drei anderen Frauen verstummten und wandten sich alle gleichzeitig Frau Eberlein zu.

„Du hattest noch einen Schlüssel?“, fragte die Dicke in der lila Kittelschürze ungläubig.

„Den hättest du ihr aber geben müssen“, fügte die Hagere vorwurfsvoll hinzu.

„Wie haben Sie denn gemerkt, dass sie das Schloss ausgetauscht hat?“, fragte Verena. „Wollten Sie etwa ins Haus, als keiner da war?“

Frau Eberlein wurde es unbehaglich zumute, als sie sich plötzlich im Fokus der Missbilligung fand. Doch sie reagierte wie immer in solchen Situationen: Angriffslustig und mit unsachlichen Argumenten.

„Was soll ich denn bei denen im Haus? Ich kann mich schließlich nicht um alles kümmern und es geht mich ja auch nichts an. Ich war nur zweimal dort, seit sie hier wohnen und das ist ja auch mein gutes Recht, um die Anna hab ich mich ja auch gekümmert, die Arme. Haben die sich jemals um ihre Tante gekümmert? Aber bei denen stimmt was nicht, das sage ich euch. Die Anna war ja auch nicht ganz richtig im Kopf, das weiß ja jeder. Verrückt war die. Und seht euch doch nur die Ähnlichkeit an, ist das nicht unheimlich? Da ist sie bestimmt auch verrückt, und kochen kann sie auch nicht. Kauft immer nur so ein Fertigzeugs, das ist doch ungesund. In der Mülltonne liegen nur Dosen und Fertigsuppentüten, das hab ich genau gesehen. Das Mädchen kann einem leidtun, und geschiedene Kinder sind ja besonders anfällig...“

„Anna war nicht verrückt, sie hatte nur Depressionen!“, mischte sich Verena ein.

„Das ist dasselbe!“, fertigte sie Frau Eberlein mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. „Wird ja wohl einen Grund haben, dass ihr Mann sie rausgeworfen hat, oder? Am besten, man gibt sich nicht mit denen ab. Nichts als Undank erntet man, nichts als Undank! Das hab ich auch zu meinem Mann gesagt: Herbert, sag ich, am Ende steht man noch als Verbrecher da, nur weil man mal nach dem Rechten gesehen hat. Nee nee, das muss ich mir nicht gefallen lassen...“

Die dünne Frau hatte sich kopfschüttelnd zum Gehen gewandt, weil sie wusste, dass diese Litanei noch eine gute Weile weitergehen würde. Und so verließ eine nach der anderen die Runde, die Fahrerin des Bäckerautos schloss die große Klappe ihres Verkaufswagens und fuhr weiter. Als sie außer Sicht war, ertönte wieder das laute Hupen, um die Kunden in der unteren Gasse herauszurufen.

Frau Eberlein, die alleine zurückblieb, erzählte noch ein bisschen weiter, bis auch die letzte ihrer Nachbarinnen das Tor hinter sich geschlossen hatte, dann ging sie ebenfalls ins Haus.

Als sie fort war, öffnete sich eines der Hoftore einen Spaltbreit. Ein Auge lugte heraus, und als es auf der Straße niemanden mehr erblickte, kam die junge Frau mit ihrem Kind heraus, schloss die Tür und ging schnell zum Nachbarhaus hinüber, wo sie an die Tür klopfte. Einen Moment später öffnete Alexandra die Tür, strich sich die zerzausten Haare aus dem Gesicht und bat ihre Nachbarin herein. Als sich die Tür hinter den Frauen schloss, bewegte sich sachte die Gardine im Haus gegenüber.

„Hübsch, wirklich hübsch haben Sie es jetzt hier!“

Alexandra lächelte und goss ihrer Besucherin Kaffee ein. Dem kleinen Jungen bot sie einen Keks an, aber er war so fasziniert von Mimi, die schwanzwedelnd vor ihm saß, dass er den Keks bloß zwischen seinen dicken Fingerchen zerdrückte. Darauf hatte Mimi nur gewartet. Sie leckte schmatzend jeden Krümel auf, der auf den Boden fiel und wartete ungeduldig auf Nachschub.

Die junge Frau hatte sich als Verena Krüger vorgestellt, sie wohnte nebenan. „Ich wollte ja schon immer mal rüberkommen, eigentlich mit einem Willkommensgeschenk, aber ich bin irgendwie nicht dazu gekommen. Heute habe ich frei, weil mein Mann auf dem Arbeitsamt ist, aber sonst arbeite ich ja auch den ganzen Tag. In Marsdorf im Supermarkt, wissen Sie. Ich bin dort die Leiterin der Lebensmittelabteilung!“

„Oh, das ist toll!“, lobte Alexandra.

Die Jüngere nickte stolz. „Mein Mann war im Babyjahr mit Nico, aber jetzt kommt der auch bald in den Kindergarten, wie die Lene, und da kann Knut wieder arbeiten. Er sucht was als Fahrer, am liebsten Baumaschinen, er kann aber auch Bus fahren, er hat den Beförderungsschein.“

Alexandra nickte und fragte sich, ob es wohl an dem Trinkwasser hier im Dorf lag, dass die Leute alle so geschwätzig waren. Vielleicht würde sie selbst bald auch die ersten Anzeichen davon spüren und ohne Punkt und Komma reden können.

Verena deutete das Lächeln ihrer Gastgeberin falsch. „Es hat ziemlich viel Gerede gegeben, weil Knut das Babyjahr genommen hat. Vor allem die Männer können das gar nicht akzeptieren, wenn sich Ihresgleichen mit Weiberkram abgibt, manche haben ihn wirklich und wahrhaftig geschnitten, als wäre er ein Verräter!“

„Also ich finde es klasse, dass er das gemacht hat, und es war ja auch am Vernünftigsten so. Es gibt immer engstirnige Leute, so ist das nun mal. Die Männer haben nur ein Problem damit, dass eine Frau mehr verdient als sie selber“, antwortete Alexandra.

„Ach, damit haben die meisten kein Problem, viele Frauen hier verdienen mehr als ihre Männer“, winkte Verena ab. „Das dürfen sie ruhig – aber sie sollen bitte schön darüber nicht die Hausarbeit vernachlässigen!“

Die Frauen lachten. Dann lugte Verena aus dem Küchenfenster. „Sie steht bestimmt schon wieder hinter der Gardine“, mutmaßte sie, und sie wussten beide, von wem sie sprach.

„Nein, sie steht nicht da“, antwortete Alexandra. „Sie hat mir erzählt, dass sie sich einen bequemen Sessel ans Fenster gestellt hat – sie ist ja auch nicht mehr die Jüngste.“

Sie lachten herzlich, und es tat Alexandra gut, eine Gleichgesinnte gefunden zu haben. Verena erzählte ihr, dass sie siebenundzwanzig Jahre alt sei und hier im Ort aufgewachsen war. Ihre Eltern hießen Lenz und wohnten neben der Gärtnerei, wo sie einen schönen Garten und ihr Vater eine Tischlerwerkstatt hatte. Ihre Mutter war als Kind eine Freundin von Anna Sebach gewesen. Verena und Knut hatten mit der Erlaubnis des Bürgermeisters das Obst aus Sebachs Garten geerntet, weil ja niemand wusste, ob jemals wieder jemand von der Verwandtschaft auftauchen würde. Verena war sehr erleichtert, als Alexandra ihr versicherte, dass sie nichts dagegen hatte.

Sie würden ihr in diesem Jahr auch gern bei der Ernte und Verarbeitung des Obstes helfen, als Dankeschön sozusagen, versprach Verena. Und einen Rasenmäher könne sie sich gerne ausleihen, wenn im Mai das Gras anfing zu wuchern. Wegen des vorderen Gartenzaunes, der am Einstürzen war, schlug Verena vor, den Gemeindearbeitern Bescheid zu geben, die würden das morsche Holz ohne weiteres abholen. Statt des Zaunes könne Alexandra ja eine Hecke pflanzen. Wenn sie Hilfe oder mal eine Tasse Zucker bräuchte, könne sie jederzeit bei ihr klopfen, bot Verena der neuen Nachbarin an. Seit vor ein paar Jahren der Laden zugemacht habe, hatten sich die Leute angewöhnt, einander auszuhelfen, wenn mal etwas fehlte.

Alexandra war von diesem nachbarschaftlichen Zusammenhalt fasziniert.

Verena beruhigte sie auch, was Frau Eberlein anging: Die redete über alle schlecht, wahrscheinlich könne sie nicht anders. Aber es wurde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht würde, meinte Verena lachend, und sie müsse es schließlich wissen. Über sie selbst seien auch schon üble Gerüchte im Umlauf gewesen, aber im täglichen Leben wirke sich das kaum aus. Man behandelte die Leute wie immer, auch wenn man mal irgendetwas über sie gehört haben mochte. So sei das eben auf dem Lande, Alexandra würde sich noch daran gewöhnen.

Als Verena mit ihrem kleinen Nico nach Hause ging, waren sie längst beim Du. Trotz des Altersunterschiedes von neun Jahren hatten sich die beiden Frauen angefreundet, und als Alexandra hinter ihrer Besucherin die Haustür schloss, hatte sie das schöne Gefühl, eine Freundin verabschiedet zu haben.

Als Verena das Gartentürchen öffnete, nickte sie freundlich zu Frau Eberleins Fenster hinüber, wo leise und erschrocken die Gardine wackelte.

Alex und Alexandra

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