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Kapitel 9
ОглавлениеDREI JAHRE ZUVOR
Zum Abendessen trifft Isabel auf Salvatore. Er sitzt bereits am großen Tisch im Esszimmer und unterhält sich mit Valentina.
„Guten Abend“, sagt Isabel höflich.
Salvatore erhebt sich und reicht ihr die Hand. „Guten Abend Isabel. Ist es in Ordnung, wenn wir uns duzen?“
„Ja klar“, antwortet sie lächelnd. Sie setzt sich auf einen der freien Stühle und lässt ihren Blick über die Gesichter der Anwesenden wandern. Salvatore und Valentina unterhalten sich über irgendwelche geschäftlichen Investitionen, Luca und Elena sitzen fast schüchtern und still am Tisch. Nachdem das Essen von einem Dienstmädchen serviert wurde, verläuft die Nahrungsaufnahme ruhig und schweigend. Isabel wundert sich über das Verhalten der Familie, die sie doch ganz anders kennen gelernt hat.
Erst als alle Beteiligten mit dem Essen fertig sind und die Teller abgeräumt werden, wendet sich Salvatore an Isabel: „Ich gebe dir nachher eine Liste über bestimmte Verhaltensregeln in unserem Haus. Und ich möchte dich bitten, dass du auch die Kinder ermahnst, wenn sie dagegen verstoßen. Wir sehen es als grundlegenden Erziehungsmaßstab an, dass die Kinder von Anfang an lernen, sich an die Regeln der Erwachsenen zu halten.“ Isabel nickt langsam. Sie glaubt nicht, was sie soeben gehört hat. Verhaltensregeln? Sie ist gespannt, was das für eine Liste ist.
Salvatore erhebt sich und einen Moment später erheben sich auch Valentina und die Kinder. Unsicher steht Isabel ebenfalls auf und geht hinter Salvatore hinaus in die Halle.
„Komm mit in mein Arbeitszimmer“, winkt er ihr zu. Sie betritt hinter ihm ein Zimmer, welches mit schweren Teppichen ausgelegt ist. Massive, dunkle Holzmöbel sowie zwei wuchtige Leder-Ohrensessel, verteilen sich im Raum. Salvatore geht zu seinem großen Schreibtisch und öffnet die Schublade. Er holt ein Blatt Papier heraus, überfliegt es kurz und reicht es sodann Isabel. „Das sind unsere Regeln. Valentina und ich haben sie zum Schutz unseres Eigentums sowie zum Schutz unserer Kinder verfasst. Lese sie bitte gründlich durch. Du wirst keine Schwierigkeiten haben, sie zu befolgen.“
Isabel überfliegt kurz die Liste und bleibt gleich am ersten Punkt hängen: 1. Im Haus wird weder gelaufen noch geschrien! Verdutzt schaut sie auf. „Salvatore? Was passiert, wenn gegen eine dieser Regeln verstoßen wird?“
Verständnislos und bestimmend antwortet er: „Du wirst dafür sorgen, dass dies nicht geschieht!“ Verunsichert dreht Isabel sich um und verlässt eilig das Zimmer.
Sie beschließt, sich den Garten hinter dem Haus anzusehen und tritt aus der großen Eingangstüre. Sie kann es sich nicht verkneifen, bereits während des kurzen Fußmarsches, die nächsten Punkte auf dem Zettel durchzulesen. 2. Die Obstplantage ist kein Spielplatz für die Kinder. 3. Die Kinder dürfen niemals unbeaufsichtigt am Meer spielen. Langsam schüttelt sie den Kopf. Was dürfen die Kinder überhaupt? Wie sollen sie bei diesen ganzen Verboten unbeschwert heranwachsen?
Während sie in Gedanken versunken und mit Blick auf das Blatt Papier in ihren Händen weiterläuft, bemerkt sie nicht, wie rechts neben ihr ein Schatten auftaucht. Plötzlich knallt sie gegen ein weiches Hindernis und fällt rückwärts zu Boden.
„Au!“, ruft sie.
„Scusi! Ti sei fatto male?“, fragt ein junger Mann und bückt sich sofort zu ihr hinunter. Er reicht ihr seine Hand und zieht sie vorsichtig auf die Beine.
Isabel schaut ihm in die Augen und erstarrt augenblicklich. Das sind die wahrscheinlich schönsten grün-leuchtenden Augen, die sie je gesehen hat.
„Signorina?“ Die ruhige Stimme reißt sie aus ihrer Lethargie.
„Äh, tut mir leid, ich habe dich nicht gesehen“, antwortet sie verwirrt.
Der junge Mann mit seinen braunen Locken lächelt sie an und erwidert: „Du musst das neue Kindermädchen sein! Ich bin Marco, der Sohn des Chauffeurs und der einzige Gärtner für das gesamte Anwesen.“ Sie reichen sich die Hand zur Begrüßung und Isabel spürt ein leichtes Kribbeln in ihren Fingerspitzen, als sich ihre Finger berühren.
„Hallo“, sagt sie verlegen und merkt, wie ihre Wangen erröten.
„Hast du dich verletzt?“, fragt Marco erneut, dieses Mal jedoch auf deutsch.
Schnell schüttelt sie den Kopf: „Nein, danke, mir geht es gut.“ Schüchtern geht sie an ihm vorbei, weiter in Richtung Garten, als sie plötzlich erneut seine Stimme hört: „Verrätst du mir noch deinen Namen?“
Sie dreht sich um und ruft ihm lächelnd entgegen: „Ich heiße Isabel.“
Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. „Dann bis zum nächsten Mal, Isabel“, sagt er gerade noch so laut, dass sie es hören kann, dreht sich um und marschiert in die entgegengesetzte Richtung.
Isabel betritt durch den schmalen Rosenbogen den Garten. Bunte Blumen, Steingärten, Büsche und Bäume sind ordentlich angepflanzt. Der Garten ist so groß, dass drei Bänke an verschiedenen Positionen zum Verweilen einladen. Sie setzt sich auf eine der Bänke und genießt die Aussicht. Ihr Blick fällt aufs Meer, das etwa 200 Meter entfernt liegt. Als sie sich umdreht, um auf das Herrenhaus zu schauen, reißt sie verwundert die Augen auf. Hinter dem Haus erhebt sich der Vesuv, der große Vulkan, der immer noch als aktiv gilt. Da der Berg jedoch seit mehreren hundert Jahren ruht, macht sie sich keine großen Sorgen.
Sie widmet sich erneut der Liste mit den Verhaltensregeln, wobei mit jedem weiteren Punkt ihr Unverständnis gegenüber dem Ehepaar Frapatelli wächst.