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Kapitel 3

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HEUTE


Wie jeden Morgen bin ich bereits sehr früh wach. Der Hahn kräht und das Treiben im Dorf beginnt. Ich gehe zum einzigen Brunnen im Dorf und schöpfe einen Eimer frisches Wasser. In unserer Wohnhütte wasche ich mich und putze mir schnell die Zähne. Glücklicherweise bin ich, was meine kurzen dunkelbraunen Haare angeht, sehr anspruchslos und benutze auch kein Make-up. Das wäre in dieser Umgebung auch eher hinderlich und nicht sehr sinnvoll.


Mittags sind die meisten Einwohner mit ihren täglichen Aufgaben beschäftigt. Die Frauen putzen die Hütten, bereiten das Essen zu, kümmern sich um die Kinder und die Männer sind unterwegs im Busch auf der Jagd. Heute übernimmt Anna die Dorfschule. An drei Tagen in der Woche unterrichte ich die Kinder in Lesen, Schreiben und Rechnen. Anna unternimmt mit den Kindern an den verbleibenden beiden Tagen Reisen in die Welt der Biologie, Erdkunde oder Geschichte. Dabei stößt sie oft an ihre Grenzen, da gerade die älteren Kinder von der Biologie der heimischen Pflanzen mehr Ahnung haben, als irgendein Lehrer.


Ich überprüfe gerade die Restbestände unserer Medikamente, als ich zwei Fahrzeuge höre. Neugierig trete ich aus der Tür und halte mir eine Hand über die Augen, um sie vor der blendenden Sonne abzuschirmen. Zwei Jeeps fahren die staubige Straße bis zur Dorfmitte entlang. Die Fahrzeuge halten und es steigen jeweils drei Personen aus. Einer trägt eine Kamera, einer ein Stativ und ein großes Mikrofon und eine Frau einige Fotoapparate. Verdammt, wie haben die sich denn hierher verirrt? Mona kommt aus unserer Hütte und geht sogleich auf die Neuankömmlinge zu. Ich ziehe mich zurück in mein Haus und schließe die Tür hinter mir. Die werden hoffentlich bald bemerken, dass sie hier falsch sind und wieder weiterfahren.


Wenig später erscheint Mona in meiner Hütte: „Mia, das sind drei Promis, die für den Red-Nose-Day zu uns kommen. Sie wollen sich alles ansehen und werden auch für dieses Dorf eine großzügige Spende leisten.“

Ich verziehe mein Gesicht. „Mona, du weißt, dass ich nichts mit der Presse und dem Fernsehen zu tun haben will.“

„Ich weiß, aber für unser Dorf ist das wirklich wichtig.“

„Wie kommen die überhaupt auf uns? Sind die nicht normalerweise nur in Kabwe oder Samroni?“

„Ja, aber dieses Mal wollten sie ein wirklich kleines Dorf zeigen, bei dem eben noch nicht so viel investiert wurde. Das macht sich wohl im Fernsehen besser und ist für die Zuschauer interessanter.“

„Und wie lange bleiben die hier? Dann geh ich solange zum Hügel und du kannst ihnen alles zeigen.“

Mona antwortet zerknirscht: „Das ist eben das Problem… die bleiben drei Tage hier.“

„Drei Tage!“, rufe ich entsetzt und etwas zu laut. „Wie soll ich mich drei Tage lang verstecken?“

„Gar nicht! Ich erkläre ihnen einfach, dass du nicht gefilmt und fotografiert werden willst. Das müssen sie akzeptieren.“

„Was willst du ihnen sagen? Meine Kollegin war zu Hause eine Kriminelle und ist hier untergetaucht? Oder willst du ihnen eine Phobie gegen Kameras aufbinden?“ Mein Tonfall wirkt leicht sarkastisch.

„Jetzt mach dir mal keine Sorgen. Ich regle das schon irgendwie!“ Mona nimmt mich beruhigend in den Arm und verlässt dann wieder die Hütte.


Unruhig laufe ich in der engen Hütte auf und ab. Ich befürchte, dass das nicht gut geht. Warum müssen die Promis auch ausgerechnet in unser Dorf kommen? Es gibt genug andere kleine Dörfer im Umkreis von 500 km. Ich habe mir vor zwei Jahren nicht ohne Grund dieses Dorf ausgesucht. Weit ab von jeglicher Zivilisation und uninteressant für Touristen. Mona ist die einzige, die über meine Vergangenheit Bescheid weiß und so soll es auch bleiben.


Erst später, als Mona wieder auftaucht und mir berichtet, dass die Neuankömmlinge eine Erkundungsfahrt in den Busch unternehmen, traue ich mich wieder aus dem Haus. Ich besuche Kefira mit ihrem Baby. „Hallo Kefira, wie geht es dir?“

Sie lächelt mich an: „Danke gut. Ich bin so froh, dass du mir gestern geholfen hast. Alleine hätte ich das nicht geschafft.“

„Schon gut, ich bin froh, dass alles geklappt hat. Wie geht es deinem Baby?“

„Gut, sie ist sehr brav und schläft viel.“

„Darf ich sie mir ansehen? Ich würde sie gerne nochmal kurz untersuchen, ob alles in Ordnung ist.“ Kefira hebt das kleine Bündel aus dem Holzbettchen und reicht es mir. „Hat sie schon einen Namen?“, frage ich interessiert.

„Sie soll Mandisa heißen“, antwortet Kefira.

„Das ist ein schöner Name. Was bedeutet er?“, will ich wissen.

„Mandisa bedeutet die Süße.“

„Ja, das passt. Sie ist wirklich süß.“


Nachdem ich die kleine Mandisa eingehend untersucht habe und mir sicher bin, dass es ihr gut geht, kehre ich in mein Arzthaus zurück.


Ich sortiere gerade das neu eingetroffene Verbandsmaterial in eine Schublade, als ich hinter mir die Türe höre und jemand herein kommt. In der Annahme, dass es sich um Mona handelt, lästere ich, während ich mich umdrehe, mit dem Blick noch auf die Schublade gerichtet: „Na, sind die feinen Herrschaften schon in ihr Hotel ….“ Erschrocken schaue ich in das Gesicht eines jungen Mannes, mit braunen zerstruppelten Haaren und helle Augen, soweit ich das in der schlecht beleuchteten Hütte erkennen kann.

Er lächelt verschmitzt und bemerkt: „Hotel? Warum hat mir keiner gesagt, dass es hier ein Hotel gibt?“

„Sorry, ich dachte du bist jemand anderes.“ Peinlich berührt schaue ich auf den Boden.

„Du bist sicher Mia! Mona schickt mich … deswegen.“ Dabei hebt er seine linke Hand, an der langsam das Blut herunter rinnt.

„Äh, ja. Setz dich hier hin. Wie ist das denn passiert?“ Langsam kehrt meine Sicherheit zurück und ich konzentriere mich auf die Verletzung vor mir.

„Tja, total blöd eigentlich. Wir sind aus dem Jeep ausgestiegen und ich habe meinen Finger in der Tür eingequetscht.“

Der kleine Finger zeigt eine Verletzung, die stark blutet, aber nicht gefährlich ist. Ich hole das Verbandsmaterial und beginne, die Wunde zu desinfizieren. Ein jammernder Laut entfährt seinen Lippen. Leicht genervt schaue ich ihm in die Augen. Jetzt erkenne ich auch, dass sie von einem schönen Himmelblau sind. Etwas länger als beabsichtigt starre ich ihn an. Erst sein Räuspern bringt mich zurück in die Wirklichkeit und ich setze schnell meine Arbeit fort. Nachdem der Finger verbunden ist, stehe ich auf. Auch mein Patient steht auf und streckt mir seine gesunde rechte Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Louis“. Ich lege meine Hand in seine und spüre in diesem Moment ein leichtes Kribbeln in meinen Fingern, welches sich über die Hand bis in meinen Arm bewegt.

„Freut mich, ich bin Mia“, antworte ich verwirrt. Louis lächelt mich an, dreht sich um und verlässt das Haus.


Immer noch verwirrt schaue ich ihm nach.


Schuld, die dich schuldig macht

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