Читать книгу Schuld, die dich schuldig macht - Angelika B. Klein - Страница 15

Kapitel 11

Оглавление

DREI JAHRE ZUVOR


Inzwischen wohnt Isabel seit einem Monat auf dem Anwesen der Familie Frapatelli. Sie hat sich gut eingelebt und auch die anfangs so grausam wirkenden Regeln mittlerweile akzeptiert. Allerdings geht sie immer öfter mit den Kindern in den Obstgarten, was Salvatore und Valentina nicht wissen, um mit ihnen zu toben und zu spielen. Die Kinder haben schnell erkannt, dass es für sie von Vorteil ist, wenn sie ihren Eltern nicht von allen Unternehmungen mit Isabel erzählen. Vormittags verbringt Isabel die Zeit mit Luca alleine, während Elena in der Schule ist. Sie liest ihm vor, geht mit ihm spazieren oder spielt und kuschelt mit ihm.


Immer öfter trifft sie sich am Abend oder auch sonntags mit Marco. Er zeigt ihr den umfangreichen Garten, erklärt ihr die verschiedenen Vegetationen und Besonderheiten der Pflanzen.


Isabel kann nicht verleugnen, dass sie sich zu Marco hingezogen fühlt. Er ist klug, witzig und sieht umwerfend aus.


Am Tag nach ihrem unfreiwilligen Zusammenstoß, kam Marco auf sie zu: „Isabel? Musst du auch abends auf die Kinder aufpassen, oder hast du da frei?“

Abschätzend betrachtete sie den jungen Mann ihr gegenüber und antwortete mit einem schüchternen Lächeln: „Wenn die Kinder im Bett sind, habe ich frei. Warum?“

„Ich dachte nur, vielleicht hast du Lust, dass ich dir den großen Garten zeige?“, stellte er vorsichtig seine Frage.

„Ja, gerne!“, nickte Isabel leicht errötend.

Ab diesem Tag trafen sie sich regelmäßig. Sie unterhielten sich und schlenderten durch den Garten oder am Meer entlang.


Einmal saßen sie zusammen am Strand und genossen den Sonnenuntergang. Marco legte den Arm um ihre Schultern und zog sie leicht zu sich heran. Es war der perfekte Moment für den ersten Kuss. Leider wartet sie noch heute darauf.


An einem Freitagnachmittag geht sie mit Luca und Elena auf die weitläufige Plantage mit den Olivenbäumen. Sie haben dort eine Stelle entdeckt, die die Kinder ganz besonders lieben. Ein alter Pferdewagen steht verlassen am Ende des Geländes direkt vor dem Zaun. Wild wucherndes Gebüsch hat ihn bereits zur Hälfte verdeckt. Die Kinder klettern auf den Wagen und fühlen sich in die alte Zeit der Römer zurückversetzt. Isabel ist bewusst, dass die Regeln besagen, dass sie mit den Kindern hier nicht spielen darf. Jedoch genießt sie die Zeit zu sehr, die tobenden und laut lachenden Kinder zu beobachten, wie sie, ohne Rücksicht auf die strengen Verbote ihrer Eltern, ihrer Phantasie und ihrem Bewegungsdrang freien Lauf lassen.


Sie sitzt auf einer Decke unter einem der kleinen Bäume und beobachtet amüsiert das Spiel der Kinder, als plötzlich Luca zu ihr gelaufen kommt und ihr seinen Teddy reicht. „Isi, kannst du auf ihn aufpassen? Ich kann nicht richtig klettern, wenn ich ihn festhalten muss.“

Isabel lächelt Luca an und nimmt den Teddy entgegen. „Klar gib ihn mir. Er schaut dir von hier aus zu.“

In diesem Moment hört sie einen lauten Schrei, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Kreischen. Erschrocken schaut sie auf und sieht Elena, die schreiend zu Boden fällt.

Blitzschnell springt Isabel auf und läuft zu ihr. Sie lässt sich neben Elena auf den Boden fallen und spricht sie besorgt an. „Elena, was ist passiert? Hast du dich verletzt?“

„Aua! Es tut so weh!“ jammert Elena mit schmerzverzerrtem Gesicht. Isabel bemerkt, dass Elena die Stelle oberhalb des rechten Fußknöchels mit ihrer Hand bedeckt. Langsam zieht sie Elenas Finger zur Seite und erwartet eine Schürfwunde oder, im schlimmsten Fall, einen kleinen Schnitt. Was sie jedoch sieht, lässt ihr den Atem stocken.


Zwei kleine rote Punkte im Abstand von circa einem Zentimeter leuchten ihr entgegen. Oh Gott, eine Schlange! Sie spricht ihre Befürchtung jedoch nicht aus, um die Kinder nicht zu beunruhigen. Schnell hebt sie Elena hoch und trägt sie zur Decke unter dem Baum. Dann setzt sie das Mädchen ab und spricht beruhigend auf sie ein. „Leg dich zurück Elena und bleib ganz ruhig. Es wird alles gut.“ In ihrem Kopf arbeitet es auf Hochtouren. Kann es eine Giftschlange gewesen sein? Wenn ja, dann muss ich sofort das Gift aussaugen. Sie braucht ein Messer oder einen anderen scharfen Gegenstand! Hektisch blickt sie sich um, kann aber nichts Geeignetes entdecken. Sie weiß, dass ihr nicht viel Zeit bleibt, höchstens ein paar Minuten, um noch rechtzeitig zu handeln. Kurzentschlossen zieht sie ihr Haarband vom Kopf und legt es, oberhalb der Bisswunde, um Elenas Bein. Mit einem kräftigen Zug bindet sie die Wunde ab, um den Blutfluss zu unterbinden.

Als sie sich erneut hilflos umsieht, fällt ihr Blick auf Luca, der, mit Tränen in den Augen, neben ihr kniet. Verdammt! Sie muss Elena irgendwie zum Haus tragen! Aber es ist zu weit, da sie sich am Ende des Obstgartens befinden, der einige Hektar umfasst.

All diese Gedanken schießen ihr innerhalb weniger Sekunden durch den Kopf. Sie entscheidet sich für ein Wagnis, welches sie eingehen muss.


„Luca! Du musst mir jetzt gut zuhören!“, sagt sie in strengem Ton. Sie packt Luca an den Schultern und schaut ihm fest in die Augen. „Du musst so schnell du kannst zum Haus laufen. Dort ist Marco, ich habe ihn vorhin gesehen. Sag ihm, er soll sofort kommen und ein Messer mitbringen!“ Sie wartet auf eine Reaktion von Luca, der sie jedoch nur starr und mit angsterfüllten Augen anschaut. Kräftig schüttelt sie ihn. „Luca! Hast du mich verstanden? Lauf so schnell du kannst zu Marco!“ Isabel weiß, dass Luca normalerweise keinen Schritt ohne seinen Teddy unternimmt. Sie zieht ihn hoch, drückt ihm sein Stofftier in den Arm und schiebt ihn von sich weg: „Los lauf, schnell!“


Luca läuft los, so schnell es seine fünf Jahre zulassen. Er läuft und läuft, ohne zu denken. Plötzlich bleibt er abrupt stehen, blickt sich um, kann jedoch Isabel und Elena nicht mehr entdecken. Er schaut auf seinen Teddy und ihm fällt schlagartig die Superkraft ein, die sein Plüschtier in seiner Tasche mit sich trägt. Er öffnet schnell den kleinen Reißverschluss der Latzhose, holt das gelbe Bonbon heraus, wickelt es aus und schiebt es sich in den Mund. Während er das kleine, harte Stück Süßigkeit zerbeißt, läuft er bereits wieder los. Mit jedem Schritt hat er das Gefühl schneller zu werden. In seiner Vorstellung bewegen sich seine Füße so schnell wie bei Flash. Einige Minuten später kommt er völlig außer Atem vor dem Haus an. Er sieht Marco und läuft sofort auf ihn zu.

„Marco, schnell zu musst kommen“, ruft er von weitem.

Marco dreht sich um und erkennt sofort, dass etwas passiert sein muss, wenn Luca alleine und völlig aufgelöst aus der Obstplantage gelaufen kommt. Er läuft ihm entgegen und bückt sich zu ihm hinunter. „Was ist passiert, Luca?“

Atemlos hechelt er: „Du sollst schnell kommen und ein Messer mitbringen, sagt Isabel.“


Ohne lange zu überlegen schnappt Marco sich Luca, hebt ihn hoch und läuft mit ihm zu seinem kleinen Transporter. Er schwingt sich auf den Fahrersitz, setzt Luca auf dem Sitz neben sich ab und gibt Gas. Auf dem Weg in Richtung Haupttor erzählt Luca kurz, wo sich die beiden Mädchen befinden. Einen Moment später kommen sie an und Marco springt aus dem Fahrzeug. Er stürmt auf die am Boden kniende Isabel zu: „Isabel, was ist passiert?“

Erleichtert schaut sie auf und streckt ihm ihre Hand entgegen. „Hast du das Messer dabei?“ fragt sie ungeduldig. Marco greift in seine Hosentasche und holt ein Taschenmesser hervor, welches er immer bei sich trägt. Mit geübtem Griff klappt Isabel das Messer auf und beugt sich über Elenas Wunde. Marco will gerade fragen, ob das ein Schlangenbiss ist, als Isabel zu ihm aufschaut: „Kümmere dich bitte um Luca, er muss das hier nicht sehen.“ Marco nickt, steht auf und nimmt Luca, der mittlerweile hinter Elena aufgetaucht ist, auf den Arm. Er dreht sich mit ihm weg und redet auf ihn ein.


Isabel sagt behutsam: „Das tut jetzt kurz weh, Elena. Bleib ganz ruhig liegen, es ist gleich vorbei.“ Dann setzt sie das Messer zwischen den beiden roten Punkten an und führt einen 2 cm langen Schnitt durch. Ein kurzer Schrei entfährt Elena und Blut quillt aus der Wunde. Isabel legt ihren Mund über den Schnitt und saugt zuerst vorsichtig, dann mit kräftigerem Zug, das Blut aus der Wunde. Sie wendet sich ab und spuckt die rote Flüssigkeit ins Gras. Sie hofft, dass sie es geschafft hat, das Gift der Schlange aus Elenas Körper zu entfernen, bevor dieses den Blutkreislauf erreicht hat. Mit geübten Griffen knotet sie das Haarband auf und wickelt es fest um die Wunde. Als provisorischer Verband sollte das vorerst genügen.

Elena liegt mittlerweile ruhig und erschöpft am Boden.

Marco kommt mit Luca auf dem Arm zurück. „Woher wusstest du, was du machen musst?“

Sie zieht ihr T-Shirt ein Stück nach oben und wischt sich die Reste der Blutspuren von ihrem Mund. Während sie Luca in den Arm nimmt antwortet sie: „Ich bin Krankenschwester. Marco, gibt es hier Giftschlangen?“

Seine Augen weiten sich. „Du glaubst, sie ist von einer Giftschlange gebissen worden?“

„Gibt es hier denn welche?

„Ja, gelegentlich schon. Wenn es wirklich eine war, dann hat Elena Glück, dass du gleich gehandelt hast.“ Marco streicht ihr liebevoll eine blonde Locke aus dem Gesicht und schaut sie anerkennend an.

Isabel drückt Luca an sich, der ihren Hals mit seinen kleinen Händen fest umschlingt und seinen Kopf an ihre Schulter legt.

„Du hast das vorhin ganz toll gemacht, Luca“, flüstert Isabel in sein Ohr. Luca lächelt glücklich. Er hat durch seine Superkraft geholfen, Elena zu retten. Und Isabel ist nicht nur eine gute Fee, sondern auch seine neue Heldin.


Schuld, die dich schuldig macht

Подняться наверх