Читать книгу Schuld, die dich schuldig macht - Angelika B. Klein - Страница 17
Kapitel 13
ОглавлениеZwei Wochen nach Louis Abreise bin ich mir sicher, dass ich mich falsch entschieden habe. Jede freie Minute denke ich an Louis. Täglich gehe ich zum Hügel oder an den Fluss, setze mich dorthin, wo ich mit ihm saß und erinnere mich an seine Küsse, Berührungen und Worte. Ich wollte mir anfangs einreden, dass das Gefühl mit der Zeit schwächer wird. Wie groß kann die Verliebtheit nach drei Tagen schon sein? Ich wurde eines besseren belehrt! Meine Sehnsucht nach ihm, wird mit jedem Tag stärker.
An diesem Nachmittag arbeite ich im Arztzimmer, als plötzlich Mona von hinten an mich heran tritt. „Mia, was machst du denn da? Wo bist du nur mit deinen Gedanken?“
Erschrocken schaue ich auf und betrachte die Mullbinden, welche ich aus ihren sterilen Verpackungen genommen habe und vor mir auftürme.
„Oh! Mist! Sorry, Mona, ich…“
„Mia! So geht das nicht weiter! Seit Louis weg ist, bist du unkonzentriert und dir passieren ständig Fehler!“, tadelt Mona mich.
„Ich weiß, aber ich kann nur an ihn denken. Alles was ich sehe, erinnert mich an ihn.“, jammere ich. „Mona, gestern in der Schule haben die Kinder ein Lied gesungen, welches Louis ihnen beigebracht hat. Mir sind schlagartig die Tränen in die Augen geschossen und ich konnte nicht aufhören zu weinen. Was soll ich nur machen?“
„Süße, das hast du dir selbst eingebrockt! Du liebst ihn! Das wusste ich vom ersten Augenblick an. Du hast nur zwei Möglichkeiten: Entweder du sitzt den Schmerz aus und wartest, bis er schwächer wird, oder …“
„Oder?“, dränge ich Mona, die eine kunstvolle Pause einlegt.
„Oder du fliegst zu ihm nach London!“
Skeptisch betrachte ich sie, muss mir aber selbst eingestehen, dass ich die letzten Tage selbst schon über diese Möglichkeit nachgedacht habe.
Plötzlich hören wir ein lautes Hupen. Wir drehen uns um und sehen eine Staubwolke, die ein Fahrzeug ankündigt, das auf unser Dorf zusteuert. Mein Herzschlag setzt einen Moment aus und die Hoffnung, Louis könnte zurückkommen, lässt meine Knie erweichen. Ich stürme aus der Hütte und laufe dem Auto entgegen. Mittlerweile hält es in der Mitte des Platzes an und die Tür öffnet sich. „Louis!“, rufe ich leise und bleibe abrupt stehen, als ich erkenne, wer das Fahrzeug verlässt. Es ist ein Mitarbeiter der Unicef, der verschiedene Medikamente und Verbandmaterial liefert. Enttäuscht und mit hängenden Schultern drehe ich mich um und gehe in meine und Monas Hütte. Ich werfe mich auf meine Liege und starre an die Strohdecke. Ich vermisse ihn so sehr! Wie konnte ich mich nur gegen mein Herz entscheiden und die Angst über mein weiteres Leben bestimmen lassen?
Am Abend, beim Essen, spreche ich Mona an: „Du hattest Recht, Mona! Ich hätte auf dich und mein Herz hören sollen!“
Bedauernd zuckt Mona die Schultern und schaut mich voller Mitleid an. „Das lässt sich jetzt leider nicht mehr ändern, außer…“
„Außer ich fliege nach London, ich weiß. Genau das habe ich vor! Aber wie soll ich das Geld für das Ticket aufbringen? Wie soll ich Louis in London finden? Das ist alles so hoffnungslos!“, resigniere ich.
„Nein, einfach ist es nicht, aber wir werden einen Weg finden. In ein paar Tagen muss ich wieder nach Samroni. Dort werde ich mich bei einem Bekannten der Unicef erkundigen, vielleicht hat er eine Idee.“
„Danke, Mona! Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen würde“, bemerke ich gerührt.
„Ich weiß!“, antwortet sie mit einem neckischen Grinsen. Ich falle ihr in die Arme und drücke sie herzlich und liebevoll.
Weitere zwei Wochen später hat Mona immer noch keine Antwort ihres Bekannten erhalten. Täglich grüble ich darüber nach, wie ich von hier wegkomme und wie ich es in der mir unbekannten Stadt anstellen soll, Louis ausfindig zu machen.
Ich stehe, wie gewohnt, morgens auf und gehe zum Brunnen. Mit den vollen Eimern bepackt trotte ich zurück zur Hütte, als ich plötzlich ein Fahrzeug sehe, das auf der Mitte des Platzes hält. Die in mir aufkommende Unruhe, versuche ich zu unterdrücken, indem ich mir einrede, dass wohl die nächste Lieferung von Medikamenten ansteht.
Die Fahrertür öffnet sich und eine Person steigt aus. In diesem Moment erkenne ich Louis. Die Eimer fallen mir aus den Händen und mein Körper erstarrt. Auch Louis sieht mich, bleibt aber abwartend neben dem Fahrzeug stehen. Einige Sekunden lang schauen wir uns nur an, ohne dass einer von uns beiden fähig ist, sich zu bewegen. Ist das ein Traum? Oder ist er wirklich hier? Langsam schiebe ich einen Fuß vor den anderen. Plötzlich bewegt auch Louis sich auf mich zu und ohne Vorwarnung laufe ich los. Ich renne ihm entgegen und werfe mich in seine ausgestreckten Arme.
„Louis!“, rufe ich erleichtert aus und drücke ihn an mich. All meine Trauer der vergangenen vier Wochen bricht mit einem Schlag aus mir heraus. Ich weine und schluchze an seinen Hals: „Louis, ich bin so froh, dass du da bist. Ich habe dich so sehr vermisst!“
„Ich habe dich auch vermisst! Ich konnte die ganze Zeit über an nichts anderes denken, als daran, wann ich dich wieder sehen kann.“
Langsam löst er sich aus unserer Umarmung und schaut mir in die Augen. „Wie geht es dir?“
„Gut, jetzt wo du da bist.“
„Du hast mich also auch vermisst?“, will er vorsichtig wissen.
„Ja, mehr, als ich es mir vorstellen konnte. Du hattest Recht, mit allem, was du damals gesagt hast.“
„Heißt das, du willst mit mir kommen? Du hast keine Angst mehr?“
„Doch, ich habe immer noch Angst. Aber meine Sehnsucht nach dir war größer und schlimmer, als die Angst, von meiner Vergangenheit eingeholt zu werden.“
Er umschließt mit seinen Händen mein Gesicht und küsst mich zärtlich auf die Lippen. Ich lege meine Arme um seinen Hals und drücke ihn sehnsüchtig an mich. Während wir uns engumschlungen und leidenschaftlich küssen, erscheint Mona hinter mir.
„Hallo, Louis! Das ist ja eine Überraschung!“
Widerwillig trennen wir uns voneinander.
„Hast du etwas dagegen, wenn ich Mia mit nach London nehme?“, fragt Louis lächelnd.
„Nein, überhaupt nicht! Sie ist mit den Gedanken sowieso die ganze Zeit bei dir. In diesem Zustand ist sie nicht zu gebrauchen. Nimm sie mit und werdet glücklich!“, antwortet Mona in gespielt beleidigtem Ton.
Wir gehen zusammen zur Hütte zurück. Louis sagt bedrückt: „Mia, wir müssen bereits heute Abend wieder in Lusaka sein. Wir haben Tickets für den Nachtflug.“
„Willst du dich nicht erst ausruhen? Du bist doch gerade erst angekommen!“, frage ich ihn besorgt.
„Ich habe leider keine Zeit, Mia. Ich muss morgen Nachmittag bereits wieder zu einem Interview. Den Termin heute bei einem Fernsehsender habe ich abgesagt, um dich zu holen.“
„Du wusstest doch gar nicht, ob ich mit dir nach London zurück fliege.“
„Nein, aber ich habe es gehofft. Diese eine Chance wollte ich unserer Beziehung noch geben.“
Gerührt küsse ich ihn und bin ihm insgeheim dankbar, dass er mir meine damalige Fehlentscheidung verziehen hat.
Gegen Mittag packe ich meine wenigen Habseligkeiten und besuche ein letztes Mal die mir lieb gewordenen Dorfbewohner. Nachdem ich mich ausgiebig von Kefira und Jamal sowie der kleinen Mandisa, von Kojo, Tidjani und Nangila verabschiedet habe, gehe ich noch in die Schule und sage den Kindern dort Lebewohl. Einige weinen, andere wiederum lachen und tuscheln, als sie erfahren, dass ich mit Louis nach London gehe. Der Dorfälteste ist etwas mürrisch und enttäuscht, dass ich so schnell abreise, da es hier üblich ist, zum Abschied eines Dorfbewohners ein großes Fest zu feiern. Erst nachdem ich ihm versichert habe, dass ich das Dorf möglichst bald wieder besuchen werde und wir das Fest dann nachholen können, lässt er sich besänftigen und wünscht mir Glück für meine Zukunft.
Nachdem ich mich noch tränenreich von Mona verabschiedet habe, steigen wir in den Leihwagen und fahren los. Laut jubelnd laufen die Dorfkinder unserem Fahrzeug hinterher. Ich drehe mich um und winke ihnen zu, bis wir zu schnell werden und die Kinder zurück bleiben.
Während der Fahrt beobachte ich Louis von der Seite. Er schaut müde aus, was auch kein Wunder ist, nach der langen Reise. Er bemerkt, dass ich ihn anstarre und sagt lächelnd: „Was ist los? Gibt es da draußen keine interessanteren Objekte zu betrachten, als mich?“
„Nein! Für mich nicht.“ Ich schmiege mich an seine Schulter und sage ernst: „Louis, ich will nie mehr so lange von dir getrennt sein. Wer behauptet, die Zeit heile alle Wunden, der lügt!“
„Das wirst du auch nicht, Babe.“
Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Ich setze mich auf und sage nachdenklich: „Louis? Hast du für mich schon ein Ticket besorgt?“
„Ja, warum?“
„Ohne zu wissen, dass ich mit dir fliege, hast du trotzdem das Ticket gekauft?“, ergänze ich fassungslos.
„Ja! Es war mir zu riskant, kein Flugticket mehr für dich zu bekommen. Die Nachtflüge sind sehr beliebt und schnell ausverkauft!“, klärt er mich auf.
„Das heißt, du hättest auch diesen Flug genommen, wenn ich nicht mitgekommen wäre? Du wärst am gleichen Tag wieder abgereist?“, frage ich ungläubig.
Louis legt seine Hand auf meinen Oberschenkel und sagt besänftigend: „Babe! Ich habe dir doch gesagt, dass ich morgen einen Termin habe. Ich wollte dich einfach noch einmal sehen und habe gehofft, dass du es dir zwischenzeitlich anders überlegt hast. Aber bestimmte Termine muss ich in meinem Beruf einhalten.“
Augenblicklich wird mir schmerzlich bewusst, dass ihm sein Leben in London mindestens genauso wichtig ist, wie meine Anwesenheit.
Nach dreistündiger Fahrt kommen wir am Flughafen Lusaka an. Nachdem Louis den Leihwagen abgegeben hat, begeben wir uns zum Gate.
Der Flug von Lusaka nach Casablanca dauert zwölf Stunden. Anfangs unterhalte ich mich noch mit Louis. Irgendwann schläft er völlig übermüdet ein, so dass ich nach seinem Ipod greife und Musik höre.
Nach der Ankunft in Casablanca müssen wir zwei Stunden auf unseren Anschlussflug warten. Wir setzen uns in die Abflughalle vor das Gate. Nachdem der Flughafen hier wesentlich größer ist, als der in Lusaka, sind hier wesentlich mehr Menschen unterwegs, die auf ihrem Weg nach Europa hier einen Zwischenaufenthalt einlegen müssen.
Mir fällt auf, dass wir von einigen Passagieren angestarrt werden. Ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit. Ich mag es nicht, beobachtet zu werden, dabei habe ich immer das Gefühl, die Leute schauen mir direkt in meine Seele. Louis bemerkt meine Unruhe und zieht mich zu sich heran.
„Hey, was ist los? Macht dir irgendetwas Sorgen?“
Ich schiele zu den Leuten und flüstere: „Warum starren die uns so an?“
Louis dreht seinen Kopf zur Seite und lächelt in die Menschenmenge, die hauptsächlich aus jungen Mädchen besteht. Die Fans quittieren seine Aufmerksamkeit sofort mit Kichern und Tuscheln.
Eines der Mädchen schreit: „Louis, I love you!“
Schlagartig wird mir bewusst, dass die Band wohl doch bekannter ist, als ich es erwartet habe. Wenn es hier, im Norden Afrikas, schon so viele Fans gibt, wie wird es dann erst in London? Ängstlich greife ich nach Louis Hand und drücke sie. Auf was habe ich mich da nur eingelassen? In dem Moment, als Louis mich jedoch anlächelt und mir tief in die Augen schaut, weiß ich wieder, warum ich das alles auf mich nehme und riskiere, von meiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Liebevoll küsst er mich.
Plötzlich bemerke ich, dass Blitzlichter von verschiedenen Geräten, hauptsächlich von Handys, aufleuchten. Scheu verstecke ich mein Gesicht an Louis Schulter. Erneut stellt sich mir die Frage: Auf was hast du dich da nur eingelassen?