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Geschichten umschreiben

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Gerade ist wieder so eine Zeit, da möchte man die Geschichte umschreiben. Manchmal ist es kaum zu glauben, wie so etwas passieren konnte.

Bei Büchern ist es so, da gibt es welche, die kann man kaum aus der Hand legen, das müssen dann nicht mal Krimis oder Thriller sein, einfach nur Geschichten, die einen fesseln, bei denen man unbedingt wissen muss, was die Autorin oder der Autor für seine Figuren noch vorgesehen hat und was in Romanen, die autobiografische Teile enthalten, alles geschehen ist.

Wenn einen die Sprache schon beim ersten Satz so gefangen hat, dass man immer weiterlesen muss, um sich von diesen wundervollen Worten, in so unglaubliche Zusammenhänge gebracht, immer weitertragen lassen möchte, und es niemals aufhören soll.

Und manche Textstellen liest man gerne nochmals, da die Worte einem wie aus der Seele geschrieben scheinen oder etwas so Wunderschönes und Treffendes haben, dass man es kaum zu fassen vermag.

Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich ein Buch verschlungen habe und mit allen Personen mitgefiebert und die ganzen Schicksalsschläge mit immer mehr Entsetzen und Herzklopfen verfolgt habe und dann nach der letzten Seite, die ich schon fast nicht mehr lesen konnte, da alles so furchtbar erschütternd war, das Ding mit einer Mischung aus Wut und bitterer Enttäuschung in die Ecke gepfeffert habe.

Wie konnte die Autorin die allerletzten Hoffnungen zerstören? Wie konnte sie es wagen, die Leser durch eine immer wieder mit furchtbaren Wendungen gespickte Geschichte zu schicken und dann hier und da Hoffnung aufkommen zu lassen, um dann am Schluss das vermutlich Schlimmste noch mal schnell einzubauen?

Ja, na sicher, das Leben ist kein Wunschkonzert und natürlich sollte so etwas auch thematisiert werden, ist ja nicht nur eitel Sonnenschein auf dieser Welt.

Das allerdings war schon von einer besonderen Wucht, die bis zum letzten Kapitel schon schwer auszuhalten war, aber immer wieder einen kleinen Anlass bot, dass es vielleicht doch noch wenigstens erträglich würde für die Figuren.

Aber so wollte es die Autorin nicht haben und das hatte ich nun davon, mich doch durchgelesen und mit oft angehaltenem Atem und Tränen in den Augen die Seiten umgeblättert zu haben, denn schreiben kann die Frau schon – in dem Fall vielleicht schon zu gut …

Sehr schwer war damals auch der Wälzer einer meiner Lieblingsautorinnen, die eine sehr gute und erfolgreiche Krimireihe schreibt, bei der etwa alle ein bis zwei Jahre ein neuer mindestens sechshundert Seiten umfassender Band herauskommt. Da war zwischendrin einmal eine Art Rückblick aus einer völlig anderen Perspektive, der ein furchtbares Drama aus dem Band davor erzählte und wie es dazu kommen konnte. Und da waren auch immer wieder so Momente, in denen man dachte: Aber wenn er doch jetzt links gegangen wäre oder wenn der kleine Bruder doch gleich mit nach Hause gegangen wäre und immer so weiter. Für mich war das ganz entsetzlich dabei sozusagen zuzusehen, wie die Katastrophe doch nicht aufzuhalten war. Danach brauchte ich erst mal eine längere Auszeit von den Krimis der Britin; danach war mir das einfach zu viel mit den mir schon ans Herz gewachsenen verbliebenen agierenden Figuren weiter mitzulesen und wie sie mit dem, was da geschah, nun weitermachen mussten.

Das sind dann auch ganz besondere Wortakrobaten, die es schaffen, ihre Leser so mitzunehmen, dass man sich fühlt, als wäre man mittendrin – und das eben auch manchmal in einer Situation, die direkt auf den Abgrund zu schlittert und die einfach an keinem Strohhalm Halt finden will.

Obwohl ich schon auch finde, dass es nicht nur immer ein Happy End geben kann. Das wäre zu naiv und würde zu sehr beschönigen, was ja gar nicht ist. Aber manchmal, in einem von mehreren Hundert Fällen, kann ich das dann fast nicht mehr aushalten, was mir da zwischen zwei Buchdeckeln in der Hand liegt; und dass mir diese Welt, die in meinem Kopf entstanden ist, die ich mir schon selbst interpretiert und in der ich mich auch mit der einen oder anderen Figur identifiziert habe, dass das nun alles in sich zusammenbrechen soll.

Aber da kann man nichts machen, das hat jemand mit gutem Recht für mich beschlossen – es war ja auch ihr oder sein Buch und das steht nun da so und das bleibt nun auch so.

Aber so ist das mit dem echten Leben ja auch, manche Geschichten nehmen einen so mit, dass man sich eigentlich eine Auszeit nehmen müsste, um noch mehr davon hören und sehen zu können, da kann man dann allerdings wenigstens noch versuchen einfach für diese Menschen da zu sein, da klappt dann nicht der Buchdeckel zu und die Geschichte ist zu Ende und da steht der Schlusspunkt. Nein, im Leben ist noch eine Wendung in die eine oder andere Richtung möglich.

Manche Geschichten möchte man umschreiben und das nicht nur in Büchern; auch manche Lebensgeschichte hätte man gerne noch positiv beeinflusst.

Was man aber immer tun kann, ist: achtsam sein, aufpassen, dass Vermeidbares nicht geschehen muss. Und dann kann das eine oder andere Ende auch anders ausgehen, das Leben muss noch keine abgeschlossene Geschichte sein.

Weges Rand

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