Читать книгу Weges Rand - Angelika Heller - Страница 12
In den Regalen
ОглавлениеDass es zu Geräuschen kommen kann, die nicht von Menschen und deren Tun und Lassen gemacht sind, scheint manche immer wieder zu irritieren.
Überhaupt ist das mit der Wahrnehmung bzw. der Einordnung von Geräuschen so eine Sache, wenn zum Beispiel in einer eher menschenleeren Bibliothek auf einmal ein dumpfer Knall ertönt, irgendwo da in den Tiefen der Stahlregale mit den oft eher spärlich beleuchteten Gängen.
Klingt wie der Anfang einer Gruselgeschichte, ist aber eher lapidar und schnell erklärt: Es ist ein Buch umgefallen, das eben jetzt gerade keine Lust mehr hatte, das Gleichgewicht zu halten.
Kommt vor, ist normal und erschreckt doch immer wieder Leute, die das nicht kennen und für Spuk halten.
Nun gut, ich mag jetzt auch wirklich nicht ausschließen, dass da irgendein Geisterwesen sein kleines Unwesen treibt oder die Seele des Buches womöglich gerade Unfug anstellen wollte, aber das ist jetzt bei einer Behördenbibliothek ziemlich unwahrscheinlich, da geht eher der Geist der tödlichen Langeweile um.
Bei einer wissenschaftlichen Universitätsbibliothek allerdings könnte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, ob diese nicht eventuell auf einem alten Indianerfriedhof erbaut wurde. Da kenne ich eine, in der ich relativ kurz nach ihrer Fertigstellung auch ein paar Jahre beschäftigt war, und es schien wirklich, als ob da einiges nicht mit rechten Dingen zuginge, aber das war eigentlich im ganzen Gebäude der dort untergebrachten Fakultäten so.
Nicht völlig abwegig wäre für mich auch, dass da der unruhige Geist eines verstorbenen Professors noch verweilt und sich Wissen aneignet oder es dieses womöglich verschwinden lässt, was dann wieder die verschollenen Bücher erklären würde, die noch nie angerührt wurden, aber trotzdem nicht da sind, oder die entfernten oder leeren Seiten mitten in dicken Wälzern.
Auf jeden Fall wäre das auch alles interessanter und unterhaltsamer als die eigentliche und einfache Erklärung: Es sind Diebstahl und Vandalismus, die auch nicht so ganz selten vorkommen.
Wenn ich daran denke, am Anfang meiner Zeit als Bibliothekarin, als ich tatsächlich jeden Tag den Studenten im Lesesaal gesehen habe, der dann als einer der größten Bücherdiebe aus öffentlichen Bibliotheken enttarnt wurde. Er hatte nie eine Tasche oder eine Jacke dabei, nur immer den weiten hellen Pulli an sich herabhängen, der auch nicht ausgebeult wirkte. Und doch muss er aus den Bibliotheken der Technischen Universität, der Ludwig-Maximilians-Universität sowie der Staatsbibliothek tausende von Medien mitgenommen haben – wie auch immer.
Bemerkt wurde das damals durch die Feststellung – wenn ich mich richtig erinnere, waren es Fensterputzer –, dass etwas mit der Statik in dem Haus nicht stimmte, in dem sein Apartment war. Er hatte auf jedem freien Fleckchen Bücher, aus denen die Besitznachweise geschnitten oder radiert waren, selbst im Tiefkühlfach des Kühlschranks. Wir durften dann mit ein paar Polizeibeamten zusammen versuchen, noch ein paar davon als unserer Bibliothek Gehörende zu identifizieren.
Ob bei ihm damals auch Bücher umgefallen sind oder ob sie zu dicht gepackt waren? Aber es hätte vermutlich, je nachdem, wie viele mit umgefallen wären, auch mal mindestens ein dumpfes Knallen gegeben.