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Eines Abends am Bahnsteig

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Nun hebt sie den Kopf von dem Pappkarton auf ihren Knien, schiebt sich eine Strähne ihres langen Haares hinters Ohr und schaut in die Ferne. Es muss wohl der Pfeifton der sich schließenden Türen am übernächsten Bahnsteig gewesen sein, der sie abgelenkt hat. Gedankenverloren stützt sie das Kinn auf den Handballen und seufzt leise, lässt dann den Blick hinaufgleiten zum nachtblauen Himmel, durchzogen von Stromleitungen und den Lichtstreifen der Werbeanzeigen und Bahnhofslaternen. Mit dem Kopf im Nacken seufzt sie wieder und verweilt dann ein wenig in dieser Position. Die junge Frau ist mir vorher schon aufgefallen, da sie auf der letzten Bank des Bahnsteigs sitzt, mit einem Pappkarton auf den angezogenen Beinen und den Füßen auf einem grauen Korb. Es scheint nicht, als ob sie auf einen Zug warten würde; die halten hier an diesem Flügelbahnhof sehr viel weiter vorne und so weit draußen ist es auch viel kälter. Ich bin auch nur so weit den Bahnsteig entlang, weil ich die Abendstimmung am Bahnhof liebe und einfach noch nicht wieder alleine zuhause sein möchte. Jetzt seufzt sie noch einmal und lässt das Kinn sinken, um sich wieder ihrer vorherigen Beschäftigung zuzuwenden. Es ist nicht, wie ich erst dachte, ein Tablet, sondern es sind bunte Schnipsel, die sie wie ein Puzzle aneinanderfügt. Irgendetwas scheint nicht ganz richtig zu sein, sie nimmt den Kopf etwas zurück, runzelt die Stirn, puzzelt neu zusammen und dann wieder anders. Etwas ungeduldig wirft sie die Teile durcheinander, wobei eines zu Boden flattert. Bevor sie die Beine von ihrem Korb nehmen kann, um es aufzuheben, komme ich schnell näher, bücke mich und reiche ihr das Stückchen aus festem Papier. Es ist ein Fetzen eines größeren Fotos, ca. DIN A4 wie ich jetzt erkennen kann, allerdings nicht wirklich, was darauf zu sehen ist. Sie bedankt sich, legt das Teilchen zu den anderen und seufzt wieder ein bisschen. Jetzt frage ich sie, ob alles okay ist und ob sie nicht sehr friert. Nicht so schlimm, meint sie und wir schauen ein bisschen vor uns hin. Ich lächele sie an und meine, dass ich Bahnhöfe liebe. Ja, sie auch, nur fährt sie eigentlich nie fort. Dabei schiebt sie die Fototeile ein bisschen hin und her, rückt sie wieder zusammen, breitet sie wieder aus.

»Eine schöne Erinnerung?«, frage ich sie. Sie seufzt, nickt ein bisschen.

»Ja, aber kaputt«, ist ihre leise Antwort. Ich nicke ihr zu; ich weiß, was sie meint. Wir schauen wieder beide in die Ferne. Etwas lauter seufzend als zuvor räumt sie die Teile in die Tasche ihres Parkas, packt den Karton und hebt beim Aufstehen den Korb hoch. Langsam gehen wir nebeneinander den leeren Bahnsteig zurück Richtung Bahnhofshalle. Bei dem ersten Kiosk bleiben wir stehen, sie schaut vor sich hin, dreht sich halb weg, dann wieder zu mir. Wir lächeln einander leise an.

»Alles Gute und dass es vieles gibt, damit es wieder schön wird«, wünsche ich ihr.

»Ja«, sagt sie. »Ja, Dir auch, und dass nicht zu viel wieder kaputtgeht.«

»Ja«, ist alles, was mir dazu einfällt. Noch ein aufmunterndes kleines Lachen, ihre Augen bekommen einen besonderen Glanz.

»Mach’s gut!«

»Du auch!« Sie wendet sich nach links, hebt noch kurz die Hand mit dem Pappkarton. Dann gehen wir beide unserer Wege.

Weges Rand

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