Читать книгу Weges Rand - Angelika Heller - Страница 11
Hannah
ОглавлениеHannah hat so ein Strahlen, wie man es selten sieht und nie vergisst, so ein warmes und herzliches, bei dem die Sonne aufgeht bei diesem Leuchten in den goldgesprenkelten Augen.
Ich hab sie vermisst. Mir war schon aufgefallen, dass die kleine schwarzhaarige Frau mit ihrem Wägelchen schon eine Weile nicht mehr an der Münchner Freiheit Pfandflaschen eingesammelt hatte. Und ich habe vermisst, wie sie mir immer schon aus weiterer Entfernung entgegengestrahlt und gewinkt hat. Und wie dabei immer die Sonne aufging.
Vor 35 Jahren ist die Griechin nach Deutschland gekommen. Sie hat mir schon unendliche Male von ihren Kindern – es sind zwei und alle so lieb – erzählt und dann wurde ich seit der Geburt des ersten Enkels, dem nach zwei Jahren ein Geschwisterchen folgte, auf dem Laufenden gehalten, was die Kleinen so treiben.
Und sie hat auch zwischendrin manchmal erzählt, wie schwer alles für sie ist.
Seit sie nicht mehr putzen gehen kann, weil die Herzprobleme und das Cortison ihr die furchtbaren Ödeme in Oberschenkeln und Hüften beschert haben. Und sie zeigt immer wieder auf die aufgequollenen Körperstellen und hat Tränen in den Augen, weil sie doch mal so eine Schönheit war, damals, als ihr Mann noch lebte und das Leben noch schön war.
Man versteht nicht immer alles gleich, weil sie so lebhaft und geradezu übersprudelnd erzählt und ihr hartnäckiger Akzent in die nicht immer grammatikalisch einwandfreien Sätze hineinbricht. Aber was nicht in klaren Worten kommt, kann man sich sehr gut zusammenreimen, ihre Gesten und Blicke sprechen die Untertitel dazu.
Heute kommt sie wieder die breiten Treppen neben dem Wasserlauf herunter und strahlt und winkt. Dabei fallen dauernd leere Pfandflaschen aus ihren Taschen, weil sie heute ihren Wagen nicht dabei hat; sie musste ja zum Arzt.
Ob es heute wieder gut sei und ob sie sehr krank gewesen sei, weil ich sie so lange nicht gesehen habe, frage ich sie. Mit einem Winken, womit sie wieder eine Flasche auf den Boden befördert, tut sie das ab. Ja, ja, heute sei alles ganz gut, heute besuchen sie nämlich die Enkel und sie könne auch wieder laufen, alles sei ganz gut.
Dann erzählt sie aber doch, wie schlimm es die letzten Wochen gewesen sei und dass alles immer mehr anschwillt und dass sie beim letzten Rentenbescheid so geweint hat, weil die Putzfirma sie damals so betrogen hat.
Aber sie freut sich so, mich zu sehen, und ob es mir wieder gut gehe, möchte sie wissen. »Hast du auch wieder gute Zeit?«, fragt sie und erinnert sich daran, wie wir uns das erste Mal im Wartezimmer begegnet sind. Ja, doch, so schlimm ist es gerade nicht, danke.
Und dann helfe ich ihr alle Flaschen wieder einzusammeln und gebe ihr noch eine Tasche von mir, damit sie alle tragen kann, weil helfen lassen möchte sie sich sonst nicht, da ist ihr Stolz davor. Aber sie freut sich, wenn man bei ihr stehen bleibt und plaudert und sich die Geschichten immer wieder anhört.
Und ja, ich höre mir die Geschichten auch gerne noch viele unendliche Male an, auch immer wieder die gleichen, arme, liebe Hannah, du Wunderbare, die du die Sonne doch immer wieder aufgehen lassen kannst.