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Nellie

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»Haben Sie denn vielleicht meine kleine Nellie gesehen?«

Die Stimme, die mich das fragt, gehört der alten Dame mit dem schwarzen Mantel und dem schwarzen Hut mit einem grün schillerndem Band.

Eben habe ich mich an die Wand des Wartehäuschens der Trambahn gelehnt und mein Buch aufgeschlagen, um auf die nächste Bahn zu warten. Der Fahrer vorhin hatte es wohl sehr eilig und mich dabei übersehen; dann ist eben erst die Nächste dran. Ich bin ja, wie meistens, viel zu früh los.

Die Dame schaut ganz verzweifelt um sich und fragt wieder nach ihrer Nellie. Sie hat in der einen Hand eine rote Hundeleine und in der anderen einen kleinen bunten Ball.

Schon oft habe ich gesehen, wie sie mit der kleinen weißen Malteser-Hündin, die sie Nellie ruft, hier herumspaziert. Das weiße Hündchen mit dem einen verkürzten Hinterbeinchen springt dabei immer fröhlich herum und jagt seinen kleinen Ball. So manches Mal kullerte mir die bunte Kugel auch vor die Füße und dann kam sie angewedelt, stupste ihr Spielzeug an und warf mir seelenvolle Blicke aus schwarzen Knopfaugen zu. Dann durfte ich das weiße, fluffige Fellknäuel mal kurz streicheln und natürlich vor allem auch das Bällchen erneut werfen.

Ein echtes Vergnügen, der kleinen Süßen zuzusehen, die trotz Hinkebein so unverdrossen herumtollte. Sehr gerne habe ich da auch mal ein paar Minuten länger gestanden und bin erst ein bisschen später weiter.

Nun steht ihr Frauchen aber hundelos neben mir und ruft nach ihrer Nellie und mir fällt auf, dass der Wirbelwind gar nicht zu sehen ist.

»Ich helfe Ihnen beim Suchen. Wo haben Sie sie denn zuletzt gesehen, wo ist sie denn hingelaufen?«, frage ich. Etwas unbestimmt zeigt die verzweifelte Frau in Richtung Unterführung und dann zu den Bolzplätzen in die andere Richtung.

»Wollen wir uns aufteilen? Ich gehe nach links und Sie nach rechts?«, meine ich daraufhin.

»Ja, ja.« Jetzt stehen ihr schon Tränen in den Augen. Ich drücke ihr ganz sanft den Arm und versichere, dass wir Nellie schon finden werden, wenn sie doch gerade noch da war.

Daraufhin kommt ein Nicken und schon fast ein Schluchzen.

Die alte Dame dreht sich um in Richtung Unterführung und zum Hotelparkplatz und ich suche den Bolzplatz und die Spielwiese ab, gehe auch ein Stück die Straße zum Einkaufscenter hinunter und rufe nach der Vermissten.

Aber es ist nichts zu sehen oder zu hören von dem munteren weißen Fellbündelchen, und auch die paar Leute, die mir begegnen, haben sie nicht gesehen.

Wieder auf dem Rückweg zur Haltestelle sehe ich, dass die Gestalt mit Hut und Mantel auf einer der Bänke sitzt und traurig auf die Leine und den Ball in ihren Händen hinabblickt.

»Es tut mir sehr leid, aber ich kann Nellie nicht finden«, sage ich vorsichtig und will gerade noch fragen, ob sie nicht vielleicht manchmal alleine nach Hause läuft oder irgendeinen anderen Lieblingsplatz hat.

»Wie könnten Sie auch!« Ihre Stimme zittert. Sie hebt den Kopf und die blauen Augen schwimmen in Tränen, »Sie ist ja nicht mehr da.«

Etwas in ihrem Blick lässt mich stutzig werden. Da ist doch noch etwas anderes als die Angst, weil das Tier verschwunden ist, und ich fühle eine traurige Verlorenheit bei meinem Gegenüber.

»Sie ist doch im Hundehimmel, das habe ich nur gerade vergessen.«

Ganz vorsichtig lege ich meine Hand auf ihre und drücke sie dann fest. Ja, die Hundedame war ja auch nun wirklich nicht mehr die Jüngste. Wir haben uns erst vor ein paar Monaten darüber unterhalten, wie quietschvergnügt sie immer noch herumspringt – und das sogar mit dem verkürzten Beinchen, das nach einer schlimmen Infektion teilamputiert werden musste.

»Da geht es ihr bestimmt sehr gut, im Hundehimmel.«

»Ja, meine Nellie hat es jetzt überstanden, sie hatte es ja auch nie so ganz leicht.«

Noch ein bisschen halte ich ihre Hand fest und sie seufzt leise. Dann dreht sie den Kopf und sieht an mir vorbei zu dem Wiesenstück.

»Meine Nellie, jetzt springt sie auf grünen Wolken und hat so viel Spielzeug, wie sie sich nur wünscht, und nichts tut ihr mehr weh.« Ein trauriges Lächeln huscht über ihr Gesicht und sie drückt kurz meine Hand. Dann steht sie mühsam auf, dreht sich langsam um und schlägt den Weg zu der Wohnsiedlung ein, die Leine fast am Boden schleifend.

»Ja, liebe Nellie, jetzt geht’s dir gut«, glaube ich noch zu hören.

Dann merke ich, dass ich schon zwei Bahnen habe vorbeifahren lassen und jetzt sehen muss, die nächste zu kriegen, um jetzt nicht doch viel zu spät zu kommen.

Ich steige ein und stelle mich ans hinterste Ende, sodass ich nach hinten hinaussehen kann, und mache mir Gedanken um die alte Dame, wie sie denn nun zurechtkäme ohne ihre Nellie.

Und da! Plötzlich sehe ich eine seltsame Spiegelung in der Scheibe und habe dabei die Vision von einem kleinen weißen Hund, der einem bunten Ball hinterherjagt.

Weges Rand

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