Читать книгу Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite - Anita Vetter - Страница 13

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SHIT HAPPENS

Sydney, Australien
Dezember 2010

Für ebenso viel Lachen, aber noch mehr Fremdschämen sorgt eine Geschichte, die ich noch nicht oft geteilt habe. Ich will nicht sagen, dass mir die Geschichte peinlich ist. Sie ist menschlich. Dennoch werden Erlebnisse wie dieses nicht unbedingt an große Glocken gehängt. Mehr so an kleine Bimmeln. Man erzählt sie eher in Flüsterstimme und beginnt mit den Worten: »Du glaubst nicht, was mir passiert ist, das darf man echt keinem erzählen …« Aber nun gut. Wir wissen alle, warum wir hier sind, also lasse ich nichts aus. Reisen hat verschiedene dunkle Seiten. Manchmal sind es auch Brauntöne. Also stellen wir uns dieser, sagen wir »unangenehmen«, Geschichte, die ich in Australien erlebt habe.

Erst kurz zuvor hatte ich auf den Fidschis meinen heute sehr guten Kumpel Dan kennengelernt, mit dem ich mittlerweile schon zig Länder bereist habe. Wir hatten beschlossen, Silvester gemeinsam in Sydney zu verbringen, was sich anbot, da wir für diese Zeit bei Dans Tante und Onkel unterkommen konnten. Genau genommen wohnten wir nicht direkt in dem eher kleinen Haus von Dans Verwandten, sondern im Haus der Nachbarn. Diese waren zu der Zeit verreist, und so durften wir eine Weile dort schlafen. Nach wochenlangen Hostelübernachtungen in freundlicher Gesellschaft der einen oder anderen Bettwanze, jubelten Dan und ich, als wir schließlich einem riesengroßen King-Size-Bett gegenüberstanden. Es war ein Traum. Wir hatten nicht nur wahnsinnig weiche Matrazen und ordentliches Bettzeug, sondern eine komplette Bude ganz für uns alleine. Alles hätte so schön sein können. Doch leider hatten wir uns am ersten Tag in Australien jeder ein großes Sandwich einer bekannten Sandwichkette gegönnt. Es war lange her gewesen, dass wir so etwas genossen hatten, und wir freuten uns wie kleine Kinder, als wir davor saßen. Ich gab mir die volle Dröhnung mit Jalapeños, Oliven und Thunfisch. Himmlisch! Das zufriedene Glucksen in meinem Magen verwandelte sich jedoch schon kurze Zeit später zunächst in ein leises Quietschen und dann in beängstigendes Röhren. Die übelsten Magen-Darm-Probleme, die ich bis dato erlebt hatte, klopften an meine Hintertür und sagten: »Sorry, Nick, wir müssen hier mal durch. Und zwar jetzt.« Ich kam überhaupt nicht mehr vom Klo runter. Sobald ich etwas zu mir nahm – und sei es nur ein Schluck Wasser –, musste ich schon wieder zur Toilette rennen. Es war nicht auszuhalten. Innerhalb weniger Stunden war ich komplett geschwächt, hatte kaum noch Energie und war ständig in Sorge, dass ich mir in die Hose machen würde. Dazu kamen Bauchkrämpfe aus der Hölle. Auf dem Weg zum Haus rannte ich gefühlt auf jede öffentliche Toilette, an der wir vorbeikamen. Was war ich froh, als wir endlich die Tür hinter uns schlossen und ich immer ein Klo in direkter Nähe hatte!

»Vielleicht solltest du dir für die Nacht eine Windel anziehen«, scherzte Dan, bevor wir uns am Abend in die Koje legten. Ich lachte zwar mit, hatte aber gleichzeitig auch panische Angst: Was war da mit meinem Magen los? So etwas hatte ich wirklich noch nie erlebt. Durchfall ja. Kennt man. Ist doof, geht vorbei. Aber das?!

Ich hatte mittlerweile sogar Angst davor zu pupsen, da sonst ein Missgeschick passieren könnte. Bevor ich in Boxershorts ins Bett schlüpfte, wickelte ich mir dann tatsächlich ein dickes Handtuch um die Hüften, nur um sicherzugehen. Trotz der Krämpfe, die noch immer meinen Bauch durchzogen, schlief ich wenig später vor lauter Erschöpfung ein. Warum ich dann mitten in der Nacht aufwachte, weiß ich nicht. Vielleicht war es diese Urangst, ins Bett zu machen. Ich denke, jeder kennt dieses Gefühl, wenn man davon träumt, dass man auf Toilette muss. Kaum wurde mir das klar, war ich schlagartig knallwach. Mit aufgerissenen, riesengroßen Augen lag ich im Dunkeln und dachte: »Oh, oh. Fuck. Es ist passiert!« Das oder etwas Ähnliches muss ich laut gesagt haben, denn wie der Blitz sprang Dan aus dem Bett und schrie: »NO! Nick, NO! YOU DID NOT!« Er stürzte zum Lichtschalter und sah mich entsetzt an. Eine Sekunde war ich still, dann hob ich langsam die Decke und spähte darunter. Mein Blick sprach wohl tausend Bände, denn Dan fing sofort wieder an zu schreien: »NO! You did not! Nick, you did not SHIT IN OUR BED!«


WENN DANS VERWANDTSCHAFT NUR WÜSSTE, WAS ICH IN DIESER NACHT IM BETT DER NACHBARN »ANGESTELLT« HATTE …

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Tatsächlich war ich sogar kurz davor, zu lachen. Wohl aus lauter Überforderung. Schließlich drückte ich das Handtuch wie eine Windel um meine Beine und trippelte mit den Händen an meinem Po ins Bad, als ob ich eine offene Wunde mit einem Druckverband blutstillen wollte. Als ich in der Badewanne stand, um mich sauberzumachen, dachte ich nur: »Echt jetzt? So ein Scheiß!« Es war kein schönes Gefühl – und auch kein schöner Anblick. Vor allem nicht, weil ich genau wusste, was Dan gerade sah. Bis ins Bad hörte ich ihn fluchen: »Fuck Nick! You shit in the bed I slept in! What the fuck. Shit. Literally. EVERYWHERE!« Er war komplett frustriert und irre sauer. Trotzdem kam er ins Bad, um nach mir zu sehen. Als er mich da mit heruntergelassener, vollgemachter Boxershorts in der Badewanne stehen sah, siegte aber sein Mitleid. Oder so etwas Ähnliches, denn plötzlich fing er aus vollem Halse an zu lachen – und steckte mich damit an. Minutenlang konnten wir nicht aufhören. Ich hatte schon wieder Angst zu pupsen – es war einfach zu absurd. Wir hatten schon viel gemeinsam erlebt, so etwas aber definitiv noch nicht.

Als wir uns beruhigt hatten und ich wieder vorzeigbar war, sahen wir uns den Schlamassel an. Dan schüttelte den Kopf. Was sollten wir jetzt machen? Als Erstes löschte Dan alle zu hellen Lichter, denn wir wollten Dans Tante und Onkel nicht aufwecken. Was, wenn die das nächtliche Licht und Geschrei im Nachbarhaus bemerkten und wissen wollten, was da drüben bei uns los war? Wir machten also einen auf Mission: Impossible, zogen die Bettwäsche ab und verfrachteten die ganze Sauerei samt Handtuch und Boxershorts in die Waschmaschine. Dann versuchte ich wie ein Irrer, den Fleck auf der Matratze herauszuscheuern. Dan reichte mir alles, was er finden konnte: Seife, Geruchsneutralisierer, Backpulver – aber so ganz spurlos wollte der Fleck nicht verschwinden. Schließlich drehten wir die Matratze einfach um und bezogen das Bett wieder neu. Ganz nach dem Motto: Was man nicht sieht, ist nicht mehr da.

Ich suchte im Haus dann tatsächlich noch nach Windeln, konnte aber keine finden. Schließlich wickelte ich mir wieder ein Handtuch um und betete inständig zu allen Göttern, dass diese Nummer nicht noch mal passierte. Am nächsten Tag ließ ich mich im Krankenhaus durchchecken. Ich hatte mir tatsächlich eine ziemlich hartnäckige Magen-Darm-Bazille eingefangen.

Ich gebe zu: Dass wir die Matratze am Ende einfach umdrehten, war nicht besonders cool. Aber ich schreibe es auf das Ich-war-jung-und-dumm-Blatt. Heute würde ich es sicher anders machen. Vielleicht. Damals aber war ich einfach nur froh, die ganze Geschichte hinter mich gebracht zu haben. Was man von Dan übrigens nicht behaupten kann. Zwei Jahre später reiste er mit seinem besten Freund Scott aus Kanada herum, als ihm haargenau das Gleiche noch mal passierte. Wieder lag er mit einem Kumpel im Bett und wachte von einem unheilverkündenen »Oh, oh!« auf. Nie habe ich mehr gelacht, als an jenem Tag, an dem Dan, Scott und ich uns 2018 alle zu dritt in Vietnam trafen und sie mir davon erzählten. Dan sah Scott und mich an und schüttelte nur den Kopf. Da saßen sie, seine zwei Helden, die ihre Pobacken nicht zusammenhalten konnten. Wie konnte er sie nicht lieben? Herrlich.


WIEDER MAL EIN BESUCH IM KRANKENHAUS, DIESMAL MIT »MAGENDARM« DER FEINSTEN SORTE.


ALLEINE DER GEDANKE DARAN, EINE »STUHLPROBE« IN DIESES DÖSCHEN ZU PLATZIEREN … WAS MUSS, DAS MUSS


DIE BEIDEN »BETTSCHEISSER« (SCOTT & ICH) UND DAN BEI UNSEREM WIEDERSEHEN IN VIETNAM

Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite

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