Читать книгу Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite - Anita Vetter - Страница 14
ОглавлениеVERFOLGUNGSJAGD
Bali, Indonesien
März 2018
Von unserem Wiedersehen in Vietnam springen wir einfach ein paar Seemeilen südöstlich nach Indonesien. Auch hier erlebte ich eine dieser Geschichten, die manchmal passieren, wenn zwei Kumpel zusammenhängen und eine gute Zeit haben. In Indonesien bin ich seit 2014 nahezu jedes Jahr gewesen, denn für mich ist das ein echtes Surferparadies. Damit meine ich nicht nur Bali mit Canggu und Ubud, wohin Jahr für Jahr immer mehr Touristen reisen. Seit meinem ersten Besuch dort stelle ich jedes Jahr aufs Neue fest, wie sehr der Tourismus in ganz Indonesien immer weiter wächst, besonders an den Küsten.
2018 war ich mit einem guten Freund aus Deutschland unterwegs. Es war ein lauer Abend, und wir saßen gemütlich in einer Strandbar. Hinter uns lag ein großartiger Tag mit besten Wellen zum Surfen, vor uns standen zwei, drei Bierchen. Na gut, vielleicht auch mehr. Als die Nacht sich langsam ankündigte, beschlossen Fabi und ich, dass es Zeit wäre, zurück zu unserer Unterkunft zu fahren. Wir setzten uns in Fabis Van, in dem wir auch unsere Surfboards verstaut hatten, und starteten in das Wirrwarr des indonesischen Verkehrs. In Canggu sind die Straßen relativ schmal, dafür aber immer schön voll. Autos und sehr viele Motorräder und Roller kommen dir gefühlt aus allen Richtungen entgegen. Anstatt sich weit links einzuordnen, fahren viele Einheimische aus irgendeinem Grund immer relativ mittig auf der Straße – und weichen bei Gegenverkehr auch nicht aus. Das macht es auf den Straßen natürlich schwer, aneinander vorbeizufahren. Fabi jedenfalls war an diesem Abend auf einer Mission. Als jemand, der in Deutschland seinen Führerschein gemacht hat – einem Land, in dem die Straßenverkehrsordnung mehr Regeln hat als das englische Königshaus –, dachte er sich: »Diese Kamikazefahrer erziehen wir jetzt mal ein bisschen.« Kurzerhand manövrierte er den Van ebenfalls in die Mitte der Fahrbahn. Alle Autos, die uns nun entgegenkamen, gingen davon aus, dass wir schon ausweichen würden. Das taten wir aber nicht. Erst im letzten Moment, bevor die Motorhauben sich jeweils mehr oder weniger freundlich »Guten Tag« gesagt hätten, lenkte Fabi nach links. Das wurde das eine oder andere Mal eine ziemlich knappe Kiste.
DAS WOHL AM HÄUFIGSTEN VON MIR BESUCHTE LAND: INDONESIEN
Schließlich blieb es nicht bei »knapp«. In einem der entgegenkommenden Wagen saß wohl eine indonesische Version von Fabi, die ebenfalls auf einer Mission war. Es kam, wie es kommen musste: Zwar berührten sich unsere Motorhauben nicht, aber es war das letzte Mal, dass wir unseren rechten Außenspiegel sahen. Fabi hatte das Steuer im letzten Moment nach links gerissen – und der Indonesier seines von uns aus nach rechts –, aber der Kollisionskurs war nicht mehr aufzuhalten gewesen. Es schepperte heftig, knirschte noch ein bisschen, und dann hörte ich Fabi leise sagen: »Ups.«
»Sollen wir besser anhalten?«, fragte ich.
Doch Fabi fuhr weiter und kommentierte nur: »Ach, fuck, scheiße, ist auch nur ein Seitenspiegel, was soll’s.«
War mir auch recht. Ich nehme an, Fabis und meine allgemeine Lässigkeit in Bezug auf Fahrerflucht stand an diesem Abend in direktem Zusammenhang mit den Bintangs, die wir zuvor getrunken hatten.
Ein paar Minuten später fuhren wir durch die nächste Ortschaft und hatten den Vorfall beinahe schon vergessen. Gerade hielten wir an einer Kreuzung, um zu schauen, ob sich von links oder rechts jemand näherte, da wurde aus dem Nichts heraus meine Beifahrertür aufgerissen. Bevor ich überhaupt realisieren konnte, was los war, wurde ich von zwei Indonesiern am Kragen gepackt. Die Typen, deren Außenspiegel ebenfalls hatte dran glauben müssen, waren umgedreht und uns gefolgt. Nun wollten sie Vergeltung und versuchten deshalb, mich aus dem Bus zu zerren.
Völlig geschockt hielt ich mich fest – glücklicherweise war ich zusätzlich auch angeschnallt – und schaute Fabi an. Der blickte geschockt zurück. Aber nur etwa eine Sekunde lang. Schon im nächsten Moment legte sich in seinem Kopf ein Schalter um, und er trat aufs Gaspedal. Mit einem Satz ruckte der Van vorwärts. Durch die Anfahrt schlug die Beifahrertür zu, was die wütenden Indonesier endgültig dazu brachte, von mir abzulassen. Panisch schaute ich in den Rückspiegel und konnte erkennen, dass die zwei Typen zurück zu ihrem Auto rannten und ebenfalls den Motor starteten.
»Fabi, die verfolgen uns!«, rief ich und drehte mich um. »Schnell, gib Gas!«
Das ließ Fabi sich nicht zweimal sagen. Was wir uns in den folgenden Minuten lieferten, war zwar keine hollywoodreife Verfolgungsjagd – aber ein wenig in die Richtung ging es schon. Vor allem wenn man das übliche Verkehrschaos bedenkt, das sowieso auf den Straßen herrschte. Nach ein paar Minuten, als Fabi und ich uns sicher wähnten, die Typen abgehängt zu haben, steuerten wir unsere Unterkunft an. Doch kaum erreichten wir unser Hostel, tauchten die Indonesier wiederum wie aus dem Nichts auf. Dieses Mal hatten sie dazugelernt und parkten uns direkt ein. Sofort stiegen sie aus und kamen auf uns zu. Ihre Gesichter hatten nichts mehr von der Freundlichkeit, die ich normalerweise von Indonesiern gewohnt bin. Aber klar, wer will es ihnen verübeln? Wobei ich zu unserer Verteidigung sagen muss: Die Typen waren genauso spät ausgewichen wie wir – und genau wie sie hatten auch wir einen Seitenspiegel eingebüßt. Wer war hier also schuld? Oder besser gesagt: Wer war hier eigentlich nicht schuld? So wie ich die Sache sah, nahmen wir uns da alle nicht besonders viel. Was allerdings schon stimmte: Wir hätten anhalten und die Sache direkt klären können. Doch nun war keine Zeit für lange Diskussionen, denn die beiden Männer hatten unseren Van erreicht, und ihre Haltung sagte deutlich, dass sie uns sehr gerne wehtun wollten.
Ich sprang aus dem Wagen, hielt die Hände beschwichtigend vor die Brust und wich ein paar Schritte zurück: »Hey, langsam, langsam«, versuchte ich den Typen, der mich anvisiert hatte, zu beruhigen. Er sah aus, als sei er der Sohnemann des Fahrers. »Leute, es tut uns wirklich leid!« Ich machte nicht sonderlich Eindruck auf mein Gegenüber. Glücklicherweise aber war Fabi erfolgreicher. Das lag eventuell auch daran, dass er ein wenig Balinesisch spricht.
KLEINER GEHEIMTIPP: WARUNG KU AUSSERHALB VON CANGGU: DAS BESTE LOCAL-ESSEN AUF DER INSEL!
Kurze Zeit später war die Sache überstanden. Es hatte übrigens nicht an Fabis Fremdsprachenkenntnissen gelegen, dass wir relativ glimpflich aus der Nummer herausgekommen waren. Fabi hatte, ohne lange zu fackeln, die internationale Joker-Karte gezogen, die im Grunde überall funktioniert: Geld. Ich nickte Fabi dankend zu und blickte dann den Typen hinterher, die zwar noch grollend, aber mit einem deutlichen Gewinn zurück in ihr Auto stiegen. Von dem Geld, das Fabi ihnen gegeben hatte, würden sie sich mehr als einen Außenspiegel kaufen können, so viel war sicher. Das war uns allerdings ziemlich egal, denn wir waren froh, dass uns die Fahrerflucht unter Alkoholeinfluss nicht unsere Vorderzähne gekostet hatte.
Zugegeben: Angetrunken Auto fahren, Fahrerflucht, Verfolgungsjagd – das klingt nicht gerade nach Vorbildfunktion. Hier geht es auch nicht darum, mich unter diverse Flakscheinwerfer in ein besonders gutes Licht zu rücken. Hier geht es um die Fucked-up-Geschichten, die Kehrseiten des Reisens. Es sind die Fehler und Fuck-ups, die ich erlebt habe und von denen ich lernen durfte. Jedoch ist es meiner Meinung nach wichtig, diverse Fehler auch als solche zu erkennen und es im Anschluss zu vermeiden, die gleichen ein zweites Mal zu machen. Dazu stehen, hinfallen, aufrappeln, sich den Staub abklopfen und das wilde Rodeo des eigenen Lebens mithilfe der gemachten Erfahrungen neu kalibrieren.