Читать книгу Die geilste Lücke im Lebenslauf – Die dunkle Seite - Anita Vetter - Страница 6
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Ilha do Guajiru, Brasilien Dezember 2018
Der totale Fuck-up. Echt. Dabei könnte alles so schön sein. Ich liege auf einer bequemen Hängematte, die mitten im schönsten Sonnenschein auf einer riesigen Dachterrasse gespannt ist. Über mir strahlend blauer Himmel, unter mir die türkisblaue Herrlichkeit einer der schönsten Kite-Lagunen, die ich je gesehen habe. Irgendeiner der winzigen Punkte da unten ist meine Freundin Steffi, die gerade einen Spaziergang macht. Würd ich auch gern. Kann ich aber nicht.
Mein Hängemattennachbar Freddy reicht mir einen riesengroßen Joint rüber. Ich mache mir nichts aus Marihuana und vertrage es auch nicht. Doch ich nehme ihn und ziehe daran. Wir beide sind mit den Köpfen schon längst in den Wolken über uns. Oder wie man hier so schön sagt: high as a kite.
»Einmal habe ich mich so dermaßen in den Leinen verheddert. Meinen Kite hat es nach oben gerissen, und ich wurde unter Wasser gedrückt. Da hing ich dann wie ein nasser Sack und wurde durch die Lagune gezerrt.«
Während ich in den Himmel über mir starre, lausche ich Freddys Kitesurf-Geschichten. Davon hat der Typ eine Menge auf Lager, einschließlich einiger Nahtoderfahrungen. Freddy ist ein guter Erzähler. Obwohl meine Laune so was von im Keller ist, bringt er mich zum Lachen. Seine Erzählungen erinnern mich an meine eigenen Reisegeschichten und wie ich sie in den letzten Jahren auf der Bühne zum Besten gegeben habe: Eigentlich krasse Geschichten, die teilweise gefährlich und überhaupt nicht zum Lachen waren, werden im Scheinwerferlicht plötzlich zu echten Brüllern. Wie oft habe ich auf der Bühne schon von dem Tag erzählt, als mir eine Harpune in die Brust gejagt wurde. Doch obwohl das eine der krassesten Situationen in meinem Leben war, bringe ich die Menschen damit zum Schmunzeln. Manchmal ist nicht nur Vorfreude die schönste Freude, sondern auch Schadenfreude.
Wenn wir vom Reisen erzählen, strahlt meist alles in positivem Licht. Wir erzählen von Abenteuern, witzigen Erlebnissen und spannenden Menschen, die wir getroffen haben, und prahlen damit, wie viel reicher wir durch die ganzen Erfahrungen geworden sind. Das ist ja auch richtig. Für mich ist das Reisen die beste Universität des Lebens. Da können sich Harvard und Co. noch ein paar Scheiben abschneiden. Beim Reisen machst du einen großen Satz raus aus deiner Komfortzone, sprengst deine Grenzen und lernst dich selbst von ganz anderen Seiten kennen. Abseits des Alltags, in dem es bisher so bequem war. Plötzlich musst du dich jeden Tag neu definieren, denn ständig steckst du in unbekannten Situationen, triffst auf andere Menschen oder stellst dich neuen Herausforderungen.
IN DIESER HÄNGEMATTE IN PIPA HABE ICH MEIN ERSTES BUCH GESCHRIEBEN – DEM MUSKELFASERRISS SEI DANK.
NACH DEM MOTTO: NUR GUCKEN, NICHT SELBER MACHEN. DIE KITE LAGUNE IN ILHA DE GUAJIRU
Weil genau das mein Leben so bereichert hat, liebe ich es, andere dazu zu inspirieren, ungeahnte Abenteuer zu entdecken. Das mache ich bei meinen Liveshows, in meinem Podcast oder bei diversen Interviews. Aus diesem Grund habe ich auch mein erstes Buch Die geilste Lücke im Lebenslauf veröffentlicht. Doch bei all der Inspiration fehlte mir plötzlich etwas. Und zwar die Kehrseite der Medaille. Ganz ehrlich: Jede Wurst hat zwei Enden. Das ist auch beim Reisen so. Es ist nicht immer alles Pommes und Disco. Das ist übrigens auch der Grund dafür, warum ich mitten im schönsten Kite-Paradies NICHT auf einem Board stehe und mir NICHT den Wind um die Nase wehen lasse. Der Grund, warum ich hier im sonnigen Brasilien plötzlich Marihuana rauche.
Im Unternehmenskontext gibt es die sogenannten Fuck-up-Nights. Das sind Events, auf denen Unternehmer und Selbstständige davon berichten, wie sie gescheitert sind, sich mal so richtig schön auf die Fresse gepackt und ihre Unternehmen oder einzelne Projekte gegen die Wand gezimmert haben. Warum stellen die sich auf eine Bühne und erzählen davon? Und warum hören da so viele zu? Ganz einfach: weil aus dem Scheitern oft die größten Learnings entstehen. Es gab mal einen Erfinder namens Thomas Alva Edison. Den kennst du, der Typ hat die Glühbirne miterfunden. Allerdings erst nach langem Herumprobieren. Dazu sagte Edison einmal: »Ich habe nicht versagt. Ich habe nur 10.000 Wege gefunden, die nicht funktionieren.« Im Grunde ist es das: Man probiert so lange aus, bis man den Weg findet, der einen dahin bringt, wo man hin möchte. Dass man sich zwischendurch ein paarmal verirrt oder in die verkehrte Richtung rennt, ist Teil des Spiels. Das gilt auch fürs Reisen. Jeder kann barfuß mit einem Mojito in der Hand am Strand tanzen und bescheuert-glücklich lächelnd zum Beat vom Bacardi-Jingle wippen. Aber das sind nicht unbedingt Momente, in denen wir am meisten lernen oder die dazu führen, dass wir die Glühbirne erfinden. In Wahrheit ist es die andere Seite der Medaille, die uns reifen lässt. Die dunkle Seite. Die 10.000 Wege, wie wir eine Glühbirne nicht zum Leuchten bringen.
MAN KÖNNTE SAGEN: ICH IN MEINEM ELEMENT. EINE LIVE SHOW VON »DIE GEILSTE LÜCKE IM LEBENSLAUF«
Genau darum soll es in diesem Buch gehen. Kehren wir mal den ganzen lustig ausgeschmückten, positiven, strahlenden Reiseerfahrungen den Rücken zu und stecken den Kopf in die vermeintliche Dunkelheit, in die uns auch das Reisen in schöner Regelmäßigkeit hineinkatapultiert. Die einzelnen Kapitel sind nicht chronologisch aufgebaut. Du kannst die folgenden Geschichten also zusammenhängend lesen oder kreuz und quer. Anhand eines Bewertungssystems am Anfang eines jeden Kapitels bekommst du schnell einen Überblick, worum es in der Geschichte geht: um Verletzungen, Herzschmerz, Mindfucks oder ab und zu auch mal die subjektive Ausweitung der Grenzen der Legalität. Unbehagliche Storys aus meinen zehn Jahren Weltreisen. Du kannst das Buch einfach als Edutainment nehmen oder Inspiration daraus ziehen. Eines solltest du aber beachten: Wenn du nach dem Lesen dieses Buches immer noch den Traum einer Langzeitreise verspürst, dann sieh das als Zeichen, dass du es wirklich durchziehen solltest.
Bist du am Start? Na dann:
Herzlich willkommen zur dunklen Seite des Reisens, zur Fuck-up-Version von Die geilste Lücke im Lebenslauf.
Fangen wir doch gleich mal damit an, warum zur Hölle ich mit angefressener Laune in einer brasilianischen Hängematte liege.