Читать книгу Zur buckligen Wildsau - Anke Niebuhr - Страница 10

Amanda, Nesodora und Gandrocks

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Josh drehte sich sorgenvoll zu Renko um, der seufzend ins Leere starrte und nach wie vor ganz und gar in seiner eigenen Welt versunken war. Es war immer noch gruselig, auch wenn Renko inzwischen wenigstens seufzte. Was ging bloß in seinem Kopf vor? Oder nein, Josh wollte es lieber doch nicht wissen. Es sah ungesund aus, dieses blicklose Gestarre und das Seufzen. Gruselig. Einfach nur gruselig.

Er sah wieder nach vorne und ergab sich dem Schaukeln des Gandrocks, auf dem er saß. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Er war dem Vorschlag der Wildsau-KI gefolgt und nun befand er sich zusammen mit Renko auf dem langen, langen Weg zu einer Oase auf dem Planeten Nesodora. Wie viele Tage waren sie jetzt schon unterwegs? Er wusste es nicht, hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Schritt für Schritt schaukelten sie auf ihren kamelartigen, mechatronischen Gandrocks ihrem Ziel entgegen durch endlose Wüste. Abends wurde es dunkel, morgens wieder hell. Mehr passierte nicht. Fast beneidete Josh Renko um seinen Zustand.

Tja. Was ging denn nun in Renkos Kopf vor? Schwer zu sagen, er befand sich jedenfalls in einer anderen Realität. Es war wohl Liebe. Nein, nicht wirklich. Oder vielleicht doch? Was ist Liebe? Es kommt vermutlich auf die Definition an.

Oh, Amanda. Wunderschöne, reizende Amanda. Wie Renko es liebte, wenn sie …

„Lass mich in Ruhe!”, brüllte Amanda Renko an. Sie war ein Cyborg. Ein äußerst bezaubernder Cyborg, wie Renko fand. Er legte den Kopf schief und antwortete nach einer Weile: „Nö.”

„Hau ab! Hau – verdammt nochmal – ab! Ich hasse dich!”

„Du bist hässlich”, konterte Renko trocken.

Amanda lachte hysterisch. Dann schrie sie, so laut sie konnte. Und dann lachte sie wieder.

„Was ist eigentlich los?”, fragte er.

„Ich … weiß … es … nicht!” Mühsam beherrscht tigerte Amanda im Kreis. Seine Amanda. Wie niedlich sie war, wenn sie sich so aufre…

„Verzieh dich endlich! Ich könnte wen umbringen, und du machst dich gerade zum passenden Kandidaten!”, brüllte sie ihn an.

„Ah. Das.”

„Was ‚das‘?” Irritiert sah Amanda Renko an. Sie sah aus, als würde sie ihm gleich an die Gurgel springen. Hach, wie süß!

„Na, allgemeine Scheißdraufigkeit. Kenn ich”, antwortete er.

„Ich bin nicht scheiße drauf!”, schrie sie ihn an. „Ich platze gleich!”

„Ja, sag ich doch, kenne ich.”

„Du? Du?! Erzähl doch keinen Mist, du bist immer die verdammte Scheiß-Ruhe selbst. Immer!”

„Doch. Kenne ich.” Erwiderte Renko gelassen. Ihm war bewusst, dass er Öl ins Feuer goss, aber er konnte nicht anders. Er zuckte mit den Schultern. „Ich zeige es nur nicht.”

Da sprang Amanda ihn an, und bevor er wusste, wie ihm geschah, lag Renko auch schon bäuchlings am Boden. Amanda kniete auf ihm und hatte ihm schmerzhaft den Arm auf den Rücken gedreht. Dieses elektrisierende Bündel geballter Energie raubte ihm den Atem, so verzückt war er von ihr. Na gut, dass ihr Gewicht seinen Brustkorb eindrückte, war vielleicht auch ein Faktor.

„Schatz, du bist wirklich ein itzelchen unentspannt heute.”

Seufzend ließ sie ihn los, rutschte von ihm herunter, rollte sich neben ihm auf den Rücken und starrte an die Decke.

„So schlimm?”, fragte er, als sie nichts sagte.

„Schlimmer.”

„Das Leben ist ein Arschloch?”

„Die Untertreibung des Jahrtausends”, sie seufzte.

„Du …”

„Ja?”

„Ach, nix.”

„Raus damit, sonst falle ich dich gleich wieder an.”

„Au ja”, grinste Renko.

Amanda boxte ihn schmerzhaft.

„Aua!”

„Selber schuld. Raus damit!”

„Ich habe nur idiotischerweise fragen wollen, ob du vielleicht, na ja, ob du deine Tage kriegst, aber mir ist klar, dass das einem Selbstmord gleichkäme, also vergiss es.”

Amanda sah ihn mit großen Kuhaugen an.

„Amanda?”

„Ich, äääh …” Sie hustete.

„Nein!”

„Doch.”

„Du bist schwanger?!”

„Was? Nein! Um Himmels Willen, nein. Oh Gott. Nee.”

Renko grinste breit.

Sie seufzte und drehte den Kopf weg.

„Es ist echt peinlich, aber ich glaube, ich kriege wirklich meine Tage.”

Nach einer Weile fing Renko an zu glucksen. Er versuchte angestrengt, es sich zu verkneifen, aber es ging nicht. Amanda sah ihn zuerst stirnrunzelnd an, dann fing auch sie endlich an zu grinsen.

„Du Arsch”, sagte sie schließlich. „Du Vollarsch!”

Renko lachte. „Du brüllst hier rum und fällst mich an wie ein Tiger auf Adrenalin und ICH bin ein Arsch?!”

„Ja. Klar. Du bist der Mann. Männer sind schuld. Immer. Egal, worum es geht.”

Renko nickte. „Leuchtet ein.”

„Siehste.”

„Und Frauen haben immer recht.”

„Du bist ein schlaues Kerlchen, doch. Ich bereue manchmal gar nicht, dass ich dich geheiratet habe. Ehrlich.”

„Das macht mich zum glücklichsten Mann der Welt.”

„Du bist ein Dämon.”

„Auch Dämonen sind nur Männer.”

„Darf ich dich bei passender Gelegenheit zitieren?”

„Nö.”

„Dir ist klar, dass ich das trotzdem tun werde, oder?”

„Natürlich.”

„Gut.”

„Gut.”

Schweigen.

„Geht's jetzt wieder?”, fragte er sie.

„Ja. Alles super.”

„Echt?”

„Ja. Ich bin geplatzt, das war's. Alles tutti.”

„Weiber.” Renko rollte mit den Augen.

„Das kannste laut sagen.”

Dem war nichts mehr hinzuzufügen. Ein langes, einträchtiges Schweigen machte sich breit. Dann drehte sich Amanda zu Renko und sah ihn nachdenklich an.

„Warum sprichst du eigentlich mit mir und sonst mit niemandem?”

„Weil ich nicht will.”

„Schon klar, Eure Mysteriosität, warum willste nicht?”

„Meine Mutter hat immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden reden.”

„Du bist eine Ausgeburt der Hölle, du hast keine Mutter.”

„Aber ich hätte eine haben können.”

„Nö.”

„Dann habe ich eben eine imaginäre Mutter, und die hat gesagt, dass ich nicht mit Fremden reden soll.”

„Und du tust immer brav, was deine imaginäre Mutter dir sagt?”

„Na sicher, ich bin ein guter Sohn. Brav, anständig. Das volle Programm.”

Amanda lachte.

„Was?! Das bin ich. Mit Leib und Seele.”

„Du hast keine Seele.”

„Aber einen Leib und ich könnte eine Seele haben. Das kann mir keiner verbieten.”

„Eine imaginäre, nehme ich an?”

„Genau. Die imaginären sind sowieso die besten, die kann man ignorieren, wenn es einem in den Kram passt.”

„Und warum sprichst du nun tatsächlich nur mit mir?”

„Weil ich nur mit dir sprechen will.”

„Du wiederholst dich.”

„Du dich doch auch.”

„Witzbold. Du hast ja auch meine Frage nicht beantwortet.”

„Doch.”

„Aber nicht zufriedenstellend.”

„Tut mir leid, wenn meine Antwort dich nicht befriedigt hat.”

Amanda sah Renko belustigt an. „Tut es nicht.”

„Stimmt.”

„Und, kriege ich noch eine Antwort, die ich gut finde?”

„Eher unwahrscheinlich.”

„Das habe ich befürchtet.”

„Warum fragst du dann überhaupt?”, fragte Renko, ehrlich neugierig.

„Die Hoffnung stirbt zuletzt?”

„Trag sie zu Grabe, die überflüssige Hoffnung. Unnötiger Ballast.”

„Nö. Ich mag meine Hoffnung, sie ist lustig.”

„Findste? Ich finde sie nutzlos und nervig.”

„Das ist ja gerade das, was sie so lustig macht.”

„Ach so. Echt? Na dann …”

Schweigen.

Renko räusperte sich. „Was gibt's heute zu Mittag?”

Amanda sah ihn stirnrunzelnd an. „Von allen Themenwechseln, die dir in diesem Universum zur Verfügung stehen, fragst du ausgerechnet mich nach Essen? Du musst wirklich verzweifelt sein.”

„Ja, verzweifelt hungrig. Mein Magen knurrt.”

„Das ist nicht dein Magen, das ist deine imaginäre Seele, die bockig vor sich hin grummelt, weil du dich weigerst, mir ehrlich zu antworten.”

„Mit Essen kann ich sie besänftigen.”

„Ehrlich? Wie praktisch.”

„Finde ich auch.”

„Das war ironisch gemeint.”

„Ich weiß, aber ich finde es wirklich praktisch.”

„Von Selbstreflexion hältst du wohl nicht viel, was?”

Renko verdrehte die Augen und seufzte. Dieser Satz kam von der Frau, die ihn gerade angeschrien und angefallen hatte, weil sie nicht mitgekriegt hatte, dass sie ihre Tage bekam. Kein Kommentar.

Josh drehte sich wieder zu ihm um. „Renko, halt durch, Mann, es ist nicht mehr weit.” Das hoffte Josh jedenfalls.

Renko zuckte nicht einmal wie üblich die Schultern. Es war Josh unmöglich, sich daran zu gewöhnen. Das zerrte an seinen Nerven. Es zerrte auch an seinen Nerven, dass sie gezwungen waren, durch diese Wüste zu reiten, aber es war nun einmal das Einzige, das er überhaupt tun konnte. Also ertrug er die öde Landschaft eines insgesamt total öden Planeten in einem noch öderen Sonnensystem. Borowski hatten sie in der Wildsau bei Adasger gelassen, was eine sehr unschöne Notlösung war, aber Josh hatte nicht den Kopf, sich um beide zu kümmern. Renko bemuttern zu müssen, war nervenaufreibend genug, ein winselnder kleiner Hund wäre da zu viel für ihn. Renko seufzte schon wieder und Josh verdrehte die Augen.

Dadurch, dass Josh ihn ansprach, verlor Renko den Faden. Er befand sich nun in einem dicken, wabernden Nebel zwischen den Realitäten, aber das wusste er nicht. Er fand es nur unerträglich. Er wollte zurück zu Amanda, wo steckte sie plötzlich? Und wo kam überhaupt dieser seltsame Nebel her? Undeutlich dachte etwas ganz hinten in seinem Kopf: Josh, dieser Idiot, hätte er nicht einfach die Klappe halten können? Aber Renko registrierte diesen Gedanken genauso wenig wie seine Umgebung. Er starrte auf Joshs Rücken ohne ihn zu sehen, und er nahm auch die Landschaft um sie herum nicht wahr, bemerkte nicht, dass der Gandrock, auf dem er saß, eine absolut ungemütliche und idiotische Reitmaschine war. Hässlich obendrein. Er merkte erst recht nicht, dass das linke hintere Kniegelenk seines Gandrocks bei jedem Schritt quietschte, obwohl sich diese Maschinen selbstständig warten konnten und davon auszugehen war, dass das Quietschen Absicht war. Sein Gandrock war eine Nervensäge, aber diese Tatsache glitt an Renko genauso ab wie alles andere.

Die hiesige Sonne brannte vom Himmel und kam dem ewigen Höllenfeuer recht nahe. Die Flammen fehlten, aber die Hitze war ähnlich stark. Vage und nur im hintersten Winkel seines Kopfes merkte Renko wenigstens das. Er schloss die Augen und im tiefsten Inneren seines Wesens genoss er die glühenden Strahlen auf seiner Haut. Gerade, als er wieder auf bestem Wege zurück ins Amandaland war, fing Josh an zu singen – seine persönliche Notwehr gegen das Kniegequietsche und die Langeweile. Renkos Nebel verdichtete sich wieder und seine fast schon greifbare Amanda entglitt ihm. Renko seufzte und kämpfte sich weiter durch den Nebel so gut er konnte.

Zur buckligen Wildsau

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