Читать книгу Zur buckligen Wildsau - Anke Niebuhr - Страница 13

Amanda

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Der Auftrag, den Amanda erhalten hatte, war bescheuert. Total dämlich und völlig idiotisch. Sie arbeitete für eine Security–Firma, sie war Bodyguard, um Himmels Willen, und nun sollte sie Dolbs entführen? Das war nicht nur illegal, das war bescheuert und lästig und kompliziert und von vorne bis hinten falsch. Falsch, falsch, fucking falsch! Sie würde sich weigern. Sie würde kündigen. Sie würde das schlicht und ergreifend einfach nicht tun. Punkt.

Blöderweise konnte sie weder kündigen noch sich weigern. Sie hatte keine Wahl. Sie hatte doch eine Wahl. Nein, sie hatte keine Wahl. Ach verdammt!

Amanda hasste es, dass sie ein Cyborg war. Ein Teil von ihr war noch humanoid–android mit ungewissem Ursprung – zumindest konnte sie sich an ihr Leben vor dem ‚Unfall‘ nicht erinnern – aber der Großteil ihres Körpers war Robotertechnik – na ja, immerhin vom Feinsten. Die linke hintere Hälfte ihres Körpers war fast vollständig zerstört gewesen und durch eine Art Rüstung aus einer Titanlegierung ersetzt worden. Da sie außerdem viele komplizierte Knochenbrüche gehabt hatte, waren fast alle ihre Knochen nun ebenfalls aus diesem Material plus passender Gelenke. Manche wegen der Brüche, andere wegen der ausgleichenden Symmetrie, damit sie die neue Technik ideal ausnutzen konnte. Einige Organe waren durch synthetische ersetzt worden, die besser funktionierten und robuster waren als die Originale.

In ihrem Kopf befand sich eine KI–Steuereinheit und ein Generator, der das alles in Gang hielt. Irgendwas mit Fusion, wie das genau funktionierte, interessierte sie nicht. Etwa einmal im Jahr musste er neu aufgeladen werden, alles andere war ihr egal. Abgesehen von dem Teil ihres Körpers, der wie eine glatte Rüstung aussah, war optisch alles ganz unauffällig. Die synthetischen Hautpartien waren nicht einmal von Nahem von ihrer eigentlichen Haut zu unterscheiden. Keine Narben, völlig natürliches Aussehen. Erstaunlich. Nur, wenn sie mit den Fingern darüber strich, konnte sie merken, dass die taktilen Reize anders an ihr Gehirn weitergeleitet wurden.

Knapp sieben Jahre zuvor war sie in einem Labor aufgewacht, in einer schleimigen Brühe schwimmend und mit Schläuchen und Kabeln an alle möglichen Geräte angeschlossen. Um sie herum blinkten und piepten Monitore. Gestalten in grünen Kitteln hatten sich zu ihr herunter gebeugt und sie vermutlich Dinge gefragt, aber sie hatte kein Wort verstanden. Später, nachdem sie ihre Sprache in Amandas Datenbank installiert hatten, war sie auch nicht schlauer gewesen als zuvor: Sie habe wohl einen Unfall gehabt, hieß es. Sie sei so gut wie tot gewesen, als man sie gefunden habe, mehr sei nicht bekannt. Aha. Man hatte sich um sie gekümmert, bis sie wieder soweit hergestellt war, dass sie eigenständig herumlaufen konnte.

Eigenständig. Pah! Sie war zwar nicht direkt ferngesteuert, aber frei war sie nicht. Kein Stück. Die ganze schöne Technik, die sie am Leben hielt, gab dem Konglomerat volle Kontrolle, egal was sie behaupteten. Sie könnten sie tatsächlich fernsteuern, wann immer sie wollten, da machte sie sich nichts vor. Fernsteuern wie eine verdammte Marionette. So einfach war das. Die ganzen Schnittstellen öffneten jedem Tür und Tor, der in der Lage war, durch die Firewalls zu spazieren. Bisher war es eben nur noch nicht nötig gewesen, denn sie hatte immer brav getan, was von ihr verlangt worden war, aber Dolbs entführen? Das ging zu weit. Das ging, verdammt nochmal, zu weit! Das konnten sie nicht von ihr verlangen. Und doch: Sie taten es. Verdammt!

Nachdem man sie damals als genesen – pah! ‚Fertig zusammengebastelt‘ traf es eher – entlassen hatte, war ihr ein Platz in einer Wohneinheit zugewiesen worden, die sie mit drei anderen Cyborgs teilte. Sie waren gemeinsam trainiert worden. Jeder von ihnen hatte eine KI–Schnittstelle, durch die sie auf relevantes Wissen zugreifen und massenhaft abspeichern konnten. Außerhalb des Trainings durften sie die Schnittstelle ausschalten oder konnten sie zu ihrem Vergnügen nutzen: Medien aller Art standen schier endlos zur Verfügung, für jeden Geschmack war etwas dabei. Toll. Und nach der Ausbildung hatte jeder von ihnen einen Job ‚angeboten‘ bekommen.

War sie dankbar? Nö. War sie glücklich? Ha! Nö. Wollte sie leben? Keine Ahnung. Eigentlich nicht, aber ausgerechnet jetzt, da sie diese Entscheidung treffen musste, sah es ganz so aus, als würde sie tatsächlich doch leben wollen. Verdammt! Trotz allem konnte sie sich nicht überwinden, dieses Ding, in dem ihr ‚Ich‘ nun steckte, diesen … Körper, in dem sie sich bewegte, zu zerstören. Sie sollte es tun. Es wäre das Richtige. Eigentlich war es die einzige Lösung. Das war schließlich kein Leben, sondern nur ein schlechter Witz. Und trotzdem … Verdammt!

Alles in ihr schrie danach, sich zu weigern und ihrem Dasein ein Ende zu setzen. Schluss, aus, Ruhe im Karton. Alles, bis auf diese eine nagende Stimme, die ihr in Erinnerung rief, dass man nie wissen könne, was geschehen würde. Wunder gab es immer wieder. Ja klar. Wunder. Was für Wunder denn bitte? Hallo? Bescheuert. Bescheuert und dämlich und definitiv falsch! Und diese Gandrocks waren echt eine Zumutung. Wer auch immer dafür verantwortlich war, dass es ausgerechnet Gandrocks für diese Wüstendurchquerung sein mussten, war nicht ganz dicht. Und ein Sadist.

Überhaupt: Nesodoraner. Was für ein schräges Volk. Mutierte Humanoide mit vier Armen, fünf Augen und ohne drehbaren Hals. Die gleichmäßig rund um den Kopf verteilten Augen hatten das überflüssig gemacht, und so wuchs der Kopf mehr oder weniger direkt auf den Schultern. Statt der Haare hatten sie nur einen ungefähr kreisförmigen, strubbeligen, recht kurzen Pelz oben auf dem Kopf, das sah ziemlich beknackt aus. Die oberen Arme waren relativ normal, sie ließen sich allerdings ohne Einschränkung sowohl nach vorne als auch nach hinten bewegen, was recht praktisch zu sein schien. Die gleich langen unteren Arme waren spindeldürr, hatten je einen zusätzlichen Ellenbogen und befanden sich am vorderen Teil des Körpers. Zwei der fünf Augen zeigten ebenfalls nach vorne, so wie die riesigen Füße.

Das einzig Schöne an ihnen waren die Hände. Sie waren langgliedrig und zart.

Ob sie gute Kämpfer waren? Amanda hatte noch nie gegen einen Nesodoraner gekämpft, sie vermutete aber, dass die zusätzlichen Arme und Augen einen nicht zu verachtenden Vorteil brachten. Nicht genug, um gegen ihre Hightech Robotics und ihr Training eine Chance zu haben, aber bestimmt waren sie lästig genug. Wie viele wären wohl nötig, um Amanda überwältigen zu können? Hier in der Wüste hatte sie natürlich keinen Empfang, um sich entsprechende Kampfvideos ansehen zu können. Sie war gezwungen, auf ihre Datenbanken zurückzugreifen. Blöderweise war sie nicht auf die Idee gekommen, sich vorher ein paar Vids oder wenigstens neue Musik runterzuladen. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich aufzuregen, und hatte keinen klaren Gedanken fassen können, also musste sie sich mit dem begnügen, was sie hatte. Um sich von dem Geschaukel und von der gnadenlosen Hitze abzulenken, sah sie sich einen ihrer Lieblingsfilme an, aber irgendetwas stimmte mit ihrem Kopf nicht.

Immer wieder kamen ihr penetrant die idiotischsten Sätze in den Sinn und lenkten sie ab: oh, Amanda, wundervolle Amanda, wie süß, wie niedlich, itzelchen unentspannt, blablabla. Wenn sie es nicht besser wüsste – ihre Sensoren zeigten, dass sich nichts Fremdes in ihrem System befand – hätte sie schwören können, dass man ihr Drogen verabreicht hatte. Und die wunderbare, itzelchen unentspannte Amanda sollte nun also Dolbs entführen, ja? Verdammt! Kein Wunder, dass sie unentspannt war, mehr noch, sie war mittelschwer hysterisch – und aggressiv.

Und was war das überhaupt für ein schräger roter Typ, den sie immer mal wieder vor ihrem inneren Auge sah? Gehörte er zu den Dolbs oder wollten die ihn fressen? Nein, soweit sie wusste, ernährten sich Dolbs von Plankton, er war also nicht ihr Opfer. Keins der Fotos hatte diesen Typen gezeigt, trotzdem hatte sie ihn glasklar vor Augen, und die Dolbs saßen auf ihm drauf. Bescheuert. Was war bloß mit ihrem Kopf los? Fing sie an zu halluzinieren? Wenn sie wieder zurück war, würde sie zu einem Psychodoc gehen und sich durchchecken lassen.

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