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Das Dolb–Problem

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Mitten beim Kauen fiel Josh plötzlich etwas ein. Der Gedanke erschreckte ihn so sehr, dass er sich verschluckte.

„Amanda!”, brachte er hustend heraus.

„Was ist los?”

„Die Dolbs!”, sagte er. „Selbst wenn du weg bist, sind sie immer noch in Gefahr. Vielleicht nicht heute und morgen, aber irgendwann wird das Konglomerat es wieder versuchen.”

„Mist, du hast recht. Wir müssen sie warnen.”

„Ja, und die Nesodoraner auch.”

„Die Nesodoraner? Ich weiß nicht. Das Konglomerat würde alles abstreiten, ich habe keine Beweise für den Auftrag. Selbst wenn die Nesodoraner uns glaubten, sie könnten nichts machen. Das Konglomerat kann schließlich irgendeinen x–beliebigen Söldner anheuern und undercover herschicken. Die Nesodoraner könnten nur den Schutzschild über Dasogra dicht machen und sich komplett vom Rest der Welt abschotten.”

„Quatsch, du denkst viel zu kompliziert. Sie müssen doch nur die Leute kontrollieren, die aus der Wüste zurückkommen.“

„Dann würde das Konglomerat einfach Truppen schicken. Zumindest traue ich ihnen das ohne Weiteres zu.“

„Haben die Nesodoraner Allianzen mit irgendwem?”

„Nicht, dass ich wüsste. Sie sind ein stures Volk. Sie bleiben bewusst langweilig und unauffällig, um für niemanden interessant zu sein. Soweit ich weiß, war das bisher ausreichend hier am Ende der Welt. Ich wüsste nicht, dass sie schon mal mit jemandem Ärger gehabt hätten. Sie haben keine nennenswerte Armee und auch kaum Waffen.”

„Hmmm …”

„Die Frage ist, warum das Konglomerat überhaupt die Dolbs haben will. Gut möglich, dass sie das Ganze aufgeben, wenn es Schwierigkeiten gibt. Sie haben ja nur mich losgeschickt statt ein ganzes Team.”

„Ja schon, aber das war logisch. Ein Team wäre den Nesodoranern sofort aufgefallen, die wären niemals hier reingekommen. Du alleine warst unauffällig genug. Außerdem können sie so behaupten, dass das allein deine Idee war.” Josh seufzte. „Habe ich gesagt, dass ich ‚kompliziert‘ mag? Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil.”

„Alleine kriegen wir das nicht hin, wir brauchen Hilfe.”

„Vielleicht wäre Adasger bereit dazu. Er ist ein Kumpel von den höheren Mächten und wartet in der Wildsau auf mich und Renko. Vielleicht hat er eine Idee, aber bis wir dich in Sicherheit gebracht, dein Problem gelöst, ihm die Dolb–Sache erklärt und eine Lösung gefunden haben, ist es womöglich zu spät.”

„Ach verdammt!”, seufzte Amanda.

„Jepp!”

Schweigen.

„Ok“, sagte Josh. „Fangen wir nochmal ganz von vorne an. Die Dolbs müssen wissen, was auf sie zukommt, so oder so. Wir müssen sie warnen und ihre Reaktion abwarten. Der Rest ergibt sich vielleicht irgendwie von selbst, das tut es ja immer, eigentlich.”

Amanda grinste. „In einem Satz ‚vielleicht‘, ‚irgendwie‘, ‚immer‘ und ‚eigentlich‘? Josh, du fängst an zu faseln.”

„Hab Mitleid, ich bin gerade etwas gestresst”, gab Josh zurück und zog eine Grimasse.

Sie beendeten ihr Picknick und Josh schnipste die Reste weg. Dann machten sie sich auf den Weg, um die Dolbs zu suchen.

Nachdem sie sie gefunden und Josh ihnen Amanda vorgestellt und die Lage erklärt hatte, bimmelten sie aufgeregt durcheinander. Als sich die Dolbs wieder einigermaßen beruhigt hatten, setzten sie sich alle zusammen und diskutieren stundenlang darüber, was sie machen könnten. Es kam nicht viel dabei heraus, sie hatten nur eine kurze Liste abstruser Möglichkeiten: Die Dolbs konnten sich auf unbestimmte Zeit weit draußen im Meer verstecken oder sich tatsächlich von Amanda entführen lassen und sich auf einem anderen Planeten im Meer verstecken. Sie konnten aber auch nur so tun, als seien sie entführt worden und sich hier im Meer verstecken oder die KI nutzen, um alle Datenbanken des Universums zu hacken und alle Einträge über Dolbs so zu ändern, dass die Dolbs als reiner Mythos erschienen.

Das war natürlich alles Blödsinn. Alle waren sich einig, dass sie vorläufig zu keinem Ergebnis kommen würden, also beschlossen sie, eine Nacht darüber zu schlafen und am nächsten Tag weiter zu reden.

Es war noch nicht sehr spät und Josh und Amanda gingen zum Strand. Es war inzwischen dunkel geworden und Josh schnipste ein Lagerfeuer herbei.

„Sag mal, Dschinn sind doch eigentlich blau. Wie kommt es, dass du aussiehst wie ein Mensch?”

„Hab's tätowieren lassen. Guck, das ist meine normale Hautfarbe.” Josh zeigte auf seine Tattoos. „Weißt du, wie Dschinn entstehen?”

„Nicht genau. Aus Elementepfützen, habe ich gehört.”

„Richtig. Normalerweise wird dazu die Seele eines Menschen, die das Ok gekriegt hat, in die große Energiewolke geschickt. Big Deal, kommt nur ganz selten vor. Es gibt nicht viele von uns Dschinn. Über einen Blitz wird sie dann quasi in eine Elementepfütze geschossen. Es handelt sich dabei um eine Seele, die schon so lange keinen Körper mehr hat, dass die Erinnerungen restlos verpufft sind. Das dauert eine ganze Weile.

Bei mir war das anders. Ich war ein Mensch und lebte mein chaotisches, kleines Surferleben in Kalifornien. Dann hatte ich einen Unfall: Ich war total in Gedanken und bin aus Versehen vor ein Auto gelaufen. Bumm, tot, eigene Blödheit. Ich hab mich echt geärgert. Leider kann ich mich nicht erinnern, wie ich es geschafft habe, mich in die Energiewolke zu mogeln, und ich hab keine Ahnung, woher ich überhaupt davon wusste, Mann, aber ich bin durchgeflutscht und reingehüpft und war – zack – in der nächsten Elementepfütze, mit all meinen Erinnerungen und dem ganzen Blablabla.

Die Elementepfütze hatte das alles schon mal durch. Das ist kein trivialer Prozess, und es ist unüblich, dass einer Elementepfütze das zweimal passiert, aber so war's – und deswegen hat sie meine Seele ratzfatz in einen Dschinn verwandelt, um so schnell wie möglich wieder ihre Ruhe zu haben. Und da stand ich dann, im Grunde meines Herzens der Surfer, von außen ganz blau.”

„Ach herrje.” Amanda lachte.

„Jau, Mann, aber das war nicht witzig. Ich war von Kopf bis Fuß knallblau und fand das ganz grässlich, sah echt scheiße aus. Erst mal musste ich nach Hause trampen, ich war mitten im Nirgendwo, aber wenigstens war ich im richtigen Land – im Nachhinein betrachtet war auch das ein mittelschweres Wunder.

Meine Freunde wollten nichts mehr mit mir zu tun haben, die sind ausgerastet, als ich versucht habe ihnen klarzumachen, wer ich bin. Idioten, dabei hätte es echt lustig werden können mit meinen neuen Fähigkeiten, aber davon hatte ich ja selbst noch keine Ahnung, ich wusste nicht einmal, dass ich ein Dschinn bin.

Egal. Ich dachte, wenn ich diese blöde blaue Haut loswerde und wieder halbwegs aussehe wie ein normaler Mensch, kann ich mir woanders ein neues Leben aufbauen. Ich hab mich also tätowieren lassen, bin umgezogen und hab mir neue Freunde gesucht.

Das hat auch geklappt und ging ne Weile gut, aber ich hatte ja diese Fähigkeiten und hab zufällig nach und nach mitgekriegt, was alles geht. Das war natürlich ein Schock für meine neuen Freunde. Manche fanden das gruselig und haben mich gemieden, andere haben gleich ein gieriges Glitzern in den Augen gehabt, deswegen bin ich sehr vorsichtig geworden.

Außerdem habe ich mitgekriegt, dass ich nicht altere, da bin ich – um nicht aufzufallen – etwa alle zehn Jahre weitergezogen. Es war schon irgendwie ne coole Zeit, aufregend, keine Frage, aber es war auch grauenvoll, dauernd immer wieder alles hinter mir lassen zu müssen. Irgendwann hatte ich die Nase voll von dem Theater, vom Surferleben, von den Leuten und überhaupt, und bin auf den Mond gesprungen. Wollte nur mal ausprobieren, ob das geht. Teleportieren konnte ich schon, das hatte ich mitgekriegt, als ich mir sehnlichst gewünscht hab, wieder auf meinem Lieblingsfelsen am Strand zu sitzen. Und so ging das los, ich fing an zu reisen.”

„Abgefahren. Und dann hast du Renko getroffen?”

„Ja, aber erst ein paar Jahrzehnte später. Zuerst wurde ich erwischt und eingesackt. Neue Dschinn werden normalerweise zuerst ausgebildet, bevor sie auf die Allgemeinheit losgelassen werden. Ich hatte meine ersten Erfahrungen aber alleine gemacht. Das war nur deswegen möglich, weil ich von Anfang an nicht geplant war und niemand von mir wusste. Als ich dann auf Reisen gegangen bin, war es nur eine Frage der Zeit, bis ich den falschen Leuten auffiel – das konnte ich natürlich nicht ahnen. Sie haben mich also schließlich geschnappt und mich zu der Ausbildung genötigt. Da habe ich überhaupt erst erfahren, dass ich ein Dschinn bin. Ich hab echt Ärger gekriegt, wurde immer wieder stundenlang ausgefragt, weil sie wissen wollten, was ich alles angerichtet hatte in meiner Unwissenheit, und ich musste monatelang all diese bescheuerten Übungen machen, warte, ich zeig's dir.”

Josh sprang auf und legte los. Er schrumpfte und wuchs, während er wahllos Gegenstände erschuf und wieder verschwinden ließ. Als er keine Lust mehr hatte, setzte er sich wieder.

„Eigentlich gehören noch Teleportationsübungen dazu, aber die kann ich dir hier nicht zeigen. Jedenfalls wurde ich gedrillt, bis ich das alles perfekt drauf hatte. Kotzlangweilig, ich war die ganze Zeit total genervt, aber jetzt kann ich das wenigstens alles.

Als ich da endlich wieder weg durfte, habe ich mich sofort auf die Socken gemacht, das Universum erkunden und so. Ich war gerade mit ein paar Leuten zusammen und hab Party gemacht, da kam Renko dazu. Dieser große rote Typ fällt eh auf, aber dass er nicht spricht, macht ihn natürlich erst recht sonderbar und auffällig. Das war mir sympathisch.”

„Wie, er spricht nicht – wie kommt das?”

„Ach, das hab ich ja noch gar nicht erzählt. Ja, Renko spricht nicht. Keine Ahnung warum, so ist er eben. Wenn man ihn danach fragt, zuckt er nur mit den Schultern. Er könnte, wenn er wollte, soviel gibt er nickend zu, das war's aber auch schon. Und du?”, wechselte Josh das leidige Thema. „Wie bist du ein Cyborg geworden?”

Amanda seufzte und erzählte ihm alles, was sie darüber wusste. Über die Zeit im Labor, über das Training, das eigentlich Spaß gemacht hatte, aber nicht das war, was sie mit ihrem Leben hätte machen wollen, über die Zusatzausbildung zum Bodyguard, über den Job, den sie langweilig und erniedrigend fand und über das Konglomerat, das überwiegend unsichtbar und unauffällig die gesamte Gesellschaft im Griff hatte. Alles nicht schlimm und sie sollte vielleicht dankbar sein, am Leben zu sein, aber es fühlte sich nicht nach Leben an, deshalb war sie es nicht.

Unter der Kontrolle des Konglomerats zu stehen, gab ihr ein ungutes Gefühl, obwohl sie bisher keinen Grund gehabt hatte, sich zu beklagen. Allein den Gedanken, dass sie theoretisch Macht über sie hatten und über ihr Leben bestimmen konnten, fand sie unerträglich. Josh konnte das nachvollziehen und nickte nur.

„Über den Auftrag, die Dolbs zu entführen, bin ich fast froh. Das gibt mir endlich einen echten Grund aus dem Teufelskreis auszubrechen”, sagte sie schließlich. „Aber die Konsequenzen sind grässlich. Ich wünschte, ich hätte eher die Kurve gekriegt, dann wäre das alles nicht passiert.”

„Dann wäre es dir nicht passiert, stimmt schon, aber dann hätten sie jemand anders losgeschickt, der es vielleicht einfach gemacht hätte, ohne es zu hinterfragen. Dann hätten die Dolbs jetzt ein viel größeres Problem. Alles in allem also doch ganz gut, dass ausgerechnet du diesen Auftrag gekriegt hast.”

„Verdrehst du die Realität immer so, wie es dir in den Kram passt und sich gut anhört?”

„Ich verdrehe doch gar nichts. Es ist nur ein zusätzlicher Blickwinkel, das ist alles. Klar, man kann sich auf das konzentrieren, was an einer Situation grauenvoll ist, man kann sich aber auch überlegen, wozu etwas gut sein könnte. Ich finde es tröstlich, wenn ich mich auf den positiven Aspekt konzentriere. Dann bin ich entspannter und kann besser entscheiden, wie ich damit umgehen will. Alles hat zwei Seiten.”

„Blödsinn. Gewalt und Unterdrückung haben keine zwei Seiten, die sind schrecklich, ohne Diskussion. Diktaturen sind ein Horror, was soll daran gut sein?”

„Du drehst mir das Wort im Mund rum. Natürlich ist nicht ‚alles gut‘ als solches, aber wenn man zu verstehen versucht, wie beispielsweise Diktaturen entstehen und warum, dann kapiert man eine Menge über den Widerspruch zwischen dem Bedürfnis nach Freiheit und dem nach Sicherheit, über die Macht von Bedürfnissen. Was sie anrichten können und so, wenn man nicht aufpasst. Es reicht nicht, die Schuld auf eine Handvoll Bösewichte zu schieben und gut. Zumindest mir nicht.”

„Mag sein, aber für so eine Analyse habe ich gerade keine Zeit, mir sitzt nämlich konkret eine Diktatur im Nacken, ganz egal wie sie entstanden ist.”

Josh zuckte die Schultern und grinste Amanda an. „Wir finden eine Lösung, keine Sorge, und wir geben uns Mühe, eine zu finden, die allen hilft. Vielleicht stürzen wir dabei sogar aus Versehen eine Diktatur, wer weiß? Irgendwo müssen wir anfangen, der Rest findet sich.”

„Ja, oder wir sterben bei dem Versuch.” Amanda rollte die Augen und zog eine Grimasse.

„Ach, sterben müssen wir doch alle früher oder später, Mann. Das Leben an sich geht weiter.”

„Bitte was?! Findest du den Gedanken etwa tröstlich?”

„Ja, du nicht?”

„Nö.”

Nachdenklich starrten sie in die Flammen und Josh dachte automatisch wieder an Renko. Egal, wie Amanda das sah, für Josh würde auch das früher oder später einen Sinn ergeben, für irgendetwas würde es sich als gut erweisen, selbst wenn es ihm gerade nur tierisch auf die Nerven ging und er keine Ahnung hatte, was das alles sollte. Er vermisste seinen Freund, aber das half ja nichts. Er konnte nur hoffen, dass sie das bald überstanden hatten. Ob dann alles so werden würde wie vorher? Vermutlich nicht. Einschneidende Erlebnisse veränderten die Dinge üblicherweise. So oder so, Josh war gespannt, was am Ende bei der ganzen Sache rauskommen würde.

Zur buckligen Wildsau

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