Читать книгу Nasser Verdacht - Ann-Katrin Zellner - Страница 15
9 Montag
Оглавление„Es klappt!“, jubelte Matthias. Der Geologe stand an der Tür und hielt ein Schreiben in der Hand.
„Wir können starten?“, fragte Sophie. Sie schaute zu Matthias. Er nickte.
„Montag geht es los. Je eher, desto besser. Bevor der Regen kommt.“
„Das ist ein großer Durchbruch“, warf Ludwig in den Raum. „Die Höhlen sind ja ewig nicht erforscht worden!“
Die Stadt sperrte vor ein paar Jahren nach einem Unfall die Höhlen. Matthias konnte seine Aufregung kaum verbergen. Tom‘s Vorschlag, die Höhlen im Wildsee zu erforschen, kam aus dem Nichts. Und doch ließ es ihn nicht los.
„Die Stadt schießt einen Teil des Betrages zu“, erzählte er weiter. Tom grinste. Daher wehte der Wind. Matthias war sich sicher, dass Tom seine Finger im Spiel hatte.
„Wer taucht?“, fragte Ludwig neugierig.
„Geplant sind du, ich und Tom“, sagte Matthias und nickte. „Der Fels ist instabil. Da will ich nur die Besten!“
Keiner widersprach. Als Matthias an seinem Schreibtisch saß, fiel sein Blick auf das Bild. Seine Tochter hatte es ihm zu Weihnachten geschenkt. Darauf stand er vor einer Höhle, in die sie geklettert waren.
Als Geologe hatte er den besten Job. Seit seiner Kindheit war er von Höhlen und Wasser fasziniert. Es gab fast keine, in welcher er nicht schon geklettert war. Mit der Tauchlizenz hatte er seine Leidenschaft mit im Beruf vereint.
Die Stadt wollte den Wildsee bald wieder freigeben. Sie sperrten ihn, nachdem mehrere Taucher fast ertrunken waren. Kurz vorher war ein Stück Fels abgebrochen und hatte fast ein Kind erschlagen. Baden war daher nur im vorderen Bereich erlaubt. Zur Kante durfte man nicht schwimmen. Der Eingang zu den Höhlen lag dort. Den Legenden nach führten sie bis hinauf zur Ruine Wildberg. Bestätigt wurde das nie. Vor etwa zehn Jahren verschwanden dann zwei Taucher. Von Freunden wusste man, dass sie in die Höhlen wollten. Man nahm an, sie seien ertrunken. Die Stadt verschloss mit einem Gitter den Eingang. Niemand sollte je wieder in den Höhlen tauchen.
Kinder fanden ein paar Tage später einen abgerissenen Arm. Er sah erst aus wie ein Stock.
Nach der Zeit im Wasser konnte die Polizei ihn nicht eindeutig zuordnen. So war ihr Verschwinden bis heute nicht geklärt.
Matthias schob die Gedanken beiseite. Der Bericht stand aus, der Chef wollte ihn bis heute Abend auf dem Tisch haben. Seufzend öffnete er die E-Mail und begann zu tippen.
Ludwig sah sich um. Er zog an der obersten Schublade. Verschlossen.
Er atmete durch. Langsam wurde es ernst. Alles kribbelte in ihm.
Um nicht gestört zu werden, schloss er die Tür zum Büro ab. Niemand sollte es sehen.
Den kleinen Schlüssel bewachte er wie seinen Augapfel. Er zog die Schublade auf. Darin lag die Akte. Er nahm sie heraus.
Beim Aufschlagen fiel ihm die Karte des Wildsees entgegen. Sie war alt. Eine Kopie aus dem 16. Jahrhundert. Einige verblasste Linien stellten Gänge dar. Angeblich führten sie vom See bis hoch zur Ruine.
Dort lag der Schatz des Grafen von Wildberg. Er hatte während der Belagerung alles in die Gänge geschafft. Niemand war es gelungen, ihn zu bergen. Eine Truhe voller Goldmünzen. Sie lag in den Höhlen vergraben.
Und jetzt war seine Chance gekommen. Endlich diesen Schatz zu finden. Zufrieden legte er die Akte zurück in die Schublade. Er schloss sie sorgfältig ab.
Roman verdrehte die Augen.
„Nein, Frau Stenzel, Sie bekommen keinen Nachtisch!“
„Aber ich will Pudding haben“, sagte sie und starrte ihn mit ihren braunen Augen an. Sie tat ihm leid. Sich kaum bewegen zu können, war eine Qual.
Nach langem Liegen bildete sich eine kreisrunde Entzündung. Ihr Pfleger hatte es nicht bemerkt. Bis sie aufgeplatzt war. Die Operation sollte den Schaden eingrenzen. Doch es heilte nur langsam ab. Er zeigte auf den Wagen neben ihrem Bett. Der Teller mit der Reispfanne stand fast unberührt da.
„Sie haben nicht gegessen. Wir haben ausgemacht, dass es Pudding gibt. Aber es muss die Hälfte fehlen.“
Er schaute sie streng an. „Essen Sie ein paar Bissen, Sie sind eh schon so dünn.“
Sie verhielt sich wie ein kleines Kind. Meistens tat sie aber, was man ihr sagte. Die Frau im anderen Bett grinste nur und genoss sichtlich den Pudding. Ihr gebrochenes Bein hielt sie nicht davon ab, durch das Krankenhaus zu laufen. Darüber wollte er mit ihr reden.
„Na, kommen Sie, Frau Stenzel“, meinte Frau Grombach, „seien Sie brav. Dann gibt es Pudding.“
Roman nickte. „Ich komme in einer halben Stunde wieder. Wenn Sie gegessen haben, gibt es Pudding, okay?“
„Ja, ich will Pudding essen“, meinte Frau Stenzel. Sie nahm die Gabel in die Hand. Romans Handy piepste.
„Ich muss los. Ich komme später wieder.“
Er lächelte und verließ das Zimmer. Im Gang war niemand. Er atmete tief durch. Die Patienten schafften ihn manchmal. Aber es gab Regeln, die man nicht umgehen konnte. Er lief zum Aquarium. Ein Patient hatte das Schwesternzimmer so benannt. Durch die Glasscheiben sah man alles. Hohe Schränke gegenüber der Tür. Der Schreibtisch bildete mit ihnen ein U. So fand man die Pfleger schneller.
Er ließ die Tür offen stehen und setzte sich vor den PC. Im nächsten Moment kam Maya herein.
„Wir kriegen gleich jemand rein. Bereite mit Zaynap das Zimmer fünf vor!“, wies sie ihm ohne Begrüßung an. Sie wirkte gestresst.
„Mache ich“, antwortete Roman schnell und stampfte in das hintere Zimmer. Dort saß Zaynap, tippte in ihr Handy und trank dabei ihren Tee. Es roch süßlich, etwas, für das er nichts übrig hatte.
„Kommst du? Wir müssen die fünf herrichten, da kommt ein neuer Patient“, sagte er. Sie nickte und steckte ihr Handy in die Tasche. Im dritten Lehrjahr arbeitete sie fleißig mit. Maya, die Stationsleiterin, bereitete schon den Arbeitsvertrag vor.
Roman ging voran und nahm direkt eines der Betten mit. Sie stellten es im Zimmer fünf ab. Zaynap bezog es frisch, während er die Flächen abwischte. Sie waren leise, denn Herr Jensen schlief schon wieder. Ein Krachen ließ Roman herumfahren. Zaynap starrte auf die Scherben.
Er schaute schnell zu Herrn Jensen. Der schnarchte leise vor sich hin. Offenbar hatte es ihn nicht geweckt.
„Na, los, hol Schaufel und Besen, ich mach den Rest“, sagte er leise.
„Tut mir leid“, flüsterte Zaynap und verließ das Zimmer. Er schüttelte den Kopf.
Das konnte passieren. Solange sich niemand an den Scherben schnitt. Die Kissen waren schnell bezogen und aufgeschüttelt. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es Zeit war, bei Frau Stenzel vorbeizuschauen. Er hörte, wie Zaynap wieder hereinkam. Sie fegte die Scherben zusammen und nahm sie mit, um Herrn Jensen nicht zu wecken.
„Ich schaue nach Frau Stenzel, ob sie jetzt ihr Mittagessen gegessen hat“, rief er Maya zu. Die winkte nur. Er grinste und lief den Gang hinunter. Ein Licht über ihm flackerte. Das tat es seit ein paar Tagen, doch jedes Mal, wenn der Hausmeister kam, war nichts mehr. Der fühlte sich langsam verarscht. Roman beschloss, es später selbst zu richten.
Er öffnete die Tür und sofort drehte sich Frau Stenzel um. Sie strahlte ihn an, aber das verschwand schnell von ihrem Gesicht.
„Kein Pudding?“, fragte sie weinerlich.
„Hallo, Frau Stenzel. Haben Sie gegessen?“
Ein bisschen beleidigt schob sie ihren Teller vor sich hin und her. Mehr als die Hälfte fehlte. Roman warf einen Blick in den Mülleimer. Da war kein Essen darin.
„Okay, Frau Stenzel, ich bringe Ihnen jetzt Pudding. Sie haben es verdient. In fünf Minuten komme ich zurück.“
Ihr Strahlen kehrte zurück. Roman freute sich. Manche Menschen waren mit Kleinigkeiten glücklich zu machen. Es war eine Bestätigung, die er manchmal brauchte. In der Küche begrüßte er die Mitarbeiter und schwatzte Diana eine Extraportion ab. Sie konnte seinem Charme nicht widerstehen. Das wusste er und nutzte es gern aus. Zufrieden kehrte er zurück zu Frau Stenzel und stellte ihr den Pudding vor die Nase. Verlegen wie ein kleines Kind tauchte sie den Löffel hinein und steckte ihn in den Mund. Genießerisch schloss sie die Augen. Er lachte und verließ das Zimmer.
„Da bist du ja, Roman!“, schimpfte hinter ihm eine ihm wohlbekannte Stimme. Erschrocken drehte er sich um und schaute in das Gesicht von Schwester Sabrina, die sich vor ihm aufgebaut hatte. Ihre mollige Statur tat ihr Übriges, um sie bedrohlich wirken zu lassen. Er trat einen Schritt zurück. Diese Nähe ertrug er nicht.
„Ich habe Frau Stenzel ihren Pudding gebracht. Ich hab versprochen, sie bekommt ihn, wenn sie den Teller halb leer gegessen hat.“
Sabrina lächelte.
„Das ist süß von dir. Aber jetzt komm, wir kriegen gleich einen neuen Patienten. Mach du bitte die Aufnahme und die Papiere mit Zaynap zusammen. Nach der Prüfung muss sie es ja alleine machen!“
Er nickte. Ein Mann lag im künstlichen Koma und wurde umverlegt. Die Ärzte gaben sich positiv. Keine Schäden im Gehirn. Die Brüche heilten langsam und die Schwellung im Kopf war weg. Gestern hatten sie ihn aufgeweckt. Vom Unfall wusste er nichts mehr. Man hatte ihn nicht über den Tod seiner Frau aufgeklärt. Es würde ihn belasten.
Dr. Trommel hatte ihn zu ihm auf die Station verlegen lassen. Seine liebevolle Art war bekannt. Ein Klopfen riss ihn aus den Gedanken. Tom, einer der Auszubildenden, stand an der Tür.
„Hey Roman“, sagte er grinsend. „Ich bringe euch einen neuen Patienten. Du musst dich um ihn kümmern. Anweisung von Dr. Trommel.“
Roman lachte. „Hallo Tom, ja das ist doch kein Problem. Ich komme.“
Schnell stand er vom Schreibtisch auf, an welchem er ein paar Notizen über Frau Stenzel für die Kollegen vorbereitet hatte. Der Herr in dem Krankenhausbett sah armselig aus. Hager, ein struppiger Bart, ungekämmte Haare. Als er ihm die Hand gab, merkte er, wie zittrig der Mann war.
„Hallo, ich bin Roman und werde mich hier um Sie kümmern.“
„Okay“, sagte der Mann und fing an zu husten. Es klang dumpf. Roman holte schnell eine Flasche Wasser und ließ ihn trinken. Dankbar nickte der Mann.
„Jetzt bringen wir Sie erstmal ins Zimmer“, meinte Roman und schob das Bett den Gang entlang.
Dort hievten sie den Mann in das frisch bezogene Bett. Roman zog einen Stuhl heran, während Tom das andere Bett wieder mitnahm.
„Wenn Sie etwas brauchen, bin ich für Sie da“, sagte Roman und schaute den Patienten erwartungsvoll an. Dieser nickte und schloss die Augen.