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3 Freitag

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Ich lag in meinem Bett und starrte an die Decke. Mein Buch hatte ich schon vor einiger Zeit auf die Seite gelegt. Mich zu konzentrieren fiel mir schwer.

Nachts ließen mich die Albträume aus dem Schlaf aufschrecken. Jedes Mal irrte ich durch ein Labyrinth und fand den Ausweg nicht. Schrecklich verzogene Fratzen von dem Mann, der mich entführt hatte. Die Messer und Seile machten mir Angst.

Manchmal hüpfte ein Hase vor mir her und zeigte mir den Weg. Die Uhr in seiner Hand tickte laut und er hatte Max' Gesicht und Stimme. Das ließ mich stoppen und dann wusste ich, dass ich in einem Traum festhing.

Doch raus kam ich nicht. Es fing an zu tropfen, wurde mehr und mehr. Das Wasser stand schnell hoch und wollte mich herabziehen. Ich schreckte hoch, als ich fast ertrank. Erleichtert wachte ich in meinem Bett auf.

Papa meinte, die Träume wandeln sich mit der Zeit. Sie seien nicht mehr so präsent sein, doch bisher war das nicht der Fall. Sie ließen mir keine Ruhe. Kaum eine Nacht konnte ich durchschlafen. Unter meinen Augen hatten sich schon leichte Schatten gebildet.

Dennoch weigerte ich mich, Schlaftabletten zu nehmen. Der Arzt hatte mir mehrfach welche verschrieben. Ich hatte sie alle weggeworfen. Mama schimpfte mich, als sie es sah.

„Kind, du musst doch mal schlafen! Sonst hört das nie auf!“

Für mein Gewissen war das nicht hilfreich. Seit der Entführung nahm Mama selbst Tabletten ein. Ich schob es beiseite. Heute war wieder ein regnerischer Tag. Seit einer Woche regnete es täglich. Es wurde kühler. Jenny wollte schwimmen gehen, doch das Freibad war geschlossen.

„Bei dem Regen? Bist du wahnsinnig?“, hatte ich sie gefragt. Doch ihr Lachen war Antwort genug. Sie war seit ein paar Wochen Feuer und Flamme fürs Tauchen. Ein Tauchkurs stand ganz oben auf ihrer To-Do-Liste. Sie hatte sich angemeldet. Und mich gleich mit.

„Bekommst du zum Geburtstag“, hatte sie frech gegrinst. Ich hatte die Augen verdreht und gemurmelt: „Ein Buch wäre mir lieber gewesen.“

„Genau deswegen,“ hatte sie plötzlich geschimpft. „Du sollst dich nicht in Traumwelten verkriechen und heulen! Du musst raus und Spaß haben, die Welt entdecken! Jetzt erst recht, nachdem der Irre dich entführt hat! Der hätte dich umbringen können!“

Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. Ab da hatte ich meinen Mund gehalten, ich bestand nicht auf einen Streit. Sie half mir, nicht völlig durchzudrehen.

Schleppte mich mit, egal wo es sie hintrieb. Sie hörte mir zu, wenn ich wieder anfing, von den Albträumen zu erzählen. Die ich einem Mann verdankte, der mich entführt hatte. Er hatte die Freigabe eines gesperrten Baus erzwingen wollen. Ich hatte mich selbst befreien können.

Die düsteren Gedanken überfielen mich oft. Ich drehte mich zur Seite und stand auf.

Ein Schwindelgefühl ließ mich schwanken. Nach einem Schluck aus der Wasserflasche wurde es besser. Ich beschloss, meine Sachen für den Abend zu packen.

Der Blick aus dem Fenster ließ mich schon wieder zweifeln. Es regnete, der wolkenverhangene Himmel zeigte nicht eine Spur von Sonnenschein. Das trübe Wetter schlug sich auf meine Laune nieder. Seufzend stand ich vor dem Kleiderschrank und wusste nicht, was ich anziehen wollte.

Bei einer Grillparty war das auch nicht wichtig. Jenny würde eh nur flirten. Und ich in der Ecke stehen. Ich entschied mich für meine Jeans und eine karierte Bluse. Mal abwarten, was der Abend so brachte.

Holger, der Wirt, schaute nachdenklich auf den Wildsee. Er wühlte durch den Regen auf. Wellen schwappten unter die Terrasse. Selbst wenn das Wasser bis zum Holz stand, konnte nichts passieren. Er hatte alles abgedichtet.

Der Rauch seiner Zigarette verlor sich im Wind. In den letzten Tagen waren kaum Gäste gekommen. Der Regen ließ die Menschen schnell laufen. Keiner würde sich auf den Weg zu ihm machen.

Im Sommer lief seine kleine Gaststätte gut. Viele Touristen kamen und schnappten sich die wenigen Tische im Freien. In diesem Jahr hoffte er auf sonnige Herbsttage.

Er warf die Zigarette in sein Glas und ließ seinen Blick über die Felswand wandern. Bis hinauf zu den Ausläufern der alten Burgruine. Dunkel und bedrohlich stach sie vor.

Zurück in der Gaststätte beschloss er, die Zeitung zu lesen. Dafür war sonst nie Zeit. Langsam blätterte er sie durch, als das Telefon klingelte.

„Gaststätte zum blauen Wald, mein Name ist Holger Fels, was kann ich für Sie tun?“, meldete er sich.

„Guten Tag, mein Name ist Matthias Holzapfel“, sagte die fremde Stimme am Telefon. „Ich bin Geologe und ich will mit fünf Mann die Höhlen im Wildsee erforschen.“

„Wird im Moment ein wenig schwierig, bei dem Regenwetter“, meinte der Wirt interessiert. Schon lange hatte er sich gefragt, ob sie je erforscht werden würden.

„Nicht sofort, mein Lieber“, lachte der Anrufer. „Wir warten noch ein paar Tage und starten erst dann. Die mir wichtigste Frage ist aber: Gibt es bei Ihnen die Möglichkeit, direkt Zimmer zu bekommen? Wegen der Ausrüstung. Die ist sehr teuer und empfindlich. Die lasse ich ungern irgendwo alleine stehen.“

Der Wirt dachte an die vier kleinen Zimmer unter dem Dach. Kaum jemand übernachte dort, da die meisten seiner Gäste aus Spullberg und der Umgebung kamen.

„Ich habe vier kleine Zimmer unter dem Dach. Die kann ich herrichten.“

„Das ist super. Nehmen wir. Parken kann man direkt vor dem Haus?“

„Ja, da sind drei Parkplätze für das Personal, die kann ich Ihnen anbieten.“

„Perfekt. Bitte schicken Sie mir eine Bestätigung. Ich brauche sie für das Institut.“ Der Anrufer nannte Holger seine E-Mail Adresse.

„Sehr gerne. Von wann bis wann wollen Sie den bleiben?“

„Das steht noch nicht fest. Wenn das Wetter wieder besser wird, kommen wir. Eingeplant sind etwa vier bis sechs Wochen. Im Oktober werden wir kaum vom Regen überrascht. Die Kosten trägt das Institut für Geologie in Stuttgart.“

Der Wirt dachte kurz nach. Das wäre ein netter Nebenverdienst und Puffer für über die Weihnachtstage, wenn die Gaststätte ein paar Tage geschlossen hatte.

„Meine Frau wird alles herrichten. Sie sagen mir bitte Bescheid.“

„Aber natürlich. Ich danke Ihnen vielmals und bis bald.“

„Gern geschehen. Bis dann.“

Als der Anrufer aufgelegt hatte, dachte Holger nach. Er lief durch die Gaststätte bis nach hinten. In dem kleinen vollgestopften Raum stand in der Mitte sein Schreibtisch. Der Computer war schon etwas älter, erfüllte aber seinen Dienst. Bevor er nicht den Geist aufgab, holte er keinen neuen.

Er fuhr ihn hoch und rief Google auf. Dort gab er den Namen des Anrufers ein. Er war ein Höhlentaucher. Auf der ganzen Welt war er schon getaucht. Wie kam er auf die Idee, hier im Wildsee zu tauchen?

Seit bald zehn Jahren war niemand mehr in die Höhlen getaucht. Keiner konnte sagen, wie sie verliefen. Sie waren gesperrt worden. Es war zu riskant.

Seine Frau würde sich freuen. Seit Monaten redete sie auf ihn ein, er möge die oberen Zimmer vermieten. Er griff zum Hörer und wählte die Nummer von Zuhause.

„Ja?“

„Ich bin's, Schatz. Richtest du mit mir die Zimmer oben in der Gaststätte her? Wir bekommen Besuch.“

„Das ist ja fantastisch, Holger! Wie hast du das angestellt?“

„Ein Geologe ist auf dem Weg zu uns. Er wird die unterirdischen Höhlen im Wildsee erforschen. Das soll vier Wochen dauern.“

„Ich bereite alles vor. Mach dir keine Sorgen. Heute gibt es Schmorbraten, wenn du nach Hause kommst. Warum schließt du heute nicht früher, wenn eh keiner kommt?“

Holger saß da und war wie vor den Kopf gestoßen. Solche Worte hatte er von seiner Frau schon eine Weile nicht mehr gehört. Manchmal ließ sich die Welt durch eine kleine Geste wieder richten. Zu sehr hatte er sich die letzten Jahre in die Arbeit vergraben und alles um sich herum vernachlässigt. Schon mehrmals hatten sie sich deswegen gestritten, einmal so heftig, dass er eine Woche in der Gaststätte übernachtete, bis sie sich entschuldigt hatte.

Er atmete tief durch und beschloss, sofort zu gehen. Auf ein leeres Blatt Papier kritzelte er:

Gaststätte heute geschlossen.

Holger hängte es sichtbar an die Eingangstür. Nach der Kontrolle schloss er ab. Schnellen Schrittes lief er zu seinem Wagen und fuhr nach Hause, ohne sich umzudrehen.

Nasser Verdacht

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