Читать книгу Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium - Anna Cornelius - Страница 34
2.3.1.2.2.3 Figurenanalyse im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte
ОглавлениеDarr1 analysiert Figuren im Lukasevangelium und weitet dabei den naratologischen Ansatz historisch aus, indem er ein „reader-response (or pragmatic) model attuned to the Greco-Roman literary culture of the first century“2 verwendet. Dabei geht es ihm darum, den damaligen lukanischen Leser zu rekonstruieren und den Text (und die Charaktere) durch dessen Brille hindurch zu sehen.3 Darr vertritt die Ansicht, dass „sein“ Leser im späten ersten Jahrhundert im mediterranen Raum lebt, stark beeinflusst ist durch die kulturellen Normen seiner Zeit und seiner Umgebung. Er verfügt zudem über ein Basiswissen über historische, geographische, militärische und politische Angelegenheiten des Römischen Imperiums. Auch kennt er die großen Städte seiner Zeit, wie Athen und Jerusalem. „Sein“ Leser ist beheimatet in der griechisch-römischen Literatur, kennt auch jüdische Schriften, weiß aber noch nichts vom Markusevangelium sowie von den paulinischen Briefen und der Quelle Q. Über Jesus hat er sehr wahrscheinlich bereits etwas gehört.4 Der Text selbst fungiert bei Darr lediglich als ein „rhetorical framework“5, der dem Leser Hinweise darauf gibt, wie er verstanden werden will.6 Dies gilt nach Darr auch im Hinblick auf die Charaktere, da sich der Leser beim Lesen ein mentales Modell von der Figur macht. Figuren sind daher „personal images generated by text and by reader“7. Darr analysiert die Charaktere zunächst in ihrem Kontext. Hierzu zählt er die Aspekte plot, setting und other characters.8 Auch untersucht er sie hinsichtlich des Ablaufs und mit Rücksicht auf ihre kumultative Beschaffenheit. Sein Ziel formuliert er folgendermaßen: „The goal is not to arrive at a static conception of a character […], but rather to follow the reader’s successive construction and assessment of this character while reading the text”9.
In seiner Untersuchung zum „Dynamic Reading of the Holy Spirit in Luke-Acts“10 charakterisiert Hur im vierten Kapitel den Heiligen Geist in der Apostelgeschichte.11 Dafür macht er zunächst deutlich, dass die beiden grundlegenden Ansätze der textzentrierten12 und der leserzentrierten13 Charakterisierung keinesfalls einen Gegensatz bilden müssen, sondern sich ergänzen können.14 Anschließend gibt er einen Überblick über verschiedene Methoden der Figurenanalyse und fokussiert hierbei besonders die beiden Bereiche „character-classification“15 und „character-presentation“16. Er entscheidet sich schließlich in Anlehnung an Rimmon-Kenan für eine Methodik, die einerseits die Bereiche der direkten Definition17 und indirekten Präsentation18 einer Figur (hierzu zählt er das Sprechen und Handeln der Figur, aber auch ihr Aussehen und ihre Umgebung) umfasst.19 Andererseits bezieht er aber auch in Rückbezug auf Rimmon-Kenan den Aspekt der Analogie (Ähnlichkeit, Wiederholung, Vergleich und Kontrast) mit ein.20 Er betont den Analogie-Aspekt so stark, denn „through analogy, characterization is reinforced or further explained.“21 Im Folgenden führt er eine Figurenanalyse des Heiligen Geistes anhand der erwähnten Kategorien durch und kommt zu folgendem Ergebnis: „In short, the Holy Spirit is defined as an enigmatic divine character.“22 Genau wie Anderson weist Hur somit auf die Bedeutung von Analogien hin, weitete diese im Vergleich zu Anderson jedoch noch aus, indem er auch Kontraste und Ähnlichkeiten zwischen den Figuren in seine Untersuchung miteinbezieht.
Thompson23 untersucht die Kirche als narrative Größe in der Apostelgeschichte.24 Dabei bezieht er Griechisch-Römische Literatur als Vergleichs- und Bezugsgröße mit ein, denn „[I]n the study of Greco-Roman literature, one finds several general features or aspects of character depiction that become useful tools in the building and evaluation of characters through one’s reading of Acts”25. Im direkten Vergleich zur Charakterisierung von Figuren in der Griechisch-Römischen Literatur leitet Thompson somit fünf Analyseschritte für seine Charakterisierung der Kirche in der Apostelgeschichte ab: Zum einen unterscheidet Thompson zwischen direkter und indirekter Charakterisierung.26 Zur indirekten Charakterisierung zählt er die Handlung einer Figur, aber auch ihr Sprechen. Durch beides erhält der Leser Informationen über den Charakter und bildet sich seine Urteile.27 Zur direkten Charakterisierung zählt Thompson vor allem die Aussagen des Erzählers über eine Figur. So erfährt der Leser durch den Erzähler etwas über die Gedanken, Motive und Gefühle der Figur.28 Als dritten Analyseschritt benennt Thompson die Kategorisierung der Figurenbeschreibung. Demnach können die Charaktere bestimmten (sozialen) Kategorien oder Gruppen zugeordnet werden29 Darüber hinaus gilt es nach Thompson, die Summe der Bilder und Effekte hinsichtlich der Figur, die beim Leser durch den Leseprozess entsteht und die seine Beurteilung der Figur maßgeblich beeinflussen, zu untersuchen.30 Als letzten Analyseschritt nennt Thompson die Beziehung und Interaktion der Figur zu anderen Figuren.31 Durch den Vergleich mit anderen Charakteren treten seines Erachtens Ähnlichkeiten, Spannungen, Harmonien, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, die letztlich dazu beitragen, das Bild des Lesers von der Figur in eine bestimmte Richtung zu lenken.
In ihrer narratologischen Studie zur Apostelgeschichte behandelt Eisen32 auch den Bereich der Analyse von Figuren.33 Dabei geht sie in drei Schritten vor: Zunächst widmet sie sich der Klassifizierung der Figuren, zeigt dann Techniken der Figurencharakterisierung auf und widmet sich abschließend den Figuren in der Apostelgeschichte. Zum Bereich der Klassifizierung von Figuren zählt zum einen die Frage nach dem Status der Figur. Hier arbeitet Eisen mit den drei Begriffen Haupt-, Neben-, und Hintergrundfigur.34 Darüber hinaus fragt Eisen nach der Komplexität der Figur.35 Dabei greift sie auf Forster Unterscheidung in flache und runde Charaktere zurück, macht aber zugleich deutlich, dass diese Kategorien „lediglich die Pole von Individualisierung und Typisierung, zwischen denen sich eine Skala mit vielen Zwischenformen befindet“36, bilden. Auch die Frage nach der Funktion der Figur zählt Eisen zum Bereich der Klassifizierung.37 Eisen schreibt den Figuren – in Anlehnung an Greimas und sein Aktantenmodell – sechs grundlegende Funktionen zu: 1. Protagonist 2. Sender 3. Empfänger 4. Objekt 5. Helfer 6. Gegner.38 Den letzten Teilbereich der Klassifizierung von Figuren bildet bei Eisen die Frage nach den Attributen der Figur. Im zweiten Schritt beschäftigt sich Eisen mit Techniken der Figurenanalyse und unterscheidet hier zum einen zwischen expliziter39 und impliziter Charakterisierung und zum anderen zwischen auktorialer und figuraler Charakterisierung. In einem dritten Schritt gibt sie einen kurzen Überblick über Forschungsbeiträge zur Figurenanalyse in der Apostelgeschichte.40 Eisen legt den Schwerpunkt bei ihrer Figurenanalyse somit ganz deutlich auf die Klassifizierung und Einteilung von Figuren und bezieht zudem noch die direkte und indirekte Charakterisierung mit ein.