Читать книгу Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium - Anna Cornelius - Страница 35
2.3.1.2.2.4 Figurenanalyse der Jesusfigur in den synoptischen Evangelien
ОглавлениеRhoads und Michie1 analysieren in ihrer Untersuchung u.a. auch die Jesus-Figur im Markusevangelium.2 Als generelle Methodenschritte einer Figurenanalyse nennen sie die Einteilung von Figuren in bestimmte Charaktertypen,3 Standards der Beurteilung von Figuren4, Vergleich und Kontrast der Figur zu anderen Figuren5, zugeschriebene Persönlichkeitsmerkmale der Figur, durch die sich der Leser ein Bild von der Figur macht6, und die Frage nach der Identifizierung des Lesers mit der Figur.7
Im Hinblick auf die Figurenanalyse der Jesus-Figur im Markusevangelium skizzieren sie zunächst mit wenigen Worten das, was Jesus selbst sagt und tut8, was andere Figuren (Gott, seine Familie, die Autoritäten, die Menge, die Jünger) über ihn sagen und denken9, und welche Aussagen der Erzähler über ihn trifft.10 Anschließend untersuchen sie folgende ausgewählte Persönlichkeitsmerkmale (traits) der Jesus-Figur genauer: agent of the rule of God11, the authority of Jesus12, faith13, serving and not lording over others14, renouncing self, being least and losing life for others15, Jesus faces death16, the execution17, the meaning of Jesus’crucifixion18 und the empty grave.19 Dabei erläutern und verdeutlichen sie diese Jesus zugeschriebenen traits im Allgemeinen und auf das gesamte Markusevangelium bezogen und nennen nur einzelne Textbeispiele.
In ihrer Analyse der Jesus-Figur im Markusevangelium geht Malbon20 in Anlehnung an Chatman zunächst von den narrativen Größen realer Autor, impliziter Autor, Erzähler, Charaktere, Adressat, imlpizite Hörerschaft und reale Hörerschaft aus, wobei sie den realen Autor und die reale Hörerschaft aus ihrer narratologischen Untersuchung ausklammert.21 Den Fokus legt sie jedoch v.a. auf die Beziehung zwischen dem impliziten Autor, dem Erzähler und der Erzählfigur Jesus.22 Für die Charakterisierung des markinischen Jesus unterscheidet Malbon grundlegend zwischen Jesus und den anderen Erzählfiguren auf der einen Seite und zwischen dem, was Jesus und die anderen Figuren sagen und was sie tun auf der anderen Seite.23 Im Blick auf das Sprechen der Jesus-Figur unterteilt sie zusätzlich in „what Jesus says in response to other characters“24 und „what Jesus says instead of what other characters and the narrator say“25. Es ergeben sich somit für ihre Charakterisierung der Jesus-Figur im Markusevangelium fünf grundlegende Analyse-Schritte: 1. Enacted Christology: what Jesus does; 2. Projected Christology: what others say; 3. Deflected Christology: what Jesus says in response; 4. Refracted Christology: what Jesus says instead; 5. Reflected Christology: what others do.26
In seiner narratologischen Untersuchung von Joh 13,1–17,26 analysiert Tolmie27 ebenfalls die Jesus-Figur. Für seine Analyse übernimmt er verschiedene Modelle. Hauptsätzlich stützt er sich auf das narratologische Modell von Rimmon-Kenan, die u.a. die Figuren im Bereich der Handlung (story)28 und im Bereich der Darstellung (text) getrennt voneinander untersucht.29 Zum anderen greift er auch das Aktantenmodell von Greimas auf, nach dem sich die Figur in bestimmte Rollen einteilen lässt.30 Des Weiteren entscheidet er sich – wie Rimmon-Kenan – zur Klassifizierung von Charakteren für das Modell von Ewen, anstatt auf Forsters und Harveys Einteilungen zurückzugreifen.31 Im Rückgriff auf Ewen unterscheidet Tolmie somit zwischen den drei Bereichen complexity, development und penetration into inner life.32 Bei seiner Figurenanalyse von Jesus in Joh 13–17 beginnt er auf der Ebene der Story in Anlehnung an Chatman zunächst mit einer Auflistung seiner traits33, die zuvor in Joh 1,1–12,50 begegnen. Dabei unterteilt er in generelle Eigenschaften34, in Eigenschaften, die seine Beziehung zum Vater35, zum Heiligen Geist36, zu seinen Jüngern37 und zur Welt38 verdeutlichen, und in Eigenschaften, die etwas über seine Handlungen39 und menschlichen Qualitäten40 aussagen.41 Anschließend untersucht Tolmie, ob in Joh 13,1–17,26 neue Eigenschaften hinzukommen oder bereits bestehende Eigenschaften verstärkt werden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass keine neuen Eigenschaften genannt werden, dass aber die Eigenschaften complete knowledge, love, authority, provider of spiritual life, close relationship to the Father und emotional behaviour verstärkt werden.42 In einem weiteren Schritt stellt er Jesus und die anderen Charaktere in Joh 13–17 in Greimas’ Aktantenmodell graphisch dar und zeigt damit, welche Rolle und Position Jesus einnimmt.43 Nach der Einteilung von Ewen bezeichnet Tolmie Jesus als einen sehr komplexen Charakter, im Gegensatz zu weniger komplexen Charakteren (wie Petrus und die Jüngergruppe).44
Lee45 führt eine narrative Figurenanalyse von Jesus im Lukasevangelium durch und kombiniert dabei Inhalte von Hans Frei mit narratologischen Methoden von Bal zu einem „theological narrative-critical reading“46.
Der lukanische Jesus wird bei Lee aus drei unterschiedlichen Perspektiven heraus beleuchtet: Zum einen geht es darum, welche Aussagen der Erzähler über Jesus trifft47, zum anderen geht es darum, was Jesus selbst über sich sagt und wie er handelt.48 Schließlich wird in einem weiteren Kapitel die Mitwirkung der kleineren Charaktere, der Dämonen, an der Charakterisierung von Jesus untersucht.49 Lee teilt hierfür das Lukasevangelium insgesamt in sieben unterschiedliche Akte ein50 und untersucht jeden Akt aus jeder Perspektive heraus. Im Bereich der Charakterisierung durch den Erzähler kommt Lee dabei zu dem Ergebnis, dass Jesus folgende (theologische) Beschaffenheiten aufweist: Er fügt sich dem Willen Gottes, er ist derjenige, durch den Gott handelt, er ist Gottes Gesandter zu den Völkern, er lehrt und spricht von Gott, er ist derjenige, der nun als Gott verehrt wird, er ist derjenige, durch den Gott in der Geschichte lebendig wird.51 „Jesus is both the literary character in the Lukan world and the one who can be present for the Christian reader.“52
Lee beleuchtet die Jesus-Figur in seiner Analyse von verschiedenen Perspektiven aus, die sich insgesamt unter die beiden Kategorien direkte und indirekte Charakterisierung fassen lassen.
Oko53 untersucht die Rolle der Jesus-Figur im Plot des Markusevangeliums. Dafür unterscheidet er generell zwischen den drei Kommunikationsebenen: Story54, Discourse55 und Historical and Theological Mediation. Im Verlauf seiner Arbeit untersucht er mit Ausnahme einiger Kapitel das gesamte Markusevangelium – aufgeteilt in 17 Textpassagen – unter den eben genannten drei Kommunikationsebenen. Seine Analysen zielen dabei auf die Darstellung der Jesus-Figur und die Frage nach seiner Identität innerhalb des Markusevangeliums. Unter den Bereich der Story fasst Oko das Setting sowie die Kommunikation und Beziehung zwischen den verschiedenen Charakteren „who occupy the stage in the world envisaged and portrayed by the narrative“56. Zur Ebene des Discourse zählt er die Kommunikationsabläufe zwischen dem narrativen Sender (dem Autor/Erzähler) und dem Empfänger (dem Leser/Publikum). Unter der dritten Ebene Historical and Theological Mediation untersucht Oko einige historische und kulturelle Hintergründe und Besonderheiten, die für das Verständnis des Textes hilfreich sein können. 57 Eine kurze Zusammenfassung bündelt jeweils die Ergebnisse aus den drei Ebenen.
Danove58 charakterisiert neben Gott und den Jüngern auch Jesus im Markusevangelium.59 Dabei verfährt er nach einer speziellen Methodik: Er untersucht die semantische und narrative Rhetorik der Charakterisierung von Jesus und die Auswirkungen, die diese Charakterisierung auf anderen narrativen Entwicklungen hat.60 Zunächst beschäftigt er sich mit den „preexisting beliefs about Jesus evoked by both vokabulary and designations“61.
Anschließend untersucht er durch die Prüfung der semantischen und narrativen Rhetorik die Vorstellungen, die sich das narrative Publikum von der Jesus-Figur macht. Hierbei legt er den Fokus auf im Text begegnende Wiederholungen von Wörtern, Kontexten und Strukturen.62 Zunächst überprüft er die sich im Text wiederholenden Aussagen darüber, was Jesus tut. Dabei zählt er verschiedene Verben auf, die etwas über ihn aussagen und analysiert diese in ihren jeweiligen Kontexten; so u.a. vergeben, lehren, segnen, heilen, beten, retten.63 In einem weiteren Schritt untersucht Danove die sich im Text wiederholenden Wörter, die etwas über die Jesus zugeschriebenen Attribute aussagen; so u.a. wissen, wollen, Mitgefühl zeigen, Autorität, Tod, Gott, Jünger. 64 Als drittes listet er Titulierungen auf, die etwas über ihn und seine Person aussagen; so u.a. Menschensohn, Rabbi, Christus, Jesus von Nazareth.65 Nach der Analyse der sich auf Jesus beziehenden und im Text an vielen Stellen begegnenden Wörter untersucht Danove die Wiederholung von Kontexten, in denen Jesus dargestellt wird und nennt hier u.a. den eucharistischen Kontext.66 Anschließend widmet er sich den im Text wiederholt begegnenden Strukturen, in denen Jesus agiert und nennt hier u.a. die Verbindung von Voraussagungen (Mk 8,31–32a), Kontroversen (Mk 8,32b-33) und Lehre (Mk 8,34–9,1).67
Eine anschließende Analyse der narrativen Rhetorik der Charakterisierung68 macht die narrative Funktion seiner Charakterisierung und seinen Beitrag zur narrativen Entwicklung deutlich.69 Dabei kommt Danove letztlich zu dem Fazit, dass die Charakterisierung Jesu maßgeblich dazu beiträgt, die Verlässlichkeit der Erzählung in Bezug auf ihr Publikum zu stützen und zu stärken.70
In dem Sammelband „Character Studies and the Gospel of Mark“ von Skinner/Hauge71, in dem verschiedene Figuren im MkEv analysiert werden (so u.a. Gott, der Satan, Petrus und die Frauen), untersucht Williams72 die Jesus-Figur als den Kyrios im MkEv, also unter einem speziellen Gesichtspunkt. Dafür gibt er zunächst einen Überblick der Verwendung des Begriffs κύριος im MkEv.73 Anschließend geht er der Frage nach, wie Figuren im MkEv generell charakterisiert werden.74 „People in a narrative exist within the flow of an overall plot. They play particular roles within the overall sequence of events, while themselves are also influenced and shaped by those events.“75 In einem weiteren Schritt bündelt er die beiden vorhergehenden Ergebnisse in dem Abschnitt „Mark’s Use of 'Lord' and His Characterization of Jesus“.76 Dabei kommt er zu folgendem Ergebnis in Bezug auf die Jesus-Figur als κύριος im MkEv: „For Mark, Jesus is Lord in that he is uniquely exalted in his authority, even though at the present time that authority may not be recognized by all. Jesus is also Lord in that his life serves as the defining paradigm for his followers, so that in following Jesus’ example they choose a life of sacrificial service. These prominent themes within Mark’s characterization of Jesus – his authority, his exemplary life, and his hiddenness – are potentially overlook as long as the final goal remains simply to isolate the most important title for Jesus in Mark.”77