Читать книгу Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium - Anna Cornelius - Страница 38

2.3.2.1 Kritische Auseinandersetzung mit den vorgestellten Vorgehensweisen der Figurenanalyse

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Die im Vorherigen vorgestellten Verfahren zur Figurenanalyse sind nun hinsichtlich ihres Nutzens für das Ziel, ein möglichst präzises und differenziertes Bild des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium aus dem Text heraus zu erheben, zu befragen.

Durch die Mehrzahl der Figurenanalyseverfahren1 zieht sich eine generelle Unterscheidung zwischen einer direkten Charakterisierung (telling) und einer indirekten Charakterisierung (showing).2 Diese beiden Kategorien scheinen auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Nutzen zu sein, da sie grundsätzliche Beobachtungen im Text zutage fördern. Lediglich hinsichtlich der Frage, welche Aspekte unter diesen beiden Kategorien zu verhandeln sind, besteht in der Forschung Uneinigkeit. Die eine Position3 versteht unter der direkten Charakterisierung Aussagen des Erzählers sowie anderer Figuren über die Figur und unter der indirekten Charakterisierung das Handeln und Reden einer Figur. Eine andere Position4 zählt zu der Kategorie der indirekten Charakterisierung noch weitere Aspekte wie z.B. die Umwelt der Figur5 hinzu. Wenn aber die Definition des showing wortwörtlich verstanden wird als die Art und Weise, wie sich eine Figur im Text selbst zeigt und präsentiert, dann kann das showing nur Aspekte umfassen, auf die die Figur selbst einen Einfluss hat (also ihr Reden und Handeln, ihre Gestik, Mimik und ihre Gefühle). Der für die Analyse des Auferstandenen sicherlich ebenso relevante Aspekt der Umwelt einer Figur wird daher in einem eigenen separaten Methodenschritt verhandelt. Zum besseren Verständnis wird in dieser Arbeit jedoch anstelle des Begriffs showing der Begriff der Selbstcharakterisierung einer Figur gewählt, da hierdurch der Bezug auf die Figur selbst und ihr Reden und Handeln m.E. noch deutlicher wird. In Entsprechung dazu wird anstelle des Begriffs telling von der Fremdcharakterisierung einer Figur gesprochen, um zu kennzeichnen, dass es unter diesem Aspekt um (fremde) Aussagen des Erzählers oder anderer Figuren über die Figur geht. Eine Alternative zur Einteilung in direkte und indirekte Charakterisierung bietet u.a. Finnern, der auf eine solche Unterscheidung verzichtet und stattdessen alle Figurenmerkmale zusammenfasst und in einem weiteren Schritt der Frage nachgeht, ob diese Merkmale direkt oder indirekt vermittelt worden sind. Jedoch scheinen viele seiner aufgelisteten Fragen nach Figurenmerkmalen wie z.B. Wissen, Erleben, Wünsche und Pflichten der Figur im Hinblick auf den Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium nicht sehr ergiebig zu sein. Eine grundsätzliche Unterteilung in indirekte und direkte Charakterisierung bzw. in Selbst- und Fremdcharakterisierung ist m.E. an dieser Stelle sinnvoller. Ähnlich wie Finnern verfahren auch Chatman, Rhoads und Michie und Tolmie, indem auch sie auf eine Unterteilung in direkte und indirekte Charakterisierung verzichten und sich in ihrer Figurenanalyse hauptsächlich auf die Zusammenstellung und Untersuchung aller einer Figur im Text zugeschriebenen Merkmale (traits) beschränken. Jedoch bleibt eine solche Figurenanalyse, die nur aus einer Aneinanderreihung von Persönlichkeitsmerkmalen einer Figur besteht, m.E. recht einseitig und oberflächlich, da sie die Figur statisch als Summe verschiedener traits und nicht dynamisch in ihren vielfältigen Funktionen und Beziehungen innerhalb einer Erzählung wahrnimmt.

Für die Analyse des Auferstandenen werden somit grundsätzlich die beiden Kategorien indirekte und direkte Charakterisierung übernommen, in Selbst- und Fremdcharakterisierung umbenannt und dabei inhaltlich beschränkt auf eine Selbst-Präsentation der Figur v.a. durch ihr Handeln und Sprechen (Selbstcharakterisierung) und auf Aussagen über die Figur durch den Erzähler oder anderer Figuren sowie (nonverbaler) Reaktionen anderer Figuren auf die Figur (Fremdcharakterisierung). Um die Figur als dynamisch in ihren vielschichtigen Beziehungen und Funktionen innerhalb einer Erzählung wahrzunehmen, werden diese beiden Kategorien durch eine Reihe weiterer Kategorien ergänzt:

Wie u.a. Finnern, Anderson, Thompson und Zimmermann deutlich gemacht haben, ist auch die Beziehung der Figur zu anderen Figuren von großer Bedeutung und Aussagekraft für die Darstellung einer Figur. Zum einen treten im direkten Vergleich der Figur zu anderen Figuren Ähnlichkeiten, Gegensätze und Konflikte stärker hervor, schärfen also das Profil der Figur; zum andern sagt die Beziehung einer Figur zu anderen Figuren viel über die Figur selbst aus. Daher wird in Anlehnung an Finnern die Kategorie Figur und Figuren als eigenständiger Analyseschritt betrachtet. Ein Aktantenmodell, wie Greimas und andere es verwenden, kann zur Veranschaulichung der vielschichtigen Beziehungen einer Figur dienen. Jedoch ist es im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen m.E. ergiebiger, kein bereits feststehendes Raster zu verwenden, sondern jede Beziehung des Auferstandenen zu einer anderen Figur oder Figurengruppe individuell zu beschreiben und daraus ein eigenes Beziehungs-Modell zu entwickeln.

Auch der in der Forschung oft ausgeklammerte und allenfalls am Rande behandelte Aspekt der Umwelt und Umgebung, in der Figuren dargestellt werden (so u.a. bei Rimmon-Kenan, Anderson und Hur), scheint im Hinblick auf die Figurenanalyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium kein unwichtiger Aspekt zu sein. Finnern liefert zwar nützliche Kriterien zur Umweltanalyse6, setzt diese jedoch nicht in Bezug zur Figurenanalyse. Er unterscheidet in seiner Umweltanalyse zwischen zeitlichen, räumlichen und sozialen Settings7 und macht darüber hinaus deutlich, dass die Umwelt auch als Symbol für etwas dienen und Stimmungen erzeugen kann.8 Für die Analyse des Auferstandenen werden daher Finnerns Kriterien zur Umweltanalyse in die Figurenanalyse integriert und in Beziehung zur Figur des Auferstandenen gesetzt.

Um auch die Ebene der Handlung für die Figurenanalyse zu berücksichtigen (wie es v.a. Bal, Rimmon-Kenan und Finnern deutlich gemacht haben), wird in einem weiteren Analyseschritt die Figur in Beziehung zur Handlung gesetzt, um so ihre Funktion, Rolle und Bedeutung für die Handlung herauszustellen. Greimas, Harvey, Bal, Finnern, Eisen, Tolmie und andere liefern hierzu Modelle, in denen die Figuren gemäß ihrer Rollen und Funktionen innerhalb einer Handlung eingeteilt und zugeordnet werden. Der Vorteil solcher Modelle ist u.a. die Übersichtlichkeit über das Zusammenspiel verschiedener Figuren innerhalb einer Handlung. Jedoch erweist sich die Verwendung eines solchen eher starr erscheinenden Rasters im Hinblick auf die Analyse einer einzelnen Figur (in diesem Fall des Auferstandenen) nicht von großem Nutzen. Denn ein solches Aktantenmodell ist m.E. nicht in der Lage, die komplexe Rolle des Auferstanden in der Handlung zu untersuchen, da sich ein Modell auf pauschale und grobe Kategorien und Einteilungen beschränken muss. Fragen wie „wie wird die Figur in die Handlung eingeführt?“ oder „treibt die Figur die Handlung voran?“ können durch ein solches Modell nicht beantworten werden. Ein Aktantenmodell eignet sich daher im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen besser zur Veranschaulichung der Beziehung des Auferstandenen zu anderen Figuren und wird daher unter der Kategorie Figur und Figuren verhandelt.

In Anlehnung an Gun und Fewell, Marguerat und Bourqin, Finnern, Nicklas, Oko und im übertragenen Sinne auch an Eder soll in einem weiteren Schritt die bisher in der Forschung eher vernachlässigte Beziehung des Erzählers zur Figur untersucht werden. Es soll hierbei die Art und Weise, in der der Erzähler Aussagen über die Figur trifft, näher beleuchtet werden (bei Eder ist dies z.B. die Art und Weise der Kameraführung). Denn bei den vorherigen Kategorien handelt es sich insgesamt um „Inhalte“ des Erzählers, also um das, was er über eine Figur sagt, an welchen Orten und zu welchen Zeiten er sie darstellt, wie er die Figur ins Verhältnis zu den anderen Figuren setzt und welche Rolle er der Figur innerhalb der Handlung zuschreibt. In der Analysekategorie Figur und Erzähler soll es aber nicht um Inhalte des Erzählens, sondern vielmehr um die Art und Weise der Präsentation dieser Inhalte gehen. Finnern verhandelt unter dem Analyseschritt Figurendarstellung u.a. folgende für die Beziehung des Erzählers zur Figur relevante Fragen: „Wie ist die Charakterisierung über den Text verteilt (z.B. Blockcharakterisierungen)? Wie ausführlich ist die Charakterisierung?“9 Genau wie die Umweltanalyse stellt die Perspektivanalyse bei Finnern wiederum einen eigenständigen Bereich dar, der bei ihm nicht mit der Figurenanalyse verknüpft ist. Hier verhandelt Finnern u.a. Fragen nach der Perspektive des Erzählers.10 Unter der Kategorie Figur und Erzähler wird somit bei der Figurenanalyse des Auferstandenen vorrangig (in Bezug auf Eder, Marguerat/Bourqin und Finnerns Perspektivanalyse) die Perspektive des Erzählers zur Figur sowie die Art und Weise der Charakterisierung analysiert.

Forster, Harvey, Ewen, Rimmon-Kenan, Gun und Fewell, Finnern, Powell, Bennema, Anderson, Poplutz, Eisen und Tolmie erstellen bestimmte Kategorien, nach denen Figuren beurteilt, bewertet und eingeteilt werden. Sie richten sich dabei vornehmlich entweder nach Forsters Einteilung in flache und runde Charaktere11 oder nach Ewens Einteilung in complexity, development und penetration to inner life.12 Forsters Einteilung kann mit Rimmon-Kenan zu Recht als zu grob und damit ungenügend bezeichnet werden, da zwischen den beiden Polen rund und flach noch zahlreiche Zwischenstufen bestehen, die durch sein Modell nicht erfasst werden. Ewens Einteilung scheint hier schon besser geeignet zu sein, jedoch ist auch sie in ihren Kategorien limitiert. Hinsichtlich der Aus- und Bewertung einer Figur sind daher Finnerns Kriterien, die er in Anlehnung an Eder formuliert, am effektivsten. Er unterscheidet zwischen statisch oder dynamisch, knapp oder detailliert, eindimensional oder mehrdimensional, typisch oder untypisch, geschlossen oder offen, realistisch oder unrealistisch, kohärent oder inkohärent und macht damit eine präzise Auswertung einer Figur möglich. In Bezug auf die Analyse des Auferstandenen im Matthäus- und Lukasevangelium wird jedoch bewusst auf eine abschließende Beurteilung der Figur in Bezug auf die eben genannten Kriterien verzichtet, da sie im Hinblick auf den Auferstandenen nicht sehr ertragreich erscheint. Dennoch werden die Kriterien implizit in den jeweiligen Analyseschritten mitberücksichtigt, v.a. der Aspekt der Kohärenz ist im Rückblick auf die Darstellung des irdischen Jesus von großer Bedeutung.

Eder, Marguerat und Bourqin, Schultheiss, Finnern, Powell, Nicklas und andere untersuchen darüber hinaus die Wirkung einer Figur auf den Rezipienten. Es geht ihnen darum, zu ergründen, ob die Figur Sympathie, Empathie oder Antipathie beim Rezipienten auslöst. Die Frage nach der Wirkung einer Figur ist auch im Hinblick auf die Analyse des Auferstandenen von Interesse. Jedoch liefern Eder, Marguerat und Bourqin und Powell keine zufriedenstellenden Kategorien, anhand derer Rezeptionsemotionen untersucht werden können. Finnern widmet sich dagegen der Rezeptionsanalyse in einem eigenen Kapitel, setzt sie aber wiederum nicht in Beziehung zur Figurenanalyse.13 Die von ihm genannten Kriterien (u.a. zur Empathie, Sympathie und Antipathie) eignen sich jedoch m.E. gut zur Analyse der Wirkung der Figur des Auferstandenen auf den Rezipienten und werden daher für die in dieser Arbeit verwendete Figurenanalyse übernommen. Dabei stellt die Frage nach der Wirkung der Figur auf den intendierten Rezipienten keinen eigenen Analysepunkt dar; vielmehr spielt sie während der gesamten Figurenanalyse eine Rolle.

Jannidis liefert in seinem Figurenanalysemodell wichtige Impulse hinsichtlich der Beschaffenheit von Informationen über die Figur. Er nennt hier u.a. Aspekte wie Zuverlässigkeit14, Modus, Relevanz, Dauer, Menge, Häufigkeit, Ordnung, Dichte und Kontext der Informationen. Diese von ihm herausgestellten Kriterien, nach denen die Äußerungen über eine Figur im Text (direkt, indirekt, in Bezug auf die Handlung, die Umwelt und andere Figuren) befragt werden können, eignen sich m.E. gut dazu, generell und übergreifend in einer Figurenanalyse angewendet zu werden. Sie stellen somit keine eigene Kategorie dar, sondern werden bei allen Äußerungen in allen Kategorien berücksichtigt.

Anderson, Hur, Rimmon-Kenan, Nicklas und Danove betonen in ihren Figurenanalysen zu Recht den Aspekt der Analogie. Ihrer Ansicht nach besitzen Analogien (Wiederholungen, Ähnlichkeiten und Kontraste) im Text einen hohen Stellenwert und sagen viel über die Darstellung einer Figur aus. Genau wie die Fragen nach der Beschaffenheit von Aussagen, sind daher auch im Text begegnende Analogien in Bezug auf eine Figur stets in allen Analysekategorien mit zu berücksichtigen.

Im Prinzip soll in der geplanten Analyse auf eine explizite historische Ausweitung des narrativen Ansatzes durch das Heranziehen von frühchristlichen Vergleichstexten (wie bei Hartenstein und Fehribach) oder durch den Versuch einer Rekonstruktion des gesamten Weltwissens des damaligen Lesers (wie bei Darr) verzichtet werden, denn ein solches Vorgehen scheint nicht unproblematisch zu sein. Der Nachteil in Bezug auf Hartensteins Methodik dürfte darin liegen, dass ihr Verfahren, bei dem auch sehr viel später als das Johannesevangelium entstandene Texte als (bereits in mündlichen Vorstufen) bekannt vorausgesetzt und als Vergleichstexte genutzt werden, sehr hypothetisch und letztlich willkürlich bleibt. Auch Darrs Versuch, den damaligen lukanischen Leser genau zu rekonstruieren, um so durch seine Brille hindurch den Text zu lesen, kann wohl kaum so umfassend gelingen, dass sich ein wirklicher Ertrag für die Analyse daraus ergäbe. Eine generelle Verortung des Textes, wie u.a. Finnern, Oko und Bennema es vorschlagen, ist dagegen sinnvoll, da der Text allein schon durch seine Sprache und sein soziokulturelles Setting historisch verankert ist. Wie bereits im vorherigen Kapitel zu dem in dieser Arbeit verwendeten Erzählmodell geklärt worden ist, ist der intendierte Rezipient des Matthäus- und des Lukasevangeliums ein Leser des ersten Jahrhunderts nach Christus. Sein mögliches Weltwissen wird dann explizit berücksichtigt, wenn der Text ein entsprechendes Wissen vorauszusetzen scheint und damit eine historische Rückfrage für das Verständnis des Textes notwendig ist. Die „Richtung“ der Analyse erfolgt daher in dieser Arbeit nicht vom Hintergrund zum Text (wie u.a. Hartenstein es vorschlägt), sondern vom Text zurück zum Hintergrund. Auf einen Versuch, bereits vor der Analyse der Texte das mögliche Profil des intendierten Rezipienten des Matthäusevangeliums und das mögliche Profil des intendierten Rezipienten des Lukasevangeliums genau zu rekonstruieren und ihnen ein enzyklopädisches Wissen zuzuschreiben, wird in dieser Arbeit jedoch verzichtet.

Der auferstandene Jesus als erzählte Figur im Matthäus- und Lukasevangelium

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