Читать книгу Läusealarm - Anna Herzog - Страница 11
ОглавлениеVon Polypen und anderen Ungeheuern
Wo wir gerade bei Erkältungen sind – viele Kinder trifft es häufig. Manche Eltern sind regelrecht verzweifelt. Impfungen werden verschoben, Babysitter händeringend gesucht, manchmal werden Kinder sogar krank im Kindergarten oder bei der Tagesmutter abgeliefert, weil man nicht schon wieder bei der Arbeit fehlen kann. Das ist alles normal. Kinder müssen nun mal ihr Immunsystem trainieren.
Ist Ihr Kind aber nicht nur alle naselang verschnupft, sondern schnarcht auch noch so, dass die Wände wackeln, oder macht sogar Atempausen im Schlaf, nur um danach umso heftiger zu schnarchen? Hört schlecht? Also immer, nicht nur, wenn es aufräumen oder ins Bett gehen soll. Hat häufig »Wasser im Ohr«, was aber niemand sehen kann (außer dem Ohrenarzt), weil es sich hinter dem Trommelfell befindet? Läuft immer mit leicht offen stehendem Mund herum, sodass besonders bösartige Zeitgenossen an seiner Intelligenz zweifeln? Hat chronisch eine verstopfte Nase?
Dann hat ihr Kind möglicherweise Polypen.
Und schon ist das alles geschwindelt und gelogen, denn ECHTE Nasenpolypen bekommen nur Erwachsene (Kinder extrem selten), aber aus irgendwelchen Gründen hat sich der Ausdruck Polypen schon seit Urzeiten in der Bevölkerung für eine übergroße Rachenmandel festgesetzt und lässt sich dort auch nur ganz schwer vertreiben.
Wir lernen also: Mein Kind hat keine Polypen, sondern eine dicke Rachenmandel. Oder, wenn Sie lieber Fachwörter benutzen: adenoide Vegetationen. Kurz: Adenoide.
Und worum handelt es sich dabei?
Um die Rachenmandel. Wobei auch dieser Ausdruck irreführend ist. Unter »Mandeln« verstehen die meisten – wenn sie nicht gerade eine besondere Nusssorte damit meinen – die Gaumenmandeln. Das sind die beiden Knubbel, die man ganz hinten im Mund sehen kann, wenn man sich vor einen Spiegel stellt und mit einer Taschenlampe hineinleuchtet. Und das Kind nicht würgt.
Die Rachenmandel aber bleibt im Verborgenen. Sie fristet tief hinter der Nase ihr Schattendasein, und im besten Falle erfährt nie jemand etwas von ihr. Im schlechteren treibt sie ihre Ausläufer überall dorthin, wo sie nicht hingehören (daher der Ausdruck »Polyp« = »vielfüßig«). Im schlechteren Fall schwillt die Rachenmandel zudem ungehörig an, sodass sie den Weg der Luft von der Nase in den Rachen erfolgreich blockiert. Deshalb klingen die Kinder mit einer aufgeplusterten Rachenmandel so verschnupft und verstopft.
Und da sie sich gemeinerweise auch vor die Gänge ins Mittelohr legt, bekommt auch das Mittelohr dann keine Luft mehr. Das Trommelfell kann nicht mehr richtig schwingen, das Ohr tut weh, und das Kind hört nicht mehr richtig (häufig sogar so schlecht, dass man sich nur wundern kann, dass es überhaupt noch etwas mitbekommt).
Wenn das Mittelohr längere Zeit keine Luft bekommt, schwitzt es, sozusagen zum Druckausgleich, Gewebswasser aus. Dann hat Ihr Kind »Wasser im Ohr«. Wenn Sie das nächste Mal baden oder duschen, können Sie sich den Gehörgang einmal mit Wasser füllen und in etwa nachvollziehen, wie sich das auf das Hörvermögen auswirkt. Es gibt tatsächlich für Fachleute ein Computerprogramm, mit dem sich der Hörverlust simulieren lässt. Schade, dass nicht jede Kinderarztpraxis damit ausgestattet ist.
Und DANN – wenn auch dieses Gewebswasser eine Zeit lang unbehelligt im Mittelohr herumgeschwappt ist (wobei sich das nasse Mittelohr auch besonders gern entzündet, muss man hier einmal anmerken) –, dann verwandelt sich das Wasser in etwas, das ungefähr so zäh ist wie Klebstoff. Dadurch kann man nichts mehr hören. Das kriegt man auch nicht mehr aus dem Mittelohr heraus. Da hilft nur noch eine Operation.
Das ist der Hintergrund, warum, wenn »die Polypen herausgeholt werden«, in aller Regel auch ein winziger Schnitt ins Trommelfell gemacht wird. Das Wasser wird dabei abgesaugt, der Klebstoff auch, und wenn der Ohrinhalt schon nur noch mit größerer Mühe zu entfernen ist (also der klebstoffartige, nicht die Gehörknöchelchen, die bleiben natürlich drin), legt der Hals-Nasen-Ohren-Arzt anschließend noch eine kleine Garnrolle aus Gold ins Trommelfell ein. Mit einem Loch in der Mitte. Damit das Mittelohr erst mal Luft bekommt. Wenn sich alles normalisiert hat, wächst diese kleine Garnrolle ganz automatisch aus dem Trommelfell wieder heraus und geht im Kopfkissen verloren. Pures Gold. Schade eigentlich.
Wichtig ist also
Wenn Ihr Kind wegen Polypen/dicker Rachenmandel nicht gut hört, muss es sich ständig anstrengen, um seine Mitmenschen überhaupt zu verstehen. Im Zweifel bekommt es eine ganze Menge gar nicht mit. Das ist besonders ungut, wenn Ihr Kind noch sehr klein ist und gerade erst das Sprechen lernt. Das tut es nämlich in diesem Fall nicht. Oder nicht gut. Der häufigste Grund für schlechtes Sprechen ist schlechtes Hören!
Und wenn ein schon älteres Kind jede Nacht schnarcht und von seinem eigenen Schnarchen oder kurzen Atempausen aufwacht, ist es müde. Sehr müde. Besonders, wenn es sich wegen schlechten Hörens in der Schule doppelt konzentrieren muss.
In beiden Fällen sollte man also mit der Operation nicht zu lange warten. Für viele Kinder ist sie wirklich eine Erlösung.
Profitipp
Sollte Ihr Kind operiert werden müssen, kaufen Sie schon einmal eine Milcheissorte, die es mag. Und Vanillepudding oder Schokoladenpudding; alles, was kühl ist, keine Stückchen hat und nicht sauer ist, ist gut. Säfte sind keine gute Idee, denn Ihr Kind hat danach hinter der Nase eine Wunde, und die tut weh. Und was tut die Wunde wohl, wenn sie zusätzlich auch noch mit Saurem in Berührung kommt? Eben!