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ОглавлениеDer Friedhof der Kuscheltiere
Kleine Fallgeschichte
Katharina M. und ihr Eisbär E. (beide 4), Essen
Dass kleine Kinder alles in den Mund stecken, ist ja bekannt. Ergo sorgen schlaue Eltern vor. Im Haushalt von Katharina und ihren Eltern existierte alles in Bioqualität. Selbst der Tapetenkleister, den Katharinas Vater eines Tages anrührte, um das Kinderzimmer neu zu tapezieren, war so biodynamisch hergestellt, dass man ihn problemlos essen konnte.
Konnte. Nicht MUSSTE, wie Katharina kurze Zeit darauf feststellte.
Auch das Öl, mit dem die Dielen behandelt waren, hätte man im Falle einer Hungersnot auch zu sich nehmen können, wie auch die Wandfarbe, wenn auch auf dem Farbeimer keine Kalorienangabe zu finden war. Und selbstverständlich besaß Katharina auch nur essbare – Entschuldigung kaubare – Kuscheltiere, die bei intensiver Auslutschung schlimmstenfalls Wollschadstoffe absonderten. Eines davon – ein ganz besonders geliebtes – stellte einen Eisbären dar. Das Pfiffige an ihm war, er besaß ein Loch für die Elternhand, konnte also aus Katharinas Sicht richtig sprechen und sich bewegen, was – aus Sicht ihrer Eltern wiederum – ganz praktisch war, wenn man Katharina zum Beispiel zum Zähneputzen oder Fingernägelgeschnittenbekommen animieren wollte. Der Eisbär hatte ein wirklich sehr, sehr liebes Gesicht und war – wie es sich für einen Eisbären gehörte – weiß.
Jedenfalls eine Zeit lang.
Eine nicht allzu lange Zeit lang.
Und dann kam der Vollwaschgang.
»Das ist eine Ratte«, sagte Katharina mit entsetztem Blick beim Anblick des frisch gewaschenen Kuscheltiers und weinte. Sie hatte recht. Der ehemalige Bär sah kläglich aus, klumpig (Füllung aus reiner Biowolle), der Körper zusammengeschrumpft zu einem Buckel und mit einer lang gezogenen eindeutigen Rattenschnauze. Katharinas Eltern – lieb und bemüht, wie sie waren (außerdem wollten sie ihren wertvollen Helfer nicht verlieren) – versuchten alles, aber nichts schenkte ihm seine ursprüngliche Gestalt zurück, er war und blieb eine Ratte.
Katharina aber mochte keine Ratten.
In der Folge stellte sie das Zähneputzen ein und weigerte sich, sich die Nägel schneiden zu lassen, bis ihre Eltern ein anderes Kuscheltier fanden: ein Känguru. Lieb, formstabil und aus schwer brennbarem Plastik.
Ja, Kuscheltiere sind eine wunderbare Alternative zu echten, lebendigen Haustieren. Sie haben mehrere Vorteile: Sie fressen nicht, pinkeln nicht, nadeln nicht und übertragen keine Krankheiten. Nein, noch nicht einmal Läuse (siehe entsprechendes Kapitel). Man kann sie überall mitnehmen, außer in die Schule, weil uncool. Sie halten als treue Freunde die kindliche Seele gesund. Zudem besitzen sie magische Fähigkeiten, siehe zum Beispiel Hobbes aus Calvin und Hobbes. Ein eigentlich übersichtlich großes, ziemlich schmuddeliges Etwas in Kuscheltigerformat, das Calvin, ein inselbegabter etwa Siebenjähriger, überallhin mit sich schleppt. Warum aber heißt das Ding ausgerechnet nach einem englischen Philosophen des 17. Jahrhunderts? Tjahaa – sobald die Eltern sich umdrehen, wird Hobbes, der Kuscheltiger, zu Hobbes, dem echten, ausgewachsenen, sprechenden Tiger, und erlebt mit Calvin alle möglichen Abenteuer, die er gern – besonders zuungunsten von Calvin – philosophisch kommentiert. Er ist immer dabei, ob Calvin seinen Schlitten zum hunderttausendsten Mal auf ein und derselben Bodenwelle zerbersten lässt oder Schneemonster baut, die seinen Vater am menschlichen Wesen als solchen zweifeln lassen. Ja, Hobbes spielt tragende Rollen bei all diesen Abenteuern. Nur in der Schule ist er nicht dabei. Klar, oder?
Alternativ Pu, der Bär, der die Ehre hatte, der echte Teddy von Christopher Robin zu sein, der wiederum der echte Sohn von A. A. Milne war. Und im Buch – vielleicht auch in Christophers Kopf – lebt Pu in seiner ganz eigenen Welt mit all den anderen Kuscheltierfreunden wie Ferkel oder Känga – sogar Christopher Robin spielt gelegentlich mit.
Natürlich haben sie auch einige Nachteile. Kommen wir zum ersten und entscheidenden: Sie haben zwar zweifellos magische Fähigkeiten, können sich aber leider nicht äußern. Sie sind also nicht in der Lage, laut und vernehmlich »Hey, ich liege hinter dem gelben Sitzsack im Snoozle-Raum. Du wirst mich ja wohl nicht hier liegen lassen, oder? Halloooooo?!« zu brüllen. Daher sind sie sehr einfach zu vergessen und zu verlieren. Wer je an einem Freitagabend um halb acht Uhr versucht hat, irgendwie in den Besitz des Kindergartenschlüssels zu kommen, um das sicherlich laut schluchzende Kuschelkänguru hinter diesem gelben Sitzsack hervorzufischen und wieder zu seiner Besitzerin zu bringen, weiß, was ich meine. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich auch an einige Anrufe beim örtlichen Betreiber des öffentlichen Nahverkehrs.
Der Vorteil vergessener und verlorener Kuscheltiere ist: Man lernt viele nette Menschen kennen! Bei Kuscheltieren wird auch der unangenehmste Macho verständnisvoll. Schmusetiere verbinden, wir haben sie schließlich alle gehabt. Und alle verloren. Und alle geweint. Und deswegen suchen wir auch alle gemeinsam.
Das gebräuchlichste war früher übrigens der Teddybär. Die Sage geht, dass Theodore (Teddy) Roosevelts Tochter einen der ersten geschenkt bekam und ihn nach ihrem Vater benannte, wobei passender der Name »Richardbär« gewesen wäre, weil er schließlich von Richard Steiff erfunden und hergestellt wurde. Wie auch immer. Es gibt ihn heute in allen Ausführungen, auch in Kaninchenfell mit kristallbesetzten Pfoten, dann allerdings zu einem Preis von über dreitausend Euro. Wobei hinzugefügt werden muss, dass Teddybären heutzutage sehr oft in Sammlerhänden landen und weniger in denen von Kleinkindern.
Die Entwicklung des Kuscheltiers hat natürlich nicht beim Teddybären haltgemacht. Nein, wer seinem Kind gern eine Bakterie schenken möchte, kann auch das problemlos tun. Knuddel-E.-Coli- oder -Tuberkulosebakterien, Flausch-Diplokokken – alles im Angebot. Übrigens auch plüschige Karpfen, Kraken und Vogelspinnen. Es gibt allerdings noch keine weitreichenden Untersuchungen darüber, wie gut eine Plüschvogelspinne für die kindliche Seele ist. Vielleicht hilft sie wenigstens, einer Spinnenphobie vorzubeugen. Oder auch gerade nicht …
Nächster Nachteil: Es ist eindeutig besser, wenn das jeweilige Kuscheltier einen Heißwaschgang in der Waschmaschine überlebt, siehe die Geschichte der kleinen Katharina am Anfang dieses Kapitels. Also lieber waschbare Kuscheltiere, zudem die lieben Viecher gern schmutzen.
Nächster Nachteil: Kuscheltiere neigen mindestens ebenso sehr dazu, sich zu vermehren, wie Feldmäuse. Die meisten Familien haben ganze Truhen voll von ihnen, und jedes einzelne wird geliebt. Wenn man dann einmal etwas ausmisten MUSS, weil sich die Frage stellt, wer die Wohnung überhaupt bewohnen soll – primär Familie oder primär Plüschtiere –, dann wird es schwierig. Sehr schwierig. Ganz besonders bei mehreren Kindern …
Lösung eins: Man schafft sich eine größere Wohnung an. Und danach noch eine größere und danach …
Lösung zwei: Man mietet gleich eine Lagerhalle, möglichst wohnortnah, in der man die nicht mehr ganz so geliebten Mitbewohner zwischenlagern kann.
Lösung drei: Man schafft sich stattdessen Haustiere an.
Lösung vier: Man vererbt die Tierchen weiter (meist nicht praktikabel, vergessen Sie es, alle anderen Eltern machen dasselbe, und deshalb ist die Flut der Kuscheltiere, die durch die Kinderzimmer schwappt, in etwa so groß wie die des Plastiks in unseren Ozeanen).
Ehrlich gesagt: Es gibt keine Lösung. Irgendwann sind die Kinder groß und haben bestenfalls noch einen Liebling aus frühen Kindertagen. Und auf den anderen 736 bleiben die Eltern sitzen. Vielleicht eignen sie sich ja, ähnlich wie die Plastikflaschen, die in einigen warmen Ländern zu diesem Zweck mit Sand gefüllt werden, zum Hausbau.
Vielleicht gibt es den Friedhof der Kuscheltiere tatsächlich irgendwo. Inkognito. Unerkannt. Tief unter der Erde. Und irgendwann werden sich ein paar Archäologen RICHTIG wundern.
Wichtig ist also
Versuchen Sie, trotz allem die Anzahl der Plüschtiere nicht zu groß werden zu lassen – das Geschrei danach ist zwar meist groß, aber Ihr Kind wird das einzelne Plüschtier mehr schätzen. Vor allem am Anfang, im Babyalter, nicht mehr als ein oder zwei Gefährten mit ins Bettchen legen. Zum einen besteht, besonders bei großen Plüschtieren, Erstickungsgefahr, zum anderen ist es für das Kind viel schöner, wenn es einen oder zwei geliebte Freunde hat. Die haben dann auch wirklich einen Wert. So wie Hobbes.
Profitipp
Beziehen Sie selbst das wichtigste Kuscheltier mit ein. Lassen Sie sich von Ihrem Kind erzählen, was das Kuscheltier denkt oder tut, und gehen Sie darauf ein. Sie haben etwas davon! Wenn sich das Plüschkänguru im Takt mit Ihrem Jüngsten die Zähne putzt, zum Beispiel. Oder Ihnen verspricht, dass es heute Nacht wach bleibt und das Monster unterm Bett bekämpft. Das Kuscheltier kann Ihnen ein wertvoller Gehilfe sein.