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Оглавление»Du blödes altes XXX!«
Streit und wozu er gut ist
LUCINDE:
»Du blödes altes XXX!«
»Selber XXX!«
»Gar nicht! Wenn hier ein XXX ist, dann bist du das!«
»Ich? Deine Mutter ist ein XXX!«
»Meine Mutter ist auch deine Mutter!«
»Egal, du DoppelXXX!«
»Pah, du immer plus eins!«
Nun, dieser Dialog könnte unendlich fortgeführt werden. Ernsthaft. Wenn meine Kinder täglich dreitausend Worte zur Verfügung hätten und sie alle im Gespräch miteinander verbrauchen müssten, es wäre sehr viel XXX dabei. Dabei lieben sie sich. Sehr sogar. Selten entwickelt sich aus diesen total bekloppten XXX-Gesprächen, die meist als Scherz beginnen, ein ernsthafter Streit mit Handgreiflichkeiten. Natürlich sind sie jetzt auch nicht mehr ganz so klein, da kann man das durchaus erwarten. Früher flogen schon mal Dinge durch den Raum, die hässliche Macken in Möbeln und Wänden hinterließen, Sachen gingen kaputt, Haarbüschel bedeckten den Boden, blaue Flecken entstanden auf Armen und Beinen, die beim Jugendamt sicher Fragen nach sich gezogen hätten, und einmal explodierte sogar eine Glastür, weil das eine Kind von innen zog, und das andere von außen schob (es war die Badezimmerschiebetüre, und das eine Kind war nackt und im Begriff zu duschen, während das andere fand, das sei keine gute Idee). Nein, meine Kinder sind nicht außergewöhnlich aggressiv, allerhöchstens ziemlich emotional, außerdem ein wenig empfindlich. Dies ist die Zusammenfassung von beinahe zwanzig Jahren. Dennoch: Ja, es gab Streit, und nein, das war nicht wirklich schön. Auch nicht für mich als Mutter. Ich selbst bin ohne Geschwister aufgewachsen und hatte ein ziemlich friedliches Verhältnis zu meinen Eltern. Will heißen: Mit Streit (insbesondere unter Geschwistern) kannte ich mich null Komma null aus.
Ich wollte immer sehr gern kreative, engagierte Kinder. Dabei habe ich an Kunst und Musik gedacht, an wunderbare Aufsätze und interessante Beiträge in den sozialen Schulfächern sowie Außerordentliches in der Freizeit. Ich wurde nicht enttäuscht. Zumindest, was die Kreativität und das Engagement angeht. Allerdings erstreckt sich beides maßgeblich auf das persönliche Vergnügen meiner Kinder. Was den sozialen Bereich angeht, auf Auseinandersetzungen mit den Geschwistern. Auch das mit der Kreativität passt. Sie sollten mal hören, was meine Kinder für spektakuläre Schimpfwörter zu bieten haben.
Wie schon erwähnt kannte ich mich mit Streit nicht aus. Dafür hatte ich schon immer eine Idealvorstellung einer Großfamilie: Man sitzt lustig plaudernd oder Gesellschaftsspiele spielend am Tisch. Man liebt sich. Bedingungslos und immer. Es wird viel gelacht und alle (ALLE!) sind immer glücklich, wenn sie nur beieinander sein können. Habe ich wirklich geglaubt. Mittlerweile weiß ich: Wer behauptet, bei ihm oder ihr zu Hause sei es genau so, und zwar immer, der hat entweder eine äußerst merkwürdige Wahrnehmung, oder er lügt. Bei uns wurde von dem Tag an gestritten, als zwei unserer vier Kinder Spielzeug greifen konnten. Sie stritten aus allen möglichen (und noch viel öfter unmöglichen) Gründen. Teilweise waren die Auseinandersetzungen so absurd, dass ich vermutlich gelacht hätte, wenn ich meine allergrößte Mutterschafts- und Lebenslerneinheit – nicht alles persönlich zu nehmen – seinerzeit schon verinnerlicht hätte. Ich fühlte mich grauenhaft, wenn meine Kinder stritten, und war davon überzeugt, als Mutter versagt zu haben. Dass meine Kinder mit Grauen auf ihre Kindheit zurückschauen würden. Dass sie sich nach dem Tag sehnten, an dem sie ihrem Elternhaus den Rücken kehren könnten, nie wieder ein Wort miteinander sprechen würden und schon gleich gar nie mehr zurückkämen an den Tisch, an dem ich so gern gespielt und gelacht hatte. Weihnachten war am schlimmsten. Denn an Tagen, an denen meine Harmonieerwartungen am höchsten waren, war es bei uns am wenigsten harmonisch. Dafür hatten die vier einfach Antennen. Fünf. Meinen Mann kann ich getrost mit einschließen, aber der hat auch eine große Schwester.
Ich weiß nicht, ob ich das mittlerweile kann – also, die Dinge nicht ganz so persönlich zu nehmen – oder ob nur Ruhe eingekehrt ist, seitdem meine große Tochter ausgezogen und meine zweite für ein Jahr im Ausland ist. Keine Ahnung. Mittendrin, also in den Kindererziehungsjahren null bis zwanzig, hätte ich dringend jemanden gebraucht, der mir glaubhaft versichert, dass all diese Streitereien völlig normal sind. Dass ich sie irgendwann vergessen haben werde oder, besser noch, bei Familienfesten mit allen Kindern über genau diese Streitanekdoten lachen kann. Ja, dass die Kinder sie brauchen, weil sie für spätere Auseinandersetzungen nämlich genau das lernen, was mir gefehlt hat: dass Auseinandersetzungen nicht immer die Person infrage stellen, sondern manchmal auch einfach nur einen Sachverhalt. Dass man nicht jeden Streit so wichtig nehmen sollte und dass so was unter Geschwistern normal ist.
Wichtig ist also
Machen Sie es besser als ich. Vielleicht haben Sie ja das Glück gehabt, an Ihren eigenen Geschwistern üben zu können. Und wenn nicht, wenn Sie wie ich als Einzelkind aufgewachsen sind, glauben Sie mir: Diese lauten, ätzenden, nervigen und überflüssigen Streitereien hören auf. Irgendwann. Und dann werden Sie sich (wie ich) fragen, ob es wirklich so schlimm gewesen ist.
Profitipp
Halten Sie sich raus! Ja, das ist schwierig und unser Mütterbedürfnis, alle Probleme und Ungereimtheiten von allen Menschen zu lösen, vermutlich genetisch verankert. Aber ganz unter uns: Bullshit! Jeder Streit, jede Auseinandersetzung (ja, durchaus sogar eine körperliche, natürlich alles im Rahmen) unter Geschwistern ist wesentlich schneller vorbei, wenn die Mutter nichts dazu sagt. Es kann außerdem immer alles gegen einen verwendet werden. Am Ende sind die Kinder sich nämlich grundsätzlich einig. Und die Mütter an allem schuld.