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ОглавлениеHausaufgaben
ANNA:
Nach dem Wort zum Sonntag gehen wir jetzt natürlich davon aus, dass Sie Ihrem Kind vorlesen, ob es krank ist oder nicht. Einfach jederzeit. Es sei denn, das Kind ist in der Schule. Und es sei denn, Ihr Kind muss Hausaufgaben machen.
Oh weia. An dieses Thema schleichen wir uns jetzt ganz leise an. Es hat nämlich das Potenzial, Familien zu entzweien, Freundschaften, ja sogar Verwandtschaften zu beenden oder psychosomatische Symptome hervorzurufen. Und das keineswegs nur bei den Kindern.
Von der Autorin dieser Zeilen beobachteter typischer Kurzdialog unter ein paar Grundschulmüttern beim Warten auf einen Bus, der die lieben Kleinen von einem Ausflug ins Theater zurück zur Schule fahren soll und vermutlich irgendwo im Stau stecken geblieben ist.
Kleine Fallgeschichte
Die Mütter von Lisa-Marielle (8), Jann-Otto (7) und Korbinian (8), Köln-Nippes
Mutter 1: »Und? Habt ihr schon die Hausaufgaben gemacht?«
Mutter 2: »Mathe haben wir erledigt. Die Textaufgabe – boah! Habt ihr die gelöst? Selbst mein Mann hatte Schwierigkeiten.«
Mutter 3: »Wir haben einen befreundeten Informatiker angerufen.«
Mutter 1: »Habt ihr denn schon für das Diktat geübt?«
Mutter 2: »Diktat? Aber das schreiben unsere doch erst nächste Woche!«
Mutter 1: »Ja, aber wann wollt ihr denn damit anfangen?«
Mutter 2: »Wir brauchen dafür nicht so lang. Etwa zwei Tage vorher reicht.«
Mutter 3: »Wir üben nie für ein Diktat. Wir schreiben immer Einsen.«
Alle drei Mütter schweigen und beäugen sich missmutig.
Das Bemerkenswerte an diesem kurzen Dialog ist der exzessive Gebrauch des Wortes »wir«. Dazu einen kurzen sprachlichen Ausflug: »Wir« gibt es ja in drei Ausführungen – der grammatikalischen, der königlichen und der ärztlichen.
Grammatikalische Variante: Du und ich, wir beide. Oder: Ihr und ich – wir alle zusammen (wie in Theo, vier fahr’n nach Lodz, Otto Waalkes).
Königliche Variante (auch bekannt unter »Pluralis Majestatis«): Ich. Wie in: »Wir sind nicht amüsiert« (Original: »We are not amused«, Queen Victoria).
Ärztliche Variante: Du. Wie in: »Wie geht es uns denn heute?« (beliebige/r Arzt/Ärztin).
Es ist hier unklar, welcher Variante die wartenden Mütter sich bedienten, aber es steht zu vermuten, dass sie den Pluralis Majestatis benutzten und tatsächlich selbst für das Diktat übten. In der weiterführenden Schule hört der Dialog sich dann nämlich wie folgt an:
Mutter 1: »Ich weiß nicht, wie Korbinian das Geschichtsreferat nach den Tennisturnieren am Wochenende noch hätte schreiben können. Er war todmüde! Also wirklich: Wie stellt die Lehrerin sich das eigentlich vor?«
Mutter 2: »Bei uns ganz ähnlich! Lisa-Marielle hatte doch Landesmeisterschaften am Wochenende. Schwimmen.«
Mutter 1: »Und was habt ihr gemacht?«
Mutter 2: »Das Referat natürlich geschrieben. Also in diesem Fall meine Person, mein Mann hat ja keine Ahnung von Geschichte.«
Mutter 1: »So haben wir das auch gemacht. Mein Schwager ist Geschichtsprofessor – das Referat ist vielleicht einen Tick zu lang geraten.« (kichert)
Mutter 2 (starrt die andere Mutter wütend an): »Na, dann werden wir ja mal sehen, wer die bessere Zensur bekommt!«
Mutter 1 (hochmütig): »Keine Sorge, ich halte dich auf dem Laufenden.«
Vielleicht einer der Gründe, warum in manchen Schulen die Hausaufgaben in der Schule unter Aufsicht der Lehrer geschrieben werden …
So soll es natürlich nicht sein. Hausaufgaben haben tatsächlich einen Sinn, wenn sie vernünftig gestellt werden. Und dieser Sinn liegt in der Physiologie des menschlichen Gehirns, insbesondere im Langzeitgedächtnis. Man muss sich einfach vorstellen, dass so ein Gehirn im Laufe des Tages unentwegt mit Informationen bombardiert wird, über alle Sinne. Wenn man sich diese Informationen wie Pakete vorstellt, muss also ständig eine Art Türsteher entscheiden, welches Informationspaket in welchem Regal gelagert wird: »Hochwichtig«, »Wichtig«, »Wird eventuell noch gebraucht« oder »Ablage P«.
»Hochwichtig« ist natürlich die Info, wen Paul cool findet und in wen er womöglich gerade verliebt ist, ganz besonders, wenn es sich um einen selbst handelt. »Hochwichtig« steht ganz vorne, und was in diesem Regal landet, das bleibt so was von im Gedächtnis. Es ist meist mit starken Gefühlen verknüpft, bis auf … siehe unten.
Unter »Wichtig« laufen solche Informationen, wo und was es heute zum Mittagessen gibt oder dass man vermutlich den Wohnungsschlüssel im Klo zu Hause liegen gelassen hat.
»Wird eventuell noch gebraucht«: Irgendwas wie »Spülmaschine ausräumen, sonst kein Taschengeld«, hatte Mama heute Morgen gesagt, und zwar ziemlich laut (sonst hätte die Information es auch nicht in das entsprechende Regal geschafft …).
Und nun kommen wir zu »Ablage P« wie »Papierkorb«. Dort landet mehr oder weniger alles, was die Lehrer sagen, es sei denn, er oder sie ist dabei ungewöhnlich witzig (oder hat einen richtig guten Film mitgebracht). Er oder sie droht mit einem unmittelbar bevorstehenden Test. Das Thema trifft gerade zufällig voll ins Schwarze (Gebrauch von Kondomen, Deutschrap im Fach Musik etc.). In diesen Fällen wird das Thema nämlich mit starken Gefühlen verknüpft, und das zuständige Regal für starke Gefühle ist eben »Hochwichtig«.
Kein Lehrer kann aber in jeder Unterrichtsstunde die perfekte Show abziehen, und viele Themen treffen nicht unmittelbar auf ein gesteigertes Interesse seiner Schüler. Und den gesamten Unterricht via Filme abzuwickeln … nun ja … Was bleibt ihm also, um die etwas trockeneren Unterrichtsinhalte, die nicht so ohne Weiteres mit Gefühlssoße übergossen werden können (wie vielleicht Redoxreaktionen, Militarismus, rhetorische Stilmittel) irgendwie in das Regal »Hochwichtig« oder wenigstens »Wichtig« zu hieven?
Richtig: Hausaufgaben.
Bei jeder Wiederholung schlurfen im Gehirn gelangweilte Lagerarbeiter heran und sortieren die Pakete um, ein Regal höher gewissermaßen. Und deshalb landet das total verstaubte Gedicht von diesem Typen namens Schiller irgendwann so derartig im Regal »Hochwichtig«, dass das Kind damit noch vor seinen Enkeln wird angeben können.
Ähnliches gilt übrigens für im Schweiße seines Angesichts Selbsterarbeitetes, etwa für Referate. Ganz besonders, wenn es mehrfach wiederholt wird. Kicher.
Und jetzt zum Kleingedruckten: Die Lagerarbeiter schlurfen natürlich nur im eigenen Lager herum, nicht in fremden. Was bedeutet: Wenn Mutter, Vater, Opa oder Patenonkel das Gedicht auswendig lernen, das Referat schreiben oder sich durch die Feinheiten der mathematischen Analysis pflügen, landet dieses Wissen wo genau?
Eben.
Und wenn sie es dem Kind dann mündlich weitergeben, landet das Wissen beim Kind wo genau?
In der »Ablage P«.
Müssen wir noch mehr zum Thema »Hausaufgaben« und wer sie am besten erledigen sollte sagen?
Wichtig ist also
Trauen Sie Ihrem Kind ruhig zu, die Hausaufgaben selbst zu erledigen, das kriegt es in der Regel hin. Setzen Sie bei Grundschulkindern einen Zeitrahmen – die Schulen haben ihn auch. In der zweiten Klasse sollten die Kinder zum Beispiel nicht länger als eine halbe Stunde an den Aufgaben sitzen. Versuchen Sie, mit Ihrem Kind nicht wegen der Hausaufgaben zu streiten – das ist eine Front, die wirklich niemand innerhalb der Familie braucht.
Profitipp
Wenn Ihr Kind die Aufgaben nicht schafft, schreiben Sie für den Lehrer oder die Lehrerin eine Bemerkung darunter. Fragen sind natürlich okay, aber Achtung: Manche der lieben Kleinen entwickeln eine bewundernswerte Technik, so viel und geschickt zu fragen, dass Sie die Hausaufgaben doch wieder erledigen.
Wenn Sie den Eindruck haben, dass sich Ihr Kind mit den Hausarbeiten wirklich schwertut, wenden Sie sich bitte früh an die Lehrkraft und machen sich gemeinsam auf Ursachensuche.
Küchentische eignen sich übrigens super zur Erledigung von Hausaufgaben.