Читать книгу Läusealarm - Anna Herzog - Страница 9
Es wird heiß – Fieber und seine möglichen Komplikationen Kleine Fallgeschichte Antonia (4) und ihre Mutter Laura S. (28), Esslingen
Оглавление»Mama!« Antonia liegt auf dem Boden inmitten all ihrer Playmobil-Figuren, die sie aus der großen Kiste flächendeckend in ihrem Zimmer verteilt hat, und bewegt ihre Arme auf und ab, als wolle sie einen Schneeengel kreieren. Dank des Regens und der Kälte sind sie nur kurz draußen gewesen, um am wöchentlichen Musikschulkurs »Frühkindliche musikalische Erziehung« teilzunehmen, und seitdem spielt Antonia in ihrem Zimmer. Wobei, »spielen« ist vermutlich zu viel gesagt. Eigentlich hat sie nur ihre Kiste ausgeleert und sich ins Chaos gelegt. Antonias Mutter hatte sie gerade gebeten, die Unordnung zu beseitigen, damit sie danach gemeinsam Waffeln für das Abendessen backen können. Ein fester Bestandteil der Donnerstagabendroutine, den sowohl Tochter als auch Mutter sehr lieben.
»Ja, Süße, was gibt’s?« Summend richtet Laura S. Eier und Mehl auf der Ablage an.
»Mamaaaaa!«
Sie geht in Antonias Zimmer, wobei sie auf eine winzige Playmobil-Schubkarre tritt, die sich schmerzhaft in ihre Fußsohle bohrt. Sie fühlt, wie der stechende Schmerz sich negativ auf die Vorfreude auswirkt und eine gewisse Ungeduld mit sich bringt.
»Autsch! Ja? Was ist denn?«
»Mamaaaaa!« Mittlerweile hat Antonia angefangen zu weinen. Die Wangen sind knallrot, die Augen quellen über, die Nase läuft – das volle Heulprogramm. Ein wenig genervt geht die Mutter vor Antonia in die Knie und betrachtet sie aufmerksam. Warum sagt Antonia nicht einfach, wo der Schuh drückt? Bis eben war doch noch alles in Ordnung – und so schlimm ist Aufräumen dann auch wieder nicht. Trotzphase? Noch mal irgendwelche Zähne? Bauchschmerzen? Ist die frühkindliche musikalische Erziehung vielleicht doch nichts für ihre Tochter?
»Was ist denn los, Schätzchen?«
Anstatt zu antworten, kuschelt sich Antonia auf den Schoß ihrer Mutter. Erst jetzt stellt diese fest, dass das Kind glüht. Fieber?! Warum hat sie nichts bemerkt? Das arme Kind! Und dann hat sie es auch noch in die Musikschule geschleppt? Oje, was ist sie nur für eine Rabenmutter!
Gerade kleine Kinder bekommen sehr schnell erhöhte Temperatur oder auch mal Fieber. Und zwar aus den verschiedensten Gründen. Wenn sie sich in etwas hineinsteigern, was gerade auch in der Trotzphase sehr gern mal geschieht, kann die Körpertemperatur durchaus ansteigen. Kleine Kinder fiebern schneller und auch höher als größere und Erwachsene.
Das heißt, 37,9 ist nicht unbedingt ein Grund, sofort zum Kinderarzt zu fahren, vor allem nicht, wenn das Kind bis gerade eben noch ganz normal gespielt hat und nun nach einem amtlichen Wutanfall schlapp auf dem Boden liegt. Da kann man schon mal abwarten. Wenn das Fieber aber ansteigt oder andere Symptome dazukommen wie beispielsweise Ohrenschmerzen oder schlimme Halsschmerzen, sollte man schon danach schauen lassen.
Zusammengefasst:
35 °C | Untertemperatur |
36,3 bis 37,4 °C | Normaltemperatur |
37,5 bis 38,0 °C | erhöhte Temperatur |
38,1 bis 38,5 °C | leichtes Fieber |
38,6 bis 39,0 °C | Fieber |
39,1 bis 39,9 °C | hohes Fieber |
40 bis 42 °C | sehr hohes Fieber |
Bei längerem Bestehen ist sehr hohes Fieber lebensbedrohlich.
Manche Kinder neigen außerdem zu Fieberkrämpfen. Häufig ist diese Neigung vererbt, und in den allermeisten Fällen handelt es sich dabei glücklicherweise um sogenannte unkomplizierte Fieberkrämpfe.
Epileptische Krämpfe machen den meisten Menschen Angst. Ein großer Krampfanfall ist in der Tat beängstigend, ganz besonders natürlich, wenn es sich um das eigene Kind handelt. Im Anfall ist es nicht ansprechbar, verdreht vielleicht die Augen, macht merkwürdige Geräusche, verrenkt den Körper. Am häufigsten tritt so ein Krampfanfall im Rahmen von Fieber auf, gern im Temperaturanstieg. Aber was so furchtbar aussieht, ist in aller Regel harmlos. Den meisten Menschen ist nämlich gar nicht bewusst: Im Prinzip kann man jedes Gehirn zum Krampfen bekommen. Ja, auch Ihr Gehirn.
Aber was passiert eigentlich bei so einem Anfall?
Stellen Sie sich vor, Ihr Gehirn ist ein Orchester. Alle die Nervenzellen spielen gewissermaßen ein Instrument. Okay, zugegebenermaßen wäre das ein sehr großes Orchester, also ganz ungewöhnlich groß, wenn man bedenkt, dass das Gehirn etwa neunzig Milliarden Nervenzellen beherbergt. Das Zusammenspiel wird da etwas suboptimal, wenn die Geigen Hunderte von Kilometern von den Bratschen entfernt sitzen. Aber halten wir uns nicht mit solchen Kleinigkeiten auf und nehmen einfach mal an, das Gehirn hätte nur eine überschaubare Anzahl von Nervenzellen, und die würden alle ein Instrument spielen und hätten im Prinzip vor, gemeinsam dasselbe Stück aufzuführen. Was schon eine echte Leistung ist.
Nun muss man sich nur noch vorstellen, dass die verschiedenen Instrumentengruppen verschiedene Muskeln bedienen. Also vielleicht ein Teil der Geigen die Finger, die Tuba und die Posaunen die Bauchmuskeln, die Celli vielleicht die Rückenmuskeln – Sie erkennen die Idee, oder?
Und so spielen also alle Nervenzellen zusammen ein mehr oder weniger schönes Stück – mal haben die ersten Geigen ein Solo (Kind sitzt in der Schule und schreibt ein Diktat), dann mischt sich süß eine Flöte ein (Kind leckt verzweifelt am Füller), dann übernimmt eine Oboe die Melodie (Kind fängt an, nicht minder verzweifelt mit dem Fuß zu wippen …). Ah, und ich habe natürlich den Dirigenten vergessen: Der steht da vorne am Pult und hat die Nervenzellen fest im Griff. Damit sie nicht irgendwelchen Mist spielen oder die zweiten Geigen quatschen, statt sich auf ihre Noten zu konzentrieren. Der Dirigent ist das Bewusstsein. In regelmäßigen Abständen legt er den Taktstock fort und macht eine Pause, wobei die meisten Nervenzellen, faul wie sie sind, dann ihre Instrumente auch zur Seite legen. Dieser Zustand der allgemeinen Faulheit nennt sich Schlaf.
Einen Fieberkrampf oder großen epileptischen Anfall kann man sich etwa so vorstellen: Die Nervenzellen haben schon sehr früh vor dem Konzert übermäßig viel Kaffee getrunken. So eine bis zwei Kannen. Entsprechend sind sie hibbelig ohne Ende, und am liebsten würden sie mal so richtig loslegen, also ohne die blöden Noten und diese ganze Disziplin und das weitere Gesums.
Der Dirigent, vernünftig bis in die Zehenspitzen, hat nur Tee zu sich genommen, merkt aber vage, dass es in seinem Orchester brodelt. Vage, wie gesagt. Er fängt also wie üblich an, sein Stück zu dirigieren, aber irgendeine von den besonders kaffeegetränkten Nervenzellen kann nicht mehr an sich halten und flippt aus. Scheiß auf die Noten, sie macht jetzt endlich mal einfach Krach, Krach, Krach.
Das aber wirkt äußerst ansteckend auf die anderen Zellen. Und damit der Dirigent nicht nervt, brät ihm einfach die Tuba eins über und knockt ihn aus. Jetzt haben die Nervenzellen freie Bahn und hauen im Kaffeerausch voll in die Tasten, beziehungsweise auf die Pauken, beziehungsweise in die Saiten. Alle gleichzeitig. Nicht schön. Gar nicht schön.
Nur … laut.
Übertragen auf den Fieberkrampf fangen also alle Muskeln an, sich zu verkrampfen. Das ist die sogenannte tonische Phase des Krampfes.
Nach einer kurzen Weile wird es selbst den Nervenzellen zu laut, und deshalb spielen einige leiser, dann alle etwas leiser, dann wird es wieder langweilig, und ein Teil spielt wieder lauter.
Was übertragen auf unseren Krampf die sogenannte tonisch-klonische Phase wäre, also die, in der die Muskulatur sich rhythmisch zusammenzieht und dann wieder lockerlässt.
Und schließlich – jeder Kaffeerausch hat ja ein Ende – sind die Nervenzellen müde. Sie verstehen gar nicht mehr, wie es so viel Spaß gemacht haben kann, so einen irren Lärm zu produzieren, und außerdem liegt ihr Dirigent schon die ganze Zeit da vorne rum und schläft. Das ist ungerecht. Das wollen sie auch. Außerdem war der Krach echt anstrengend.
Und dann schläft das Kind. Denn solche wilden Muskelkrämpfe kosten enorm viel Kraft, mehr als ein normales Fußballtraining.
Es gibt auch andere Krampfformen, bei denen das Kind wach bleibt und nur ein Teil des Körpers krampft, analog vielleicht zu durchdrehenden Trompeten (oder zu dem Typen aus der Sesamstraße, der – sobald die drei Mädchen nicht aufpassen – mit seinem »Manamana« vollkommen ins Improvisatorische abdriftet), aber wir wollen uns hier auf den häufigsten, unkomplizierten Fieberkrampf beschränken.
Das Wichtigste und Beruhigende beim unkomplizierten Fieberkrampf: Er ist harmlos. Kinder mit dieser häufigsten Sorte Fieberkrampf entwickeln nicht öfter eine Epilepsie als alle anderen.
Der unkomplizierte Fieberkrampf sieht so aus wie oben beschrieben: tonisch-klonisch (die Muskeln versteifen sich und zucken anschließend, häufig wird der Krampf eingeleitet, indem das Baby oder Kind plötzlich die Augen verdreht). Er trifft Kinder etwa im Alter zwischen sechs Monaten und sechs Jahren und hält nur wenige Sekunden oder Minuten an, auf keinen Fall länger als 15 Minuten. Und er tritt innerhalb von 24 Stunden nur einmal auf, wiederholt sich also nicht. Danach will das Kind schlafen, hat aber keine neurologischen Ausfälle. Man schätzt, dass etwa vier von hundert Kindern unkomplizierte Fieberkrämpfe entwickeln, und im Grundschulalter ist der Spuk auch wieder vorbei.
Ein einfacher Fieberkrampf ist harmlos, sollte aber dennoch ärztlicherseits abgeklärt werden, denn es gibt auch andere Ursachen für einen Krampfanfall als Fieber. Dementsprechend wird der Arzt auf jeden Fall ein EEG schreiben, um zu erkennen, ob sich das Orchester im Gehirn Ihres Kindes an die Noten hält.
Komplexe Fieberkrämpfe sind eine andere Kiste, und dies können grob die Anzeichen sein:
•Der Anfall betrifft nur eine Körperhälfte oder sogar nur wenige Muskeln.
•Der Anfall dauert länger und/oder wiederholt sich innerhalb von 24 Stunden.
•Danach sind Muskeln vorübergehend gelähmt.
•Das Kind ist jünger oder älter als normalerweise bei einem unkomplizierten Fieberkrampf.
Ein Arzt spricht auch dann von einem komplizierten Fieberkrampf, wenn der Anfall das EEG verändert hat, wenn ein Verwandter Epilepsie hat oder das Gehirn des Kindes schon vorgeschädigt ist.
Rufen Sie also den Notarzt (112), wenn:
•Ihr Kind zum ersten Mal einen Fieberkrampf hat und/oder
•ein Krampf trotz krampflösender Medikamente länger als wenige Minuten anhält,
•ein Krampf nach kurzer Zeit erneut auftritt,
•Ihr Kind aufhört zu atmen,
•sich das Kind nach einem Krampf nicht rasch wieder erholt oder nicht wirklich wach wird, also Bewusstseinsstörungen aufweist; das könnte ein Zeichen dafür sein, dass es sich nicht um einen Fieberkrampf, sondern eine andere Erkrankung handelt.
Erste Hilfe während eines Fieberkrampfs:
•Lassen Sie das Kind nicht allein und versuchen Sie, es zu beruhigen.
•Sie können den Krampf nicht stoppen, bitte versuchen Sie es gar nicht erst, halten Sie Ihr Kind nicht fest. Das kann unter anderem zu Knochenbrüchen und Muskelrissen führen.
•Räumen Sie stattdessen alles aus dem Weg, woran es sich verletzen kann, oder polstern es mit Kissen oder Decken ab.
•Lockern Sie die Kleidung, falls nötig, damit es besser atmen kann, und bringen es in eine aufrechte Position.
•Sollte sich das Kind übergeben, legen Sie es auf die Seite, damit es sich nicht an Erbrochenem verschluckt.
•Das Kind sollte weder essen noch trinken.
•Bringen Sie das Kind nach dem Anfall in die stabile Seitenlage, solange es noch bewusstlos ist.
•Beobachten Sie Atmung und Bewusstsein des Kindes.
•Senken Sie das Fieber.
Und weil es so wichtig ist und jedes Kind so häufig betrifft, hier noch einige Behandlungsmethoden bei Fieber:
Wadenwickel. Zwei Geschirrtücher in zimmerwarmes Wasser tauchen und faltenfrei um beide Unterschenkel vom Knöchel bis zum Knie wickeln. Darüber ein trockenes Wolltuch (auch wollene Wander- oder Skisocken sind supergeeignet und halten alles zusammen). Den Wickel zwanzig bis höchstens vierzig Minuten liegen lassen, sonst haben Wadenwickel oft die gegenteilige Wirkung. Nach einer Ruhepause von dreißig Minuten kann man das Ganze aber gern wiederholen, wenn das Fieber noch nicht gesunken ist. Übrigens: Ein guter Hinweis darauf, ob das Fieber noch steigt oder schon fällt, ist der Fuß selbst: Ist die Fußsohle kühl, wird auch das Fieber weniger. Pfarrer Kneipp hat zum Wadenwickelwasser immer noch etwas Essig hinzugefügt. Er fand das noch effektiver. Riecht ein bisschen merkwürdig – aber wenn’s hilft?
Der gute alte Einlauf! Jawohl! Nichts bringt die Körpertemperatur so schnell auf Normalwert wie ein Einlauf. Nicht schön? Nein. Aber hilfreich. Ein bisschen Emser Salz im lauwarmen Wasser kann nicht schaden, denn der Darm ist ebenfalls wie die Nase und die Lunge mit Schleimhaut ausgekleidet und mag es gar nicht, wenn man nicht für ausreichend Feuchtigkeit sorgt.
Wenn Ihr Kind zu Fieberkrämpfen neigt, sollte man den Körper möglichst schon in der Phase des Temperaturanstiegs ausbremsen. Die Kinder krampfen nämlich nicht erst bei 39 Grad, sondern häufig, wenn die Temperatur schnell hochgeht. Die Schulmedizin hat da die drei Fiebersenker Aspirin (nicht für Kinder unter zwölf), Paracetamol und Ibuprofen im Angebot. Gern auch in Kombination mit Wadenwickeln. Wadenwickel allerdings helfen nicht mehr, wenn Hände und Füße ohnehin schon kalt sind. Ob Paracetamol oder Ibuprofen bei Ihrem Kind besser wirkt, müssen Sie ausprobieren. Kinderärzte empfehlen auch, die beiden Wirkstoffe im Wechsel zu geben, also erst Ibuprofen (senkt das Fieber etwas schneller), dann nach vier Stunden Paracetamol, und dann vier Stunden später noch einmal Ibuprofen. Dann kann man beide Mittel in einer geringeren Dosierung geben. Bitte grundsätzlich an die Dosierungen halten, gerade Paracetamol ist nicht ungefährlich – zu viel davon kann die Leber nachhaltig schädigen. Wenn Sie das Fieber nicht gesenkt bekommen, ab zum Arzt oder ins Krankenhaus!