Читать книгу Arbeits- und Organisationspsychologie - Annette Kluge - Страница 15
1.1.1 Die traditionellen Perspektiven auf Organisationen
ОглавлениеHuber (2011) unterscheidet drei traditionelle Perspektiven auf Organisationen. »Perspektiven« müssen weniger hohen Ansprüchen genügen als Theorien und werden ähnlich wie Menschenbilder (s. u.) von einer größeren Anzahl von Personen geteilt, wie z. B. Manager/innen und Führungskräften, ohne empirisch geprüft zu sein.
Diejenigen, die die rationale Systemperspektive auf Organisationen bevorzugen und teilen, betrachten vor allem den Zweck von Organisationen, wie z. B. die Profitabilität, mit dem Blick auf die Rationalisierung und Formalisierung von Prozessen und Strukturen, um das organisationale Ziel zu erreichen. Im Zentrum der Betrachtung stehen die Zweckgebundenheit von Organisationen und die Frage, wie Menschen, Stukturen und Technologie so eingesetzt werden können, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wird. Rationalität bezieht sich nicht auf die Auswahl eines Ziels und ob dieses gut oder schlecht, verwerflich oder gesellschaftlich akzeptiert ist, und auch nicht darauf, ob dieses Ziel rational im Sinne von »logisch« ist (Scott & Davis, 2007).
Eine Maschine (z. B. ein Kaffeevollautomat) ist eine Art optimale Organisation, und zwar in dem Sinne, dass alle Bestandteile so miteinander verbunden sind, dass sie das Ziel erreichen. Die Maschine ist so konstruiert, dass ihre Einzelteile außerhalb der Maschine keine Bedeutung und Funktion haben, sondern nur innerhalb der Einheit, zu der sie etwas beitragen. Eine Maschine besteht aus einem kohärenten Zusammenspiel von Einzelteilen, die gemäß der höchsten Effizienz zusammenarbeiten. In der idealen Maschine gibt es keine überflüssigen Teile oder Bewegungen (Ward, 1964).
Eine Organisation kann Ziele verfolgen (wie z. B. Pflanzenschutzmittel herstellen oder gen-veränderte Produkte entwickeln), die nicht von allen Marktteilnehmer/innen oder Anspruchsgruppen befürwortet werden – aber darum geht es bei der rationalen Systemperspektive auch nicht. Aus der rationalen Perspektive geht es darum, wie die Organisationen ihre Ziele erreichen, nämlich durch Steuerung, direktive Koordination, Regeln, Anweisungen und Verhaltensprogramme (Scott & Davis, 2007). Wichtige Faktoren sind dabei die Zielspezifität und die Formalisierung.
Spezifische Ziele beinhalten Kriterien, die dabei helfen, zwischen alternativen Handlungen zu wählen, und zu entscheiden, wie die Organisation strukturiert werden soll, um die Ziele zu erreichen. Spezifische Ziele geben Kriterien für die Auswahl von Mitarbeiter/innen, die Gestaltung von Arbeit und die Verteilung von Ressourcen vor.
Formalisierung ist der Ansatz, Verhalten vorhersagbar zu machen, indem Verhalten reguliert und standardisiert wird. Die Formalisierung führt zu stabilen Erwartungen zum Verhalten aller Organisationsmitglieder (Scott & Davis, 2007). Formalisierung schafft eine Unabhängigkeit der Zielerreichung von einzelnen Mitarbeiter/innen. So muss eine Organisation nicht außergewöhnlich begabte Personen für Schlüsselfunktionen rekrutieren – denn Macht und Einfluss ergeben sich aus der Stellenbeschreibung, nicht aus dem Charisma der Person (Scott & Davis, 2007; siehe unten bei Weber, Kap. 1.3 und Kap. 7. zu Führung).
Wenn Sie an eine Fast Food-Kette wie McDonald’s, Burger King oder Pizza Hut denken, dann sehen Sie hier Beispiele für hohe Formalisierung von Arbeitsprozessen, die zu den immer gleichen Ergebnissen führen, unabhängig davon, wer sie ausführt.
Managementsysteme wie Management by Objectives (MbO), Planning, Programming and Budgeting Systeme (PPBS), Program Evaluation Review Techniken (PERT) und auch das Total Quality Management (TQM) und internationale Qualitätsstandards wie die ISO 9000 dienen dazu, die Rationalität in Organisation durch Zielspezifität und Formalisierung zu unterstützen (Scott & Davis, 2007).
Die implizite Annahme dabei ist, dass Menschen die gleichen Ziele wie das Management verfolgen und sich der Zielerreichung »unterordnen«. Wir finden diese Perspektive vor allem in Managementkreisen wieder (Huber, 2011) und in den auch heute noch prägenden Arbeiten von Taylor, Fayol und Weber, die weiter unten noch dargestellt werden.
In der natürlichen Systemperspektive sind Organisationen in erster Linie Kollektive (von Individuen) (Scott & Davis, 2007). Organisationen sind hier mehr als Instrumente zur Zielerreichung und gelten als soziale Gruppen, die versuchen, sich an Bedingungen der Umgebung anzupassen und darin zu überleben (Scott & Davis, 2007). Ziele sind auch in dieser Perspektive relevant – jedoch in einer anderen Hinsicht. Organisationale Ziele und ihre Beziehung zum Verhalten der Mitarbeiter werden hier deutlich problematischer gesehen als in der rationalen Systemperspektive. In der natürlichen Systemperspektive wird dem tatsächlichen Verhalten von Mitarbeiter/innen und der Interaktion zwischen der formellen und formalisierten Struktur und der informellen Struktur des tatsächlichen Verhaltens mehr Aufmerksamkeit geschenkt (Scott & Davis, 2007).
So wird in der natürlichen Systemperspektive davon ausgegangen, dass Mitglieder einer Organisation sehr unterschiedliche Ziele verfolgen können (siehe March & Simon, 1958). Da sich Ziele je nach Situation und über die Zeit verändern, ist zu vermuten, dass nicht alle Ziele eines Organisationsmitglieds mit denen der Organisation, oder denen anderer Mitglieder der Organisation übereinstimmen (Huber, 2011). Es wird davon ausgegangen, dass Menschen Organisationen beitreten, um persönliche Ziele zu erreichen, die sie ohne die Organisation oder die Unterstützung anderer nicht erreichen könnten. In dieser Perspektive sind Organisationen Koalitionen aus Gruppen und Interessen, die jeweils etwas durch Interaktionen vom Kollektiv erhalten möchten, das individuellen Präferenzen und Zielen dient (Pfeffer & Salancik, 1978).
Um in der Organisation zu verbleiben, müssen die Mitglieder aber zumindest einige Arbeiten ausführen und Tätigkeiten erbringen, die die organisationalen Ziele unterstützen. Insofern geht die natürliche Systemperspektive davon aus, dass Organisationen aus Mitgliedern bestehen, die vielfältige Ziele verfolgen, die sowohl individuell als auch gemeinsam sind und die den Wert der Erhaltung der Organisation als wichtige Ressource der individuellen Zielerreichung erkennen (Scott & Davis, 2007).
Vertreter/innen der natürlichen Systemperspektive bestreiten nicht die Existenz von hoch formalisierten Strukturen in Organisationen, sie bezweifeln aber die Wichtigkeit und deren Wirkung auf das Verhalten der Mitarbeiter/innen. Formalisierte Strukturen sind zwar absichtlich gestaltet, um Verhalten zu steuern – sie werden aber durch informelle Strukturen ergänzt, unterwandert und untergraben (Scott & Davis, 2007). Informelle Strukturen sind dagegen nicht absichtlich gestaltet, sondern abhängig von den personenbezogenen Merkmalen der Akteure und deren Beziehungen. Die wohl wichtigste Erkenntnis der natürlichen Systemperspektive ist die, dass es zu jeder formalen Struktur auch eine informelle Struktur gibt, wobei auch diese in sich geordnet ist, z. B. durch informelle Normen und Verhaltensmuster, Status- und Machtsysteme, Kommunikationsnetzwerke, soziometrische Strukturen und Konflikte (Scott & Davis, 2007).
Diese Perspektive findet sich in der Human Relations-Bewegung ( Kap. 1.3.2), in den Führungsansätzen zur Aufgaben- und Mitarbeiter/innen-Orientierung und auch in der arbeits- und organisationspsychologischen Forschung wieder, z. B. bei den Themen Work Life Balance, Commitment, kontraproduktives Verhalten oder Wirtschaftskriminalität.
Während bei den ersten beiden Perspektiven die Organisationen als geschlossene Systeme betrachtet werden, wird in der offenen Systemperspektive der Blick auf die Umwelt der Organisation gerichtet (siehe auch die Theorie von Katz und Kahn weiter unten). Als eine solche Umwelt können z. B. die Märkte betrachtet werden, in denen ein Unternehmen agiert, wie der Arbeitsmarkt, der Finanzmarkt oder der Rohstoffmarkt).
Nach dem zweiten Weltkrieg etablierten sich verschiedene Forschungsrichtungen wie die Kybernetik, die General Systems-Theorie und die Informationstheorie, die verschiedene Disziplinen (z. B. die Biologie, Physik, Sozialwissenschaften) miteinander verknüpften (Scott & Davis, 2007) und die Systemtheorien entwickelten.
Systeme sind im Sinne dieser Disziplinen durch ihre interdependent verlinkten Systemelemente gekennzeichnet. In Organisationen besteht die Interdepentenz zwischen den organisierten Teileinheiten. In mechanischen Systemen ist die Interdependenz determiniert, klar begrenzt und eingeschränkt. In organischen Systemen ist die Interdependenz weniger eingeschränkt, sodass mehr Flexibilität möglich ist. Soziale Systeme wie Organisationen gelten als komplexe, offene, sich selbstregulierende und lose gekoppelte Systeme (Scott & Davis, 2007; Boulding, 1956).
Organisationen können sich in der offenen Systemperspektive durch Feedbackprozesse selbst regulieren, indem Abweichungen von einem Soll-Zustand detektiert und korrigiert werden. Organisationen gelten zudem als lose gekoppelte Systeme – wie auch schon in der natürlichen Systemperspektive deutlich wurde – wenn die Kopplung zwischen der formalisierten Struktur und der informellen Struktur nicht hoch ist. Es besteht eine Lücke zwischen dem, was in einer Organisation gesagt wird, und dem, was tatsächlich getan wird (»knowing-doing« gap, Scott & Davis, 2007). Die lose Kopplung kann sich aber auch auf die Verbindung zwischen Unterabteilung und der Organisation beziehen. Der Vorteil der losen Kopplung liegt dabei vor allem in der Flexibilität und der Adaptivität in Bezug auf Veränderungen inner- und außerhalb der Organisation. Organisationen als offene Systeme sind also fähig, sich selbst zu erneuern und sich somit zu erhalten.
Die Selbsterhaltungsfähigkeit ist ein wichtiger Unterschied zu der Maschinen-Methaper der rationalen Systemperspektive. Die Kaffeemaschine kann sich in einem gewissen Maße ggf. noch selbst regulieren (anzeigen, dass Wasser nachgefüllt werden muss), kann sich aber nicht selbstständig mit Strom, Wasser oder Kaffeebohnen versorgen. Der In- oder auch Output kann von der (Kaffee-)Maschine nicht dazu genutzt werden, sich selbst zu reparieren oder ihr Überleben zu verlängern.
Die Maschine kann ihre Inputs also nicht so verarbeiten, dass sie sich damit selbst erhalten kann wie biologische Systeme, Planzen, Tiere und Menschen das können (Scott & Davis, 2007).
Um die Selbsterhaltungprozesse auszuführen, muss ein System offen sein und Ressourcen aus der Umwelt aufnehmen (wie z. B. Mitarbeiter/innen, Rohmaterialien, Kunden, Zulieferer oder Gesetzgeber). Die offene Systemeperspektive betont daher, dass Organisationen von Ressourcen (Inputs) der Umwelt abhängen. Betrachet werden zudem die Austauschbeziehungen mit anderen Organisationen und mit der Umwelt, d. h. Organisationen produzieren Güter (Output), die wiederum von anderen Organisationen weiterverarbeitet werden. In der offenen Systemperspektive stellt der »Fluss« einen zentralen Begriff dar. Menschen, Materialen und Güter fließen (Throughput) durch die Organisation hindurch. Die Ressource der Mitarbeiter/innen (Human Resources, Kap. 4) gelangt auf verschiedenen Ebenen in die Organisation, verlässt diese auch wieder, baut währenddessen Wissen auf und nimmt dieses beim Verlassen auch wieder mit. Es gilt daher festzustellen, wie die Organisation mit der Aufnahme und Wiederabgabe von Ressourcen die verschiedenen Anspruchsgruppen am besten zufriedenstellen kann (Huber, 2011).
Theorien, die diese Perspektive einnehmen, sind u. a. die Perrows »Normal Accident Theory«, die Theorien zu High Reliability-Organisationen (s. u.), die Kontigenz-Theorien (s. u.) und die Network-Theorien (s. u.).