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VII.

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In ein ganz kleines Hotelchen der Wilhelminenstraße im Hamburger Stadtteil St. Pauli hatte sich Heino Staufen verkrochen. Er aß, trank und schlief und dachte zuweilen daran, daß er ins Ausland wollte, ohne aber zu wissen wohin.

Ein Tag verging nach dem anderen und er kam nicht weiter. Es war zuviel Unschlüssigkeit in ihm, die ihn zwischen allerlei Zukunftsplänen immer hin- und herriß.

Zuweilen überfiel ihn die Sehnsucht nach Elisabeth so stark, daß sie ihn wie ein Fieber schüttelte, aber er machte sich dann immer wieder klar, Elisabeth hatte ihn nicht wahr und aufrichtig geliebt, sonst hätte sie nicht direkt gegen seinen Wunsch und Willen gehandelt. Die blödsinnige, eitle Hoffnung, sich vielleicht die Krone der Modekönigin aufsetzen zu dürfen, hatte ihre Liebe schon umgeworfen.

Allzu standfest war sie also nicht gewesen.

Hätte sich Elisabeth an jenem unglückseligen Mittag vernünftiger gezeigt, wäre das ganze Unheil nicht geschehen, durch das nun vielleicht seine Zukunft zerstört wurde.

Er besaß kein Zeugnis über seine Arbeitsjahre bei Mosbach, er hatte in Untersuchungshaft gesessen, war dicht am Gefängnis vorbeigestreift und befand sich zwar in Freiheit, aber nur, weil man ihm die Unterschlagung nicht hatte beweisen können, die man ihm zur Last gelegt.

„Wegen Mangels an Beweisen“ war er freigesprochen worden. Nur deshalb.

Jeder Mensch, der es wußte, und wenn er der elendste Schuft war, durfte ihm verächtlich zurufen: „Beweise erst deine Unschuld!“

Und wie sollte ihm das gelingen?

Er war ziemlich früh aufgestanden mit dem festen Vorsatz, sich heute zum Entschluß durchzuringen, wohin er die Fahrt wagen sollte.

Er mußte zum Entschluß kommen, sonst wurde seine Brieftasche immer leerer und die Gefahr bestand, daß er bald überhaupt nicht mehr fort konnte.

Heino besann sich nicht lange, nahm seinen Hut und verließ das Zimmer.

Zuerst lief er ein Stück an der Binnenalster entlang und später wanderte er durch die Parkanlagen von Uhlenhorst, wo die Paläste der Großkaufleute in herrlichen Gärten träumen, wo die verwöhnten Alsterschwäne feierlich vornehm über das schimmernde Wasser ziehen.

Eine Bank lud zum Niedersitzen ein.

Heino Staufen war sehr verstimmt, es fiel ihm nicht ein, was er tun, wohin er ins Ausland fahren sollte.

Es war um diese Stunde hier weniger belebt.

Ab und zu ging jemand unfern vorbei, aber Heino Staufen blieb der einzige, der hier ausruhte.

Aus den nahen Gärten zog der starke Duft der Rosen heran, umkoste ihn wohlig, ließ einen Traum von Liebe und Glück wieder erstehen, den er noch vor kurzem geträumt.

Er schloß leicht die Augen.

„Ich habe dich nicht mehr lieb!“ hatte er Liesel geschrieben und es war doch Lüge. Er hatte sie noch immer lieb, obwohl ihre Liebe nicht des kleinen Opfers fähig gewesen, das er von ihr erwartet hatte.

Er merkte es nicht, daß sich Frauenfüße näherten. Süßer Veilchenduft umkoste ihn.

Ihm fiel das gar nicht auf, so tief hatte er sich in seine Gedanken eingesponnen. So fest eingesponnen, daß er es auch nicht merkte, wie sich eine sehr hübsche blonde und elegant gekleidete Dame auf seiner Bank niederließ.

Leise stöhnte er auf: „Liesel, mein Liesel, warum hast du mir das getan?“

„Ich weiß es nicht, mein lieber Hans“, erwiderte prompt eine vergnügte weibliche Stimme ganz in seiner Nähe.

Er riß die Augen weit auf und blickte in ein lachendes, sehr unregelmäßiges, aber feines interessantes Gesicht mit schönen dunklen Augen, blondem Haar, sonnengebräuntem Teint und den herrlichsten Zähnen der Welt.

Er suchte seine Peinlichkeit durch Unhöflichkeit zu überwinden.

„Ich heiße nicht Hans“, erwiderte er schroff.

Sie lachte genau so ungeniert wie vorhin.

„Dann habe ich mich eben geirrt, ich dachte, wer nach einer Gretel oder Liesel seufzt, müßte immer Hans heißen. In Gedichten und Liedern pflegt das so zu sein.“

Er mußte unwillkürlich auch ein wenig lachen.

„So gefallen Sie mir besser, als wenn Sie seufzen“, lobte sie, ihm zunickend, „und jetzt erleichtern Sie Ihr Herz: Was hat denn die böse Liesel eigentlich angestellt?“

Es war bei der Frage soviel Schelmerei in den dunklen Augen, daß er sich über ihre Art nicht zu ärgern vermochte.

„Sie hat mich nicht lieb gehabt, trotzdem sie es behauptete“, erwiderte er in selbstspöttischem Ton. „Nun bin ich aus ihrer Nähe gegangen. Bei der Gelegenheit darf ich mich Ihnen wohl vorstellen, wie es die Höflichkeit erfordert: Ich heiße Heino Staufen, bin stellungsloser Kaufmann und unterwegs auf der Reise nach Irgendwo. Es fahren zwar täglich viele Schiffe hier aus dem Hafen, aber ich bin mir über die Himmelsrichtung meines Zieles noch nicht einig.“

Sie neigte den Kopf, murmelte einen Namen, den er nicht verstand und fragte: „Sie haben also noch kein festes Reiseziel? Aber wo auf der weiten Herrgottserde müßte Ihnen das besser einfallen als in einer großen Hafenstadt, die den größten, vielmehr bedeutendsten Hafen des Kontinents besitzt?“

Ihm ward ordentlich leicht zumute, weil er einmal mit jemand über das Thema sprechen konnte. Er empfand es als Wohltat.

„Die Wahl fällt mir sehr schwer, denn meine Reisekasse ist auch nicht besonders gefüllt. Jedenfalls werde ich in Europa bleiben müssen. Ein fremdes Land genügt mir schließlich auch schon, es braucht nicht gleich ein fremder Erdteil zu sein, wie ich anfangs meinte.“

Es klang wie mühsam verhaltenes Fragen hindurch, als bitte er verstohlen um einen Rat.

Die dunklen Augen blickten ihn nachdenklich an.

„Vielleicht vermag ich Ihnen behilflich zu sein. Ich bin Deutsche, mit einem Spanier verheiratet und würde mich freuen, einem Landsmann einen Gefallen erweisen zu können. Wenn Sie Lust hätten, nach Spanien zu reisen, sollten Sie sich uns anschließen, unsere Jacht liegt im Hafen.“

Heino Staufen erschrak vor dem Vorschlag, der ihm blendend erschien.

Er sagte mit merklicher Erregung: „Sie sind sehr gütig, gnädige Frau, aber wer weiß, wie Ihr Gatte darüber denkt?“

Ein Ausdruck von Fanatismus überleuchtete ihr feines Gesicht.

„Mein Mann und ich stimmen in allem völlig überein, die Sorge braucht Sie also nicht zu belasten.“

Heino Staufen war von dem Vorschlag ganz benommen. Wie kam das Glück dazu, sich plötzlich seiner so deutlich zu erinnern? Es hatte doch niemals mehr an ihn gedacht in der letzten Zeit.

Es bot sich ihm die Aussicht, mit einer Privatjacht in ein anderes Land zu fahren und er hatte schon an die Reise im Frachtdampfer gedacht.

Er sagte: „Aber vorstellen müßte ich mich doch Ihrem Gatten. Vielleicht bin ich ihm persönlich unangenehm. Man kann das niemals wissen.“

Sie wehrte ab.

„Bewahre! Wenn Sie mir gefallen, gefallen Sie ihm auch. Aber kennenlernen muß er Sie natürlich, ebenso wie Sie ihn kennernlernen müssen. Möglicherweise ist er Ihnen unsympathisch.“ Sie hatte jetzt eine etwas gönnerhafte Miene. „Ich halte es zwar für ausgeschlossen, mein Mann könnte Ihnen unsympathisch sein, aber selbst dann würde ich Ihnen raten, meine Einladung anzunehmen. Sie ersparen die Reisekosten und wenn wir in Spanien sind, könnten mein Mann oder ich Ihnen wenigstens zu einer vorläufigen Stellung verhelfen.“

Er erwiderte überhastig: „Menschen, die so gut sind, einem helfen zu wollen, sind immer sympathisch.“ Er setzte zögernd hinzu: „Ich möchte Ihnen selbstverständlich, wenn Sie mich mitnähmen, etwas vergüten.“

Sie machte eine verneinende Bewegung.

„Seien Sie doch nicht so kaufmännisch. Sie werden einfach unser lieber Gast sein, und wenn Sie jetzt nichts Besonderes vorhaben, begleiten Sie mich, mein Mann befindet sich im Hotel ‚Vier Jahreszeiten‘.“

Heino Staufen erklärte sich sofort bereit dazu. Ihm schien die Situation ein bißchen sonderbar, aber er dachte, das war wohl nur eine Anwandlung von Spießbürgerlichkeit. Er war sein lebenlang noch nicht viel aus der Enge der Kleinstadt herausgekommen. Leute der großen Welt fanden wohl an so einer Reiseeinladung nichts Besonderes.

Er ging neben der blonden Frau durch die gepflegten Alsterpromenaden und sie erzählte von Spanien.

„Wir reisen viel auf unserer Jacht herum“, plauderte sie, „zwischen aller Herren Länder zieht sie hin und her. Wir haben ein schönes Haus bei Barcelona und eine Villa am Meer. Aber am wohlsten ist uns, wenn die Wogen unser schwimmendes Heim umkosen. Mein Mann und ich lieben das Meer fanatisch, besonders das blaue Mittelländische Meer.“

Der Weg wurde Heino Staufen nicht lang, erst als man vor dem Hotel ‚Vier Jahreszeiten‘ stand, wo viel gediegene Vornehmheit abzusteigen pflegte, ward er sich wieder ganz klar des Grundes bewußt, der ihn hierher geführt.

Er dachte, wenn der Mann seiner Begleiterin auch nur ein wenig von ihrer Art besaß, durfte er den Zufall segnen, der diese Frau auf derselben Bank in Uhlenhorst ausruhen ließ, auf der er Platz genommen.

Vor der Tür eines Zimmers im zweiten Stock machte die Dame halt.

Sie lächelte ihn an.

„Verzeihen Sie, wenn ich Sie bitte, ein paar Minuten hier zu warten, bis ich Sie rufen werde. Ich möchte meinen Mann kurz orientieren.“

Sie verschwand schon hinter der Tür.

Er kämpfte mit der jäh erwachten Peinlichkeit, hier wie ein Bittsteller zu stehen und er dachte, wenn sie mit ihrem Mann in allem so übereinstimmte, wie sie betont hatte, dann hätte sie ihn doch gleich mit ins Zimmer nehmen können.

Aber er erwog: ihr Mann schlief vielleicht noch oder war in seinen vier Wänden etwas nachlässig gekleidet.

Eben öffnete sich die Tür bereits wieder und die blonde Frau winkte ihm.

„Treten Sie, bitte, ein, mein Mann freut sich, Sie kennenzulernen.“

Heino Staufen nahm unwillkürlich mehr Haltung an und überschritt die Schwelle.

Er befand sich in einem hübsch eingerichteten Hotelsalon, in dessen Mitte ein auffallend großer Herr stand.

Er hatte ein kühn geschnittenes Gesicht, dunkle verschleierte Augen und vollständig ergrautes Haar.

Er mußte mindestens zwanzig Jahre älter sein als die reizvolle Frau.

Er sah vornehm und klug aus, aber in den verschleierten dunklen Augen glimmte es eigentümlich auf, als er Heino Staufen nun mit langem Blick betrachtete.

Er schien eine Ware zu mustern, über deren Annahme oder Zurückweisung er mit sich noch nicht völlig im klaren war.

Heino Staufen fühlte sich durch den Blick gedemütigt. Aber das Empfinden schwand sofort, als ihm der Herr nun die Rechte entgegenstreckte und in gutem, wenn auch sehr scharf akzentuiertem Deutsch sagte: „Es ist mir angenehm, Sie kennenzulernen, Herr Staufen, es wird mir ein Vergnügen sein, Sie mit in meine Heimat zu nehmen.“

Heino Staufen verneigte sich.

„Ich danke Ihnen herzlich, Herr —“

Er hatte den Namen, den die zierliche Frau vorhin genannt, nicht verstanden und hatte nicht direkt danach fragen wollen.

„Ich heiße Ricardo Espada“, schien der Spanier seine Gedanken zu erraten, „ich bin Privatgelehrter. Meine Frau führt nach spanischer Sitte ihren Mädchennamen weiter, aber nennen Sie sie nur nach deutscher Sitte Frau Espada, ich glaube, sie würde das gern hören.“

Ein zärtlicher Blick traf die junge Frau, die den Blick mit gleicher Zärtlichkeit erwiderte.

Heino verlachte sich heimlich selbst, weil er im Anfang seiner Bekanntschaft mit der jungen Frau fast geglaubt, sie suche ein Abenteuer. Und da er Elisabeth so bitterschwer grollte, wäre es ihm auch nicht darauf angekommen, ein kleines Abenteuer zu erleben.

Man setzte sich und Ricardo Espada strich seinen sehr kurzen schwarzen Spitzbart leicht nach unten.

„Wir hatten die Absicht, morgen abzureisen. Sind Ihre Papiere in Ordnung? Ich meine besonders, ist Ihr Paß in Ordnung?“

Der Gefragte verneinte.

„Ich weiß ja erst, seit Ihre Gattin mich freundlich beraten hat, wohin ich reisen werde.“

Ricardo Espada nickte.

„Muy bien, muy bien, die Paßangelegenheit erledigt sich auch schnell. Sagen Sie auf dem Konsulat einfach, Sie machen eine Vergnügungsreise nach Spanien, um es kennenzulernen. Sie besitzen doch wahrseinlich ein Abmeldepapier Ihrer Ortsbehörde?“

Heino Staufen konnte die Frage bejahen und als ihm der Spanier riet, gleich das Konsulat aufzusuchen, war er gern einverstanden.

Er hatte schon viel zu lange hier in Hamburg herumgesessen, hatte schon zu viel Zeit vertrödelt, je rascher er hier wegkam, um so besser, damit er noch etwas Geld behielt.

„Wenn es Ihnen glückt, das Visum noch heute zu erhalten, verlassen wir mit der Jacht morgen Hamburg“, bestimmte Espada, „und, ehe ich es vergesse, möchte ich Sie bitten, auf dem Konsulat nichts von mir verlauten zu lassen. Der Konsul hat mir nämlich ein paar Bekannte von sich, zwei Damen, als Reisegefährten in Vorschlag gebracht. Aber meine Frau langweilt sich in weiblicher Gesellschaft und da habe ich erwidert, ich würde prinzipiell keine Fremden auf unserer Jacht aufnehmen, weil mich das in meinen Studien, mit denen ich mich während der Seereise zu beschäftigen pflege, stark behindere. Wenn er nun hörte, ich hätte Sie eingeladen, müßte ihn das natürlich stark kränken.“

Heino Staufen sah das vollkommen ein und er fühlte sich geschmeichelt, daß ihn das Ehepaar den von dem Konsulat empfohlenen Damen vorzog.

Er machte ein schlaues Gesicht.

„Jetzt, wo ich Bescheid weiß, werde ich mich hüten, auf dem Konsulat zu verraten, auf welche Weise ich nach Spanien reisen werde.“

Er empfahl sich sofort mit nochmaligen Dankesworten.

Als er das Zimmer verlassen hatte, warf die schlanke Frau ihre Arme um den Hals des Mannes und flüsterte in der klangvollen Sprache seines Vaterlandes zu ihm empor: „Nun, Liebster, habe ich den Menschen seit drei Tagen umsonst verfolgt oder hat es sich gelohnt? Ich halte ihn für ein prachtvoll geeignetes Objekt. Wie urteilst du vom fachmännischen Standpunkt?“

„Querida mia, muß ich dir die Frage wirklich noch beantworten? Wenn er mir nicht geeignet schiene, hätte ich ihn rücksichtslos wieder ausgeladen. Ich hoffe zuversichtlich — nein, nichts mehr von Hoffen, ich bin fest überzeugt, er wird mir die Tore des Weltruhms erschließen, er ist es, den wir gesucht haben.“

Sie blickte ihn begeistert an.

„Du wirst bald einer der bedeutendsten, der überragendsten Männer unserer Zeit sein. Viele, deren Leistungen man über alle Maßen feiert, werden an Bedeutung zusammenschrumpfen neben deiner gigantischen Größe.“ Sie schmiegte sich eng an ihn. „Ich warte voll Sehnsucht auf die Krönung deines Werkes, der schönste Tag meines Lebens wird dein Triumph sein.“

Sie flüsterte wie in einem Rausch: „Ricardo, ich bin für dich ehrgeizig bis in die Fingerspitzen.“

Er küßte sie.

„Du bist die Gefährtin, nach der ich mein lebenlang verlangt habe. Du tust alles für mich, deine Liebe wurzelt in deinem Glauben an mich, und dein Glaube an mich in deiner Liebe.“

„Morden würde ich für dich, Ricardo!“ versicherte sie enthusiastisch.

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