Читать книгу Modekönigin - Anny von Panhuys - Страница 5

II.

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Heino Staufen dachte in seiner grenzenlosen Erregung gar nicht mehr daran, daß er zwanzigtausend Mark, die er in der Brusttasche in einem sorgfältig zugesiegelten Umschlag trug, abgeben mußte, ehe er zum Essen ging. Aber es fiel ihm auch nicht ein, zum Essen in die Pension zu gehen. Er stürmte in seinem heißen Zorn vorwärts und suchte die Einsamkeit.

Er lief durch die Promenade und stürmte in den Wald hinein, der sich schattenspendend vor ihm öffnete, wie ein großer, geheimnisvoller Dom.

Er lief noch ein Stück quer durch den Wald, bis seine Erregung matter wurde. Wie sich Wogen nach dem Sturm beruhigen, so wurde auch in ihm alles friedlicher.

Er war vorhin gleich zu heftig geworden. Er sah das jetzt ein. Elisabeth hatte ihn lieb, sie würde vernünftig sein, wenn er sie so recht von Herzen bat.

Er verwünschte seine Heftigkeit.

Ihm war heiß geworden. Er zog seinen Rock aus. Hier sah ihn ja niemand. Um diese Zeit spazierte wohl außer ihm kein Mensch im Stadtwald herum.

„Nur ich verblendeter Mensch!“ dachte er voll Selbstironie.

Er lächelte weich. Sein liebes kleines Liesel: Modekönigin von Berlin!

Ein Witz war das. Sein Liesel paßte nicht zu solchem Firlefanz, zu solcher Modereklamefigur, zu solcher Eitelkeitsgöttin.

Er schwenkte den Arm, über den er lässig den Rock trug, leicht hin und her. Bei den Schlenkerbewegungen des Armes geriet der Briefumschlag in der Innentasche des Rockes etwas ins Rutschen, aber Heino Staufen, der eben in das Laubdach der Bäume schaute, merkte es nicht. Seine verliebte Phantasie zeigte ihm hoch oben Elisabeths reizvolles Bild und er merkte auch nicht, wie neues Schlenkern des Armes die Katastrophe vollendete.

Der Brief war auf den weichen Waldboden gefallen.

Heino Staufen schritt schneller und kraftvoller aus. Nun sein Zorn verraucht war, fühlte er sich wieder vollständig wohl. Auf das Mittagsmahl verzichtete er gern.

Und da er sich nun doch schon im Walde befand, wollte er noch ein halbes Stündchen hier verweilen.

Als Heino Staufen ein Stück von der Stelle entfernt war, wo er das Geld verloren, kam seitlich durch den Wald ein Mann mit müden Füßen. Man merkte es deutlich seinem Gange an, wie wund diese Füße sein mußten.

Sein Gesicht war nicht häßlich, aber viele Falten und Fältchen durchzogen es und die Mundwinkel senkten sich verbittert nach unten. Seine braunen Augen lagen unter faltigen Lidern und das Haar hing strähnig und grau unter seiner Mütze hervor.

Er schien hungrig und matt, und es war, als ob er mit sich selbst spreche, wenn auch kein Laut über seine Lippen sprang.

Er sank an einem dicken Eichenstamm nieder. Ausruhen wollte er und noch einmal, zum letztenmal überlegen, ob es denn wirklich keine Rettung für ihn gab.

Sein Kopf fiel gegen den Stamm wie haltsuchend und er schloß die Augen.

Zehn Jahre war es her, da war er heimlich, als Frau und Kind schliefen, mit zwei Tausendmarkscheinen, dem letzten baren Geld seiner Kasse, aus der kleinen Stadt, die hinter dem Eichenwalde lag, geflohen. Er hatte Jahre hindurch in der kleinen Stadt Bau um Bau ausgeführt, die Häuser immer wieder mit Vorteil verkauft, bis er sich dann mit seinen Spekulationen verrechnet und ihn die Angst vor der Verantwortung forttrieb. Wohin? In das große Land: „Überall“.

Er war in Brasilien gewesen und in Mexiko, in Argentinien, Kanada und Kalifornien. Ein armseliger Globetrotter, der sich nirgends Halt unter die Füße zu zwingen vermochte.

Und doch war das Wanderleben voll Reiz gewesen. Oft hatte er gehungert, sich aber auch zuweilen satt gegessen, er hatte gearbeitet, was ihm der Zufall an Arbeit geboten, und hatte das Falschspiel erlernt in den verrufenen Hafenschenken von Rio de Janeiro.

Eines Tages, ganz urplötzlich mitten in seinem erbärmlichen Vagabundenleben, überfiel ihn das große Heimweh wild und elementar. Nach zehn Jahren in der Fremde kam es über ihn und schüttelte ihn, wie der Sturm einen schwankenden Baum. Riß ihn über das Meer zurück in die Heima.t Riß ihn bis in die kleine Stadt, in der er vor zehn Jahren Frau und Kind zurückgelassen, wie Gegenstände, die man nicht mehr braucht.

Durch Falschspiel hatte er sich eine jammervolle beschwerliche Überfahrt zusammengespart, und dann war er von Hamburg her in der Richtung seines einstigen Zuhauses gewandert. Durch Städte und Dörfer. Sich immer ein bißchen abseits haltend, den Gendarmen aus dem Wege gehend.

Sein bißchen Essen hatte er sich zusammengeschnorrt.

Und so erreichte er sein Ziel. Wenigstens beinahe erreichte er es.

Er hatte seine Frau aufsuchen wollen, die er fast vergessen da draußen in der weiten Welt, hatte Verlangen verspürt, sein Töchterchen zu sehen, das er unverantwortlich im Stiche gelassen, aber schon ganz nahe dem Städtchen packte ihn Angst.

Er konnte doch nicht urplötzlich wieder auftauchen, noch dazu als Landstreicher.

Mit durchgelaufenen Stiefeln, mit zerrissenem Rock und dem letzten Hemd auf dem Leibe.

Die Heimatluft hatte die Scham in ihm wachgerüttelt und er hatte im letzten Dorf vor dem Wald einen Strick gestohlen.

Einen derben Strick, über den eine Bäuerin Wäsche gehängt hatte. Seife lag in der Nähe und allerlei sonstige Waschutensilien.

Er nahm auch das Stück Seife und rieb den Strick später damit ein, damit sich die Schlinge schnell und glatt zuzog, wenn er Schluß machte mit dem verfehlten Dasein.

Hier im Eichenwalde sollte es geschehen, dicht vor dem Heimatstädtchen.

Wenn man ihn fand und seine Papiere las, dann erfuhren doch Frau und Kind, wie hart er sich selbst gerichtet.

Er sah keinen Ausweg mehr, er durfte den Seinen die Schande nicht antun, so heimzukehren, ihnen zur Last zu fallen.

Er riß die Augen weit auf. Allbarmherziger Himmel, sollte das wirklich seine letzte Stunde sein? War er deshalb so weit über das Meer hergekommen, hatte er sich deshalb auf den Landstraßen die Füße wund gelaufen, nur um hier eines so elenden Todes sterben zu müssen?

Hatte er nicht an die Vergebung seiner Frau, an die zärtlichen Trostworte seiner kleinen Elisabeth gedacht?

Seine kleine Elisabeth war jetzt groß, vielleicht schon verheiratet. Sie würde sich so sehr ihres Vaters schämen müssen. Und Martheken, die so verliebt in ihn gewesen, daß er es oft genug komisch gefunden, würde sich wohl bedanken, den abgerissenen Lumpen als ihren Gatten zu begrüßen.

Es war am besten, er führte seinen Vorsatz aus.

Er erhob sich und zog unter seinem fest zugeknöpften Rock den Strick hervor, den er der Bäuerin gestohlen.

Er betrachtete ihn mit Grauen.

Ein unheimliches Frieren ging über seinen ausgemergelten Körper und seine Lippen bewegten sich, während seine Augen Umschau hielten nach dem geeigneten Ast.

Er dachte, von der Verzweiflung dieser Stunde dazu getrieben: Warum hatte er kein einziges Gebet aus Kindertagen in seinem Gedächtnis festgehalten?

Warum konnte er nicht eins von den vielen, die es gab?

Vielleicht hätte es ihm Hilfe gebracht! Oder wenigstens Trost.

Er schrie plötzlich verzweifelt auf: „Herrgott im Himmel, ich kann nicht beten, aber um meiner armen Frau und um meines armen Kindes willen tue ein Wunder. Damit ich sie beide wiedersehen kann. Die Sehnsucht nach den zweien frißt jetzt in mir wie böses Feuer.“

Ein paar Tränen zogen über seine faltenzerrissenen Wangen, als er stöhnte: „Ich will mich bessern, Herrgott, ich will mich bestimmt bessern. Aber bitte, bitte, tue ein Wunder, ich habe oft gehört, daß du es kannst.“

Noch einmal erinnerte er: „Tue ein Wunder!“ Dann suchten seine Augen wieder den Ast, der ihn aus dem Leben tragen sollte.

Er machte ein paar ziellose Schritte, und die Augen noch immer nach oben richtend, stolperte er über eine vorstehende Baumwurzel und stürzte.

Unwillkürlich stützte er sich dabei mit beiden Händen und fühlte auf dem moosigen Boden unter seiner Rechten ein festes Papier.

Im nächsten Augenblick sah er einen weißen, mit fünf roten Siegeln geschlossenen Umschlag.

Er erhob sich schwerfällig, der versiegelte Umschlag schnitt seine Selbstmordgedanken durch, wie mit einem scharfen Messer.

Er konnte nicht widerstehen, er riß den Umschlag hastig seitlich auf und taumelte, als er den Inhalt erkannte.

Er zitterte vor Überraschung an allen Gliedern und sein erster Gedanke war: Das Wunder, um das er gefleht, war geschehen. Der Herrgott, an den er seit Kindertagen nicht mehr gedacht, hatte ihm geholfen.

Den Strick in der einen Hand, den Umschlag in der anderen, stand er da und sah sich scheu um.

Niemand war weit und breit zu erblicken.

Er zog die Geldscheine aus dem Umschlag, der ihm dabei entglitt, und starrte wie benommen die vielen Scheine an.

Er begann zu zählen, aber mit einem Male, er war gerade bis zehn gekommen, überfiel ihn siedendheiße Angst.

Er dachte, wenn es auch für ihn ein Wunder bedeutete, dieses Geld hier gefunden zu haben, mußte es doch jemand verloren haben. Und der unbekannte Jemand würde seinen Verlust früher oder später bemerken und zurückkehren, den Weg absuchen, den er gegangen.

Jede Minute konnte er auftauchen. Und dann traf er ihn hier mit dem Bündel Banknoten in der Hand und würde es ihm natürlich wieder entreißen.

Blitzgeschwind barg er die Scheine in der Brusttasche seines schäbigen Rockes und eilte, so rasch ihn seine müden, wunden Füße trugen, davon. Wieder tiefer in den Wald hinein.

Er würde sich hüten, jetzt in der Richtung der Stadt zu gehen.

Am besten war es wohl, sich wieder zurück bis Berlin durchzuschlagen.

Dort konnte er sich auffrischen und einkleiden, ein ganz anderer Robert Tann durfte dann an die Wohnung der Frau klopfen, die er vor zehn Jahren heimlich verlassen.

Er stolperte noch ein paarmal und schließlich brach er fast zusammen. Seine Gedanken verwirrten sich, und in einer schmalen Mulde zwischen Gestrüpp und wirr verwachsenem Waldgras fiel er zu Boden.

Ruhen mußte er, schlafen. Nur kurze Zeit, nur ein halbes Stündchen, denn es war ihm nicht möglich, auch nur noch einen einzigen Schritt weiterzugehen.

Der weite Weg, die Hitze, der Hunger hatten seine Kräfte auf das äußerste erschöpft. Dazu gesellte sich die Todesangst.

Die jähe Freude über den Fund hatte ihm den Rest gegeben.

Er lag kaum in der Mulde, die wie ein weiches grünes Bett war, als er schon schlief.

Seine tiefen Atemzüge verrieten, er wußte nichts mehr von seiner Umwelt.

Den Strick aber trug er noch bei sich. Er lag über seinem linken Arm, während Daumen und Zeigefinger seiner Rechten die Schlinge krampfig umfaßt hielten.

Aber er schlief fest und tief.

Inzwischen hatte Heino Staufen seinen Weg fortgesetzt. Schließlich fing er an, laut zu pfeifen, seine Sorge schien ihm jetzt lächerlich. Elisabeth hatte ihn lieb, und sie würden sich beide wieder vertragen. Noch heute! Sein Mädel setzte doch nicht ihr und sein Glück auf das Spiel, um dafür die Aussicht zu gewinnen, vielleicht Modekönigin zu werden.

Heute abend noch wollte er sie wegen seiner Heftigkeit um Verzeihung bitten, wollte lieb und vernünftig mit ihr sprechen.

Auch würde er umkehren müssen.

Schnell warf er einen Blick auf seine Uhr, die er in der Westentasche trug.

Es war sogar die allerhöchste Zeit, kehrt zu machen, wenn er noch ein Täßchen Kaffee trinken wollte, ehe er ins Kontor ging.

Und jetzt fiel ihm auch ein, er hatte ja in seinem Zorn über Elisabeths Vorhaben vergessen, das Geld zur Firma Klymann zu bringen.

Das mußte er aber jetzt gleich tun.

Hoffentlich würde er wegen der verspäteten Ablieferung noch keinen Ärger haben! Sein Chef hatte ihn als Überbringer des Geldes schon vormittags telefonisch bei der Firma Klymann angemeldet.

Er zog den Rock an und starrte im nächsten Moment wie entgeistert die Innentasche an, in die er, wie er genau wußte, den versiegelten Umschlag gesteckt hatte.

Der Umschlag mit dem Geld aber war verschwunden.

Seine Hand fuhr in die Tasche, fühlte so tief hinein, als bestände die Möglichkeit, die vielen Banknoten könnten sich in eine Briefmarke verwandelt haben.

Er untersuchte auch die anderen Taschen und stand dann da, an allen Gliedern wie gelähmt. Er überlegte verzweifelt: Wo war der versiegelte Umschlag mit den zwanzigtausend Mark geblieben?

Er brauchte nicht lange nachzudenken. Er hatte, bald nachdem er den Wald betreten, den Rock ausgezogen und hatte später mit dem Arm, über dem der Rock lag, spielerisch geschlenkert.

Dabei mußte der Umschlag aus der Tasche gerutscht sein.

Er bedurfte seiner ganzen Willenskraft, um die von dem wahnsinnigen Schreck erstarrten Glieder wieder dazu zu bringen, sich zu bewegen.

Er mußte den Umschlag suchen gehen!

Um diese Zeit gab es sicher nicht viele Leute hier im Walde, und wenn er sich eilte, konnte er hoffen, den wertvollen Umschlag wiederzufinden. Nur mußte er auf dem gleichen Weg zurückkehren, auf dem er gekommen.

Er begann zu laufen. Schließlich rannte er, aber immer noch ging es ihm nicht schnell genug.

Doch so sehr er auch nach allen Seiten ausspähte, er sah das Verlorene nicht.

Und dann mit einem Male, als ihm die Verzweiflung schon beinahe die Kehle zuschnürte, erblickte er von weitem etwas Weißes und als er näher kam, leuchtete es wie Blut über dem Weiß auf.

Sein Herz klopfte wie rasend vor Freude. Er hatte deutlich die roten Siegel auf dem weißen Umschlag erkannt.

Er stieß vor Freude einen unartikulierten Laut aus und sein Laufen ließ etwas nach. Es war nicht windig, der Umschlag flog nicht fort. Es war auch niemand in der Nähe, der ihn möglicherweise hätte aufheben können, und der Umschlag mit seinem wertvollen Inhalt war ihm jetzt schon genau so sicher, als wenn er ihn in den Händen hielt.

Aber nie wieder wollte er so leichtsinnig sein, in seinem ganzen Leben nicht.

Er hatte heute über seiner Liebe seine Pflicht vernachlässigt, nein, vollständig versäumt. Das heutige Erlebnis sollte ihm eine bittere Lehre sein für alle Zeit.

Er näherte sich nun der Stelle, wo der Umschlag mit den roten Siegeln lag. Aber noch ehe er sich bückte, wollten seine Glieder schon wieder in die alte Starrheit von vorhin verfallen. Denn jetzt in der Nähe erkannte er, der Umschlag war seitlich aufgerissen worden, die Siegel aber waren fast unverletzt geblieben.

Und er erkannte auch auf den ersten Blick, der Umschlag war leer. Seine Hand streckte sich zögernd aus und nahm den Umschlag hoch. Gleich darauf stellte er fest, es befand sich kein einziger Schein mehr darin, nicht einmal eine von den Banknoten im Werte von hundert Mark.

Der Übergang von der Freude zu der erschreckenden Enttäuschung war zu schroff gewesen.

Sein Herzschlag machte sich so stark fühlbar, daß er ihn zu hören meinte, und in seinen Schläfen drängte sich das Blut zusammen. Es war, als schlage man ihm mit schweren Hämmern breite eiserne Nägel in den Kopf.

Seine Gedanken versuchten sich zu ordnen und gerieten doch immer mehr in ein hilfloses Durcheinander.

Heino Staufen machte mühsam ein paar Schritte, wankte dabei wie ein Trunkener. Er mußte sich an einen Baum lehnen.

Es war derselbe Baum, unter dem sich vorhin Robert Tann flüchtig ausgeruht, ehe er den Umschlag mit dem Geld gefunden.

Heino Staufen grübelte verzweifelt und über alle Begriffe erregt nach, was er jetzt tun sollte.

Hatte es Zweck, den Wald zu durchforschen nach dem Diebe des Geldes? Denn ein Dieb war der Mensch, der die Scheine aus dem versiegelten Umschlag genommen hatte.

Wahrscheinlich hatte er die Richtung nach der Stadt gewählt.

Er erinnerte sich genau, keinem Menschen begegnet zu sein, seit er den Wald betreten.

Er selbst wagte sich nicht in die Stadt zurück, er wagte sich nicht ins Kontor.

Er mußte sich ja in Grund und Boden schämen, wenn er erklären sollte, wie fahrlässig er mit dem ihm anvertrauten Gelde umgegangen.

Und er war nicht imstande, den Verlust zu ersetzen.

Vierhundert Mark Erspartes besaß er. Was bedeutete die kleine Summe aber im Verhältnis zu zwanzigtausend Mark?

Er war völlig ratlos, er war ganz außer sich.

Er stöhnte laut auf, wie bei einem Schmerzanfall.

Was sollte nun werden? Er war ruiniert. Man würde ihn mit Schimpf und Schande entlassen, und wer würde jemand aufnehmen, der so leichtsinnig mit dem Gelde anderer umging?

Er faßte endlich aber doch wieder Mut und lief kreuz und quer durch den Wald, in der Hoffnung, das Geld hier auf irgendeine Weise wiederzuerhalten.

Aber er traf niemand, unheimlich und drohend schien ihm jetzt die doch vorhin so wohltuende Stille des Waldes.

Er fühlte, er war am Ende seiner Kraft, und er sank auf einen Baumstumpf nieder, grübelte verzweifelt in sich hinein: Was sollte er tun? Es mußte doch einen Ausweg aus der entsetzlichen Situation geben, in der er sich befand.

Er saß mit hochgezogenen Knien, seine Ellbogen stützten sich darauf. Sein Kopf lag in den flachen Schalen seiner Hände.

Ihm war zumute, als gäbe es für ihn kein Voran und kein Zurück mehr, als wäre die Vergangenheit tot und die Zukunft in düstere Hoffnungslosigkeit gehüllt, als glotze ihn grinsend die Gegenwart an, diese furchtbare, unbegreiflich furchtbare Gegenwart.

Er stutzte. In sein stumpfes verzweifeltes Grübeln war ein sonderbarer Laut gedrungen, der ihn den Kopf heben ließ.

Wie ein leises Sägen hatte es geklungen.

Jetzt kam der Laut wieder. Ganz deutlich hörte er ihn. Es mußte jemand in der Nähe schnarchen. Denn Schnarchlaute waren es, die sein Ohr getroffen.

Er erhob sich und erblickte unfern in einer schmalen Mulde, etwas vom Gestrüpp verborgen, einen älteren Mann, dessen Armseligkeit sich einem auf den ersten Blick offenbarte.

Heino Staufen sah, der Weltentrückte war ein ganz gewöhnlicher Vagabund. Die Mütze war ihm vom Kopf geglitten, über dem langsträhniges graues Haar lag, das vom Schweiße förmlich angeklebt war.

Seine ausgefransten Hosen ließen elend abgelaufene Stiefel sehen und auf das von vielen Falten durchzogene Gesicht hatte die Not ihren unverkennbaren Stempel gedrückt.

Ein erbarmungswürdiges und verwittertes Gesicht war es, mußte der Beobachter unwillkürlich denken.

Ob dieser Mensch schon lange hier schlief? Ob er vielleicht jemand gesehen hatte, der das Geld aus dem Umschlag genommen haben konnte?

Er schauderte zusammen, denn er entdeckte über dem linken Arm des Schlafenden einen Strick.

Ein Selbstmörder war es also, der da vor ihm lag, dem das Leben so zugesetzt, daß er es nicht mehr ertragen konnte. Daß er ein Ende damit machen wollte.

Vielleicht war er vor Müdigkeit und Hunger eingeschlafen, als er sich zu seiner letzten Arbeit auf Erden rüstete.

Der Strick, den er noch mit zwei Fingern der Rechten festhielt, als fürchtete er, es könne jemand die Absicht haben, ihn darum zu berauben, offenbarte deutlich, was der Schlafende vorgehabt. Was er auch wohl noch vorhatte, wenn er erwachte.

Sollte er den Menschen wecken, ihn befragen, ob er irgendeine Person im Walde getroffen? Um auf diese Weise vielleicht die Spur des Diebes zu entdecken?

Unsinn, er mußte den armen Teufel in Ruhe lassen. Der brauchte seinen Schlaf und der wußte ihm auch bestimmt keinen Wink zu geben.

Er befand sich hier in einem ganz entfernten Teil des Waldes, weitab von der Stelle, wo er den Umschlag verloren.

Und plötzlich zeigte sich ihm eine Hoffnung.

Das Geld war vielleicht gar nicht unterschlagen worden!

Der Finder des Umschlags mochte ihn, weil er keine Anschrift trug, nur aus dem Grunde geöffnet haben, um sich zu überzeugen, was sich darin befand. Und das Geld mochte er längst in der Stadt auf der Polizei abgegeben haben, während er sich hier im Walde herumtrieb und sein armes Hirn bis zur Weißglut erhitzte.

Von dem neuen Gedanken ganz in Fesseln geschlagen, eilte er davon, ohne noch einen einzigen Blick an den Schläfer zu verschwenden.

Er durchraste die Straßen der Stadt, als wäre ihm der Leibhaftige auf den Fersen, und betrat das Hauptbureau der Polizei in erhitztem und atemlosem Zustand.

Ein Schutzmann fragte nach seinem Begehr und hörte ihn etwas ungeduldig an, weil er weitschweifend wurde, weil er sich, ohne daß eigentlich Grund dazu vorhanden, unwillkürlich zu entschuldigen versuchte.

Der Schutzmann unterbrach ihn.

„Mir ist nichts davon bekannt, daß jemand bei uns eine Summe von zwanzigtausend Mark abgegeben hat, aber ich werde mich erkundigen.“

Er stand auf und gleich darauf wurde Heino Staufen in das Zimmer eines sehr energisch blickenden Kommissars gerufen.

Der ließ sich ebenfalls seine Geschichte erzählen und stellte dann allerlei Fragen, die nach Heino Staufens Ansicht gar nicht zur Sache gehörten.

Und schließlich, von den vielen an ihn gerichteten Fragen wie zermartert, war er so klug wie vorher.

Er erklärte erregt: „Ich werde jetzt ins Kontor gehen und mit meinem Chef sprechen.“

Der Kommissar machte eine schroff abwehrende Handbewegung.

„Herr Mosbach wird von mir sofort benachrichtigt werden, Sie aber müssen vorläufig hierbleiben!“

„Weshalb?“ fragte Heino Staufen, von einer jähen bösen Ahnung befallen.

„Weil Ihre Erzählung ein wenig unglaubwürdig klingt“, war die kühle Antwort. „Denn welcher Angestellte, wenn er eine solche Summe bei einer seinem Chef befreundeten Firma abgeben soll, läuft damit in der Zeit, in der die Angestellten sonst zu Mittag essen, draußen im Walde herum! Ich möchte vor allem erst hören, wie sich Herr Mosbach über das Geschehene äußert. Aus dem aufgerissenen Umschlag ist nicht viel zu entnehmen. Den Umschlag kann jeder aufgerissen haben, auch Sie selbst.“

Da schrie Heino Staufen laut auf: „Herr, hüten Sie Ihre Zunge, Sie dürfen mich nicht beleidigen!“

Der Kommissar zuckte die Achseln.

„Besinnen Sie sich, bitte, wo Sie sich befinden. Ich habe nur Tatsachen festgestellt.“

Heino Staufen atmete schwer, ihm war es, als müsse er ersticken und wie zerschlagen sank er auf einen Stuhl nieder.

Den Kommissar rührte die Haltung des ihm verdächtig Scheinenden gar nicht. Er hatte in seiner Praxis schon viel mit Simulanten zu tun gehabt. Sie verstanden es oft, sich so zu verstellen, daß man leicht darauf hineinfallen konnte, wenn man sich nicht mit der Brille des Mißtrauens bewaffnete.

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