Читать книгу Modekönigin - Anny von Panhuys - Страница 4

I.

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Elisabeth Tann blickte sich in dem einfachen Zimmer um, in das der Glanz der Morgensonne drang, und ein heimlicher Seufzer hob ihre junge Brust.

Im Armstuhl am Fenster, müde und zusammengesunken, saß ihre Mutter mit fieberhaft leuchtenden Augen und fuhr in der Erzählung ihres Traumes fort: „Und wie ich nun gerade denke, wer kann denn nur geklopft haben, springt die Tür wie von selbst auf und ein ganz feiner Herr steht auf der Schwelle und lacht mich an: Aber Martheken, kennst du mich denn nicht mehr? Da habe ich laut aufgeschrien vor Freude und Überraschung, weil es der Vater war. Denke nur, Liesel, dein Vater war es. Ich aber staunte ihn an und mir war ganz schwindlig vor lauter Glück.“

Das schmale, verhärmte Frauengesicht wandte sich voll der Tochter zu.

„Was meinst du, Liesel, wie der Vater aussah? Wie ein leibhaftiger Graf oder so ein Herr, und an der Hand trug er einen Ring mit einem Brillanten, davon war der ganze Vorplatz unserer Wohnung hell. Er holte eine Brieftasche hervor und sagte: Nun habe ich es doch noch geschafft draußen in der Welt, Martheken, nun bin ich ein reicher Mann und kann dir helfen, du armes Weib.“

Bei den letzten Worten begann sie laut zu schluchzen.

Elisabeth strich sich mit hilfloser Bewegung das leicht gelockte Haar aus der geraden weißen Stirn und erhob sich. Mit zögerndem Schritt trat sie zu der weinenden Frau.

„Mutterchen, quäle dich doch nicht gar zu sehr selbst. Ich bin erwachsen und verdiene schon ganz leidlich, die schlimmste Not ist doch für uns vorbei. Aber es wäre für deine Gesundheit besser, wenn du nicht mehr soviel an den Vater denken würdest.“

Ihre Rechte fuhr leicht und liebkosend über den Scheitel der Mutter. Sie tröstete: „Wir sind ja arm, aber vom Ersten ab bekomme ich von Frau Vollhard Zulage. Ich hoffe, in wenigen Jahren werden wir sehr gut und bequem leben können. Ich mache mich dann selbständig. Und wenn ich Heino heirate, verdiene ich mit dazu und du lebst bei uns, denkst gar nicht mehr an den Vater, der uns in Not und Sorge hat sitzen lassen, als er sich nicht mehr zu helfen gewußt.“

„Sprich nicht so vom Vater“, bat Martha Tann, „du tust mir damit weh. Er war ein gescheiter Kopf, nur zu sehr Draufgänger in seinen Unternehmungen. Überlege einmal, Kind, wie tüchtig er war. Als einfacher Maurer hat er angefangen, in ein paar Jahren saßen wir in unserem eigenen Hause. Als Bauunternehmer glückte ihm viel, bis er sich dann doch verrechnete. Er wollte eben zu gut für Frau und Kind sorgen.“

Elisabeths Augen blitzten empört.

„Er hätte wenigstens alles, was er durcheinander gebracht, möglichst zu ordnen versuchen müssen, statt dessen steckte er sich das noch vorhandene Geld ein und verschwand bei Nacht und Nebel. Die Gläubiger nahmen dir Haus und Möbel und es reichte gerade, um Vaters Verpflichtungen zu genügen. Du gingst in die Häuser fremder Leute und bessertest Wäsche aus, ernährtest uns davon. Zwei Stübchen, eine kleine Küche waren fortan unser Reich und sind es noch. Aber du träumst darin von dem Schloß, das uns Vater erbauen wird, wenn er zurückkehrt.“

Sie seufzte tief.

„Liebes, liebes Muttchen, ich leide sehr darunter, daß du dich nicht mit der Vergangenheit abfinden kannst. Du siehst und hörst nichts von allem, was um dich herum geschieht, du wartest nur auf den Vater. Wenn es zu ungewöhnlicher Stunde, wo du niemand erwartest, an die Korridortür klopft oder klingelt, schreckst du zusammen und meinst, der Vater müsse draußen stehen. Und den Briefträger fragst du schon seit zehn Jahren vergebens, ob er einen Brief für dich hätte. Ich bitte dich, Mutter, füge dich doch endlich in das Unabänderliche! Es tut mir so weh, mitansehen zu müssen, wie du dich härmst.“

„Ich habe den Vater so lieb gehabt“, schluchzte die arme Frau, „und ich kann es einfach nicht fassen, daß ich ihn niemals wiedersehen soll. Du weißt ja nicht, Kind, was es bedeutet, wenn man einen Mann so über jeden Begriff lieb hat. Du weißt nicht, wie dich das schüttelt, wie das in dir brennt, wenn der geliebte Mann plötzlich aus deinem Leben verschwindet. Das geht in deinen Kopf nicht hinein. Und das Herz will erst recht nichts davon wissen. Und dann steigen die Gedanken auf: Wo ist er, wie lebt er, warum bleibt er so lange fort? Das Herz antwortet: Er schafft draußen für Frau und Kind, er ist zu stolz, als armer Schlucker heimzukehren! Ich denke mir, er hat anfangs draußen kein Glück gehabt, aber schließlich wird er es zwingen und dann kehrt er heim. Ich warte seit zehn Jahren auf ihn, ja, aber die Zeit ist mir noch nicht zu lang dabei geworden. Eigentlich scheinen mir die zehn Jahre nur wie ein einziger langer Tag und die Träume sind die Erlebnisse darin.“

Sie schlug die Hände vor das Gesicht und Elisabeth tröstete sie mit immer zärtlicheren Worten.

Das Leid der Mutter war auch das ihre und sie hätte wer weiß was für ein Opfer gebracht, wenn sie der armen vergrämten Frau hätte Vergessen geben können.

Sie selbst empfand keine Sehnsucht nach dem Vater.

Neun Jahre war sie alt gewesen, als er plötzlich verschwand, als die Mutter mit ihr das bequeme Haus mit dem schönen Garten verlassen mußte.

Sie selbst glaubte nicht mehr an eine Rückkehr des Vaters. Zehn Jahre waren eine lange Zeitspanne.

Wahrscheinlich weilte er längst nicht mehr unter den Lebenden.

Endlich, als das Weinen nicht nachlassen wollte, sagte Elisabeth, müde und erschöpft von den vergeblichen Trostversuchen: „Ich glaube, ich habe vorhin unrecht gehabt, Muttchen, ich meine jetzt, dein Traum hat recht. Paß auf, so wird es werden: Eines Tages ist der Vater ganz plötzlich da als reicher Mann und er bleibt dann bei uns.“

Es half ja doch nichts, der Mutter Vernunft zu predigen, mochte sie ihre Illusionen behalten.

Martha Tann ward auch wirklich ruhiger, und als sie die Hände von dem verweinten Gesicht nahm, traf ein dankbarer Blick die Tochter.

„Ich weiß, ich quäle dich oft, zu oft mit meinem Kummer, Liesel. Aber das wird ja alles ganz anders, wenn Vater wieder bei uns ist. Ich fühle es, bald wird er kommen.“

Die alte Schwarzwälderuhr schlug acht.

Elisabeth trat vor den Spiegel und drückte den kleinen bereitliegenden schwarzen Strohhut auf das weiche Haar, das sich nun wie versponnenes helles Gold unter dem kappenartigen Hütchen hervordrängte.

„Ich muß gehen, Mutter, Heino wird schon auf mich warten.“ Sie küßte die Mutter und eilte dann überhastig die vier Treppen des Mietshauses hinunter.

Es war heute morgen etwas später geworden als sonst. Um ein halb neun mußte sie im Schneideratelier sein, in dem sie gelernt hatte und nun seit einem Jahre zu den Gehilfinnen gehörte.

An der Ecke wartete Heino Staufen.

Er war zweiter Buchhalter in der Getreidehandlung von Mosbach, und morgens traf er sich mit Elisabeth und sie gingen ein Stück des Wegs gemeinsam.

Heute kam er gerade von der Bank, wo er zwanzigtausend Mark für seine Firma geholt hatte.

Sie hatten sich lieb und es stand ihrer Ehe kein Hindernis entgegen. Nur wünschte Elisabeth, erst etwas mehr zu verdienen, und Heino wünschte sich dasselbe.

Heino winkte Elisabeth entgegen.

„Hast wohl heute ein bißchen die Zeit verschlafen, Kleine?“

Elisabeth reichte dem hübschen schlanken Manne, dessen blaue Augen ihr mit soviel Liebe entgegenblickten, die Hand.

„Nein, verschlafen habe ich nicht. Aber Mutter hat wieder einmal vom Vater geträumt, nun wartet sie sehnlicher denn je auf seine Rückkehr. Ich mußte sie lange trösten, die Ärmste. Sie tut mir zu bitter leid.“ Sie schaute den neben ihr Gehenden nachdenklich an. „Mutter hat den Vater ganz unbeschreiblich lieb gehabt, sie kann sich nicht darein fügen, ihn als Verschollenen oder Toten zu betrachten.“

Heino meinte: „Möglicherweise trifft ihr Gefühl aber doch das Richtige und er kommt eines Tages wieder.“

Elisabeth zuckte die Achseln.

„Ich glaube es nicht, Heino. Und wenn es wirklich geschähe, wer weiß, ob es für die Mutter gut wäre. Wer weiß, wie er aussieht, was er inzwischen durchgemacht hat.“

Er schwieg und lächelte nach einem Weilchen: „Herr Mosbach hat mir ab Oktober eine monatliche Gehaltserhöhung von fünfzig Mark zugesagt. Ich traf dich gestern abend leider nicht mehr, um es dir zu erzählen.“ Er rückte seinen Hut etwas unternehmend zur Seite. „Liesel, Herzensmädchen, dann wird aber bald geheiratet.“

Seine Züge überschattete tiefer Ernst.

„Im Waisenhause wurde ich großgezogen, danach kam ich zu einer alten Verwandten ins Haus, die mich als höchst überflüssigen Fresser behandelte, und dann kamen die möblierten Zimmer an die Reihe. Das ist meine Vergangenheit. Ach, du kannst es dir ja nicht vorstellen, wie unbändig ich mich freue auf das Zuhause, in dem du schaltest und waltest, das deine Liebe mir zum Paradiese machen soll.“

Über seinem ein wenig herben Gesicht lag jetzt ein solcher Glanz von Zärtlichkeit, daß es Elisabeth wie eine Liebkosung empfand.

Sie gingen durch eine stille Straße der nicht allzu großen Stadt. Die Straße bedeutete einen Umweg für beide, aber dafür durften sie hier auch sprechen, wie sie wollten, kein neugieriger Blick störte ihr Liebesgeplauder.

Elisabeth hatte aber auch eine Überraschung für ihren Heino. Vor einigen Tagen war eine Frau Weilert bei ihrer Chefin zu Besuch gewesen. Die beiden Damen waren gute Bekannte. Frau Weilert nun hatte in Berlin einen Modesalon, der zu den bekanntesten der Stadt zählte. Sie war von Elisabeths Figur und Geschmack entzückt und hatte ihr den Vorschlag gemacht, doch zu ihr nach Berlin zu kommen. Dort hätte sie ganz andere Möglichkeiten – es bestände sogar die Aussicht Starmannequin und später Modekönigin zu werden.

Elisabeth kannte Heinos aufbrausende Art. So versuchte sie mit vorsichtigen Worten ihm diese Möglichkeiten zu schildern. Heino unterbrach sie sofort erregt.

„Wie stellst du dir das vor?! Du, meine Braut, als öffentliche Modepuppe, den Blicken aller Welt preisgegeben! Ha, das wäre ein tolles Stück! Ich ...“

„Heino, beruhige dich bitte! Du siehst alles mit falschen Augen. Du glaubst, daß solche Mädchen verworfen sind und ...“

„Versuche dich nicht zu entschuldigen!“ schrie er und geriet immer mehr in Zorn, denn er spürte, daß sie innerlich bereits entschlossen war, nach Berlin zu gehen. „Ich weiß, was du willst! Das freie ungebundene Leben reizt dich, und mich, mich willst du in Kürze zu Seite schieben ... Es ist eine Schande ...“

Heino Staufen hatte sich so in Hitze geredet und war so laut geworden, daß Vorübergehende bereits aufmerksam wurden. Elisabeth stiegen bei diesen ungerechten Vorwürfen die Tränen in die Augen. Kummer und Schmerz erfüllte sie: War ein solcher Streit nötig, zumal sie sich doch beide so liebten?!

„Es ist eine Schande für dich, Heino, daß du mich so anschreist“, warf sie ihm mit tränenerstickter Stimme vor.

Er aber war außer sich, weil Elisabeth den Vorschlag der Berliner Modistin ernst nahm und darauf eingehen wollte. Sein Zorn flammte heiß empor.

„Du bist das unverständigste Geschöpf, das ich kenne“, schrie er sie an, „komm du nur erst wieder zur Vernunft, dann melde dich bei mir.“

„Schnell schoß er davon, als gelte es, ein sehr wichtiges Ziel schnellstens zu erreichen.

Elisabeth wandte ihm den Rücken und eilte heim mit Augen, die verdunkelt waren von schweren Tränen.

Modekönigin

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