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VIII.

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Heino Staufen eilte sich, so sehr er nur konnte, er fürchtete, die kleine Luxusjacht würde noch davonfahren, ehe er seinen Fuß darauf gesetzt.

Plötzliche Angst hatte ihn überfallen, die gestrige Abmachung wäre vielleicht gar nicht ernst gemeint gewesen, sondern nur ein etwas weit getriebener Scherz.

Er hatte sich schon die halbe Nacht hindurch immer wieder klargemacht, fremde Menschen besaßen doch kein Recht, sich deratige Scherze mit ihm zu erlauben.

Aber der törichte Gedanke fiel ihn immer wieder an.

Er atmete befreit auf. Die Jacht, die den Namen „Lobo“ (Wolf) trug, lag an der ihm genau angegebenen Stelle des Hafens.

Die letzten Lebensmittel waren eben an Bord gebracht worden und die blonde Frau empfing ihn mit strahlendem Lächeln, wie einen guten, langjährigen Bekannten.

Es fand noch eine flüchtige Zollkontrolle statt, wobei man sich nicht besonders um ihn kümmerte.

Er hatte schon gestern mittag ein paar Zeilen im Hotel abgegeben mit der Nachtricht, er habe sein Visum erhalten.

Auch Ricardo Espada begrüßte ihn äußerst zuvorkommend, aber Heino fand, die verschleierten dunklen Augen musterten ihn wieder so eigen, wie schon gestern einmal. So, als wäre er eine Ware, die er auf ihren Wert oder Unwert prüfen müßte.

Aber er verweilte nicht lange bei dem Gedanken, es drangen zu viele neue Eindrücke auf ihn ein.

Die Jacht hatte eine Besatzung von fünfzehn Mann. Sie bestand aus dem Kapitän, zwei Offizieren, dem Ingenieur, seinem Assistenten, dem Koch, zwei Stewards, dem Maschinenpersonal und den Matrosen.

Es war ein buntes Völkergemisch. Spanier, Portugiesen, Argentinier, Kubaner, Inder, Neger und ein Chinese.

Der Chinese war Steward und er fiel Heino Staufen sofort auf, weil es ihm schien, als ob ihn der kleine schlitzäugige Sohn des himmlischen Reiches mehrmals mit Mitleidsblicken streifte.

Er lachte sich selbst aus, denn seine Beobachtung war sicher falsch. Zu bemitleiden war er doch wirklich nicht! Wie wenigen Menschen blühte wohl das Glück, auf so einer bequemen, eleganten Jacht ins Ausland reisen zu dürfen.

Das erleichterte ihm sogar den Abschied, das verscheuchte sogar das Heimweh, das sich plötzlich meldete, als er daran dachte, nun verließ er die Heimat vielleicht für immer.

Heino erhielt eine hübsche Kabine, die anheimelnd eingerichtet war und er sann, wenn es ihm gelang, in Spanien Stellung zu erhalten, wäre er vorläufig aller Sorgen enthoben.

Im fremden Lande würde er auch leichter fertig werden mit den Erinnerungen an Elisabeth, die ihn noch gar so sehr plagten.

Wenn sich die Jacht erst draußen auf dem Meere befand, wollte er seine Liebe in ein Sargtuch hüllen und sie hinuntergleiten lassen in die Wogen.

Er brachte seine wenigen Sachen gut in der Kabine unter, ließ sich dann in den bequemen Sessel neben dem kleinen Tisch fallen und überlegte, wie zufrieden er doch eigentlich sein durfte.

Um Haaresbreite war er am Gefängnis vorbeigegangen. Er wäre nicht der erste gewesen, der unschuldig ins Gefängnis kam. Die Beweise gegen ihn waren erdrückend gewesen.

Er grübelte, es würde wohl niemand herausbringen, wer sich das Geld angeeignet hatte und er nahm sich fest vor, wenn es ihm gelingen sollte, Geld zu erwerben, wollte er Leonhard Mosbach den Schaden vergüten. Wenn es der Mensch auch nicht wert war, der ihn so gemein vor Gericht beschimpfte.

Er verspürte Bewegung unter seinen Füßen und wollte auf Deck eilen, die Jacht ging in See.

Er faßte nach dem Türknopf, drehte ihn leicht nach links, wie man diese Art von Türen zu öffnen pflegt, doch sie rührte sich nicht.

Er versuchte es noch einmal und dann sank seine Hand nieder. Was bedeutete das nur, weshalb hatte man ihn eingesperrt? Ihn überfiel jähe Beklemmung, er verharrte ratlos.

Die Jacht fuhr schneller und er dachte erregt, es war das Unbegreiflichste in seinem Leben, daß man ihn in die Kabine eingeschlossen.

Er klopfte an die Tür, irgend jemand würde doch wohl draußen vorübergehen, ihn hören.

Er rief sehr laut, aber der Hafenlärm verschluckte den Klang seiner Stimme wie starker Sturm.

Er klopfte immer wieder, immer heftiger, schließlich schlug er mit der Faust gegen die Tür, bis er das Vergebliche seiner Bemühungen erkannte.

Mit schmerzenden Handgelenken und wirrem Kopf ließ er sich wieder in den Sessel fallen, sann nach, was die seltsame Überraschung wohl bedeuten sollte?

Man hatte doch kein Recht, ihn hier einzusperren, wenn er auch nur ein Passagier war, der nichts zahlte.

Aber er hatte sich nicht aufgedrängt, sondern man hatte ihn eingeladen. Also mußte man ihn auch behandeln, wie es sich gehörte.

Was man sich gegen ihn erlaubte, überstieg jedes Maß.

Er sprang wieder auf und rannte durch den schmalen Raum hin und her. Immer hin und her. Wie ein an Freiheit gewöhntes wildes Tier, das man eingefangen. Dann aber stürzte er abermals gegen die Tür, als wollte er sie einrennen und begann von neuem das Holz zu bearbeiten, bis ihm die Hände weh taten.

Draußen blieb alles stumm wie vorhin.

Er sann dem Rätsel nach: Was bedeutete es nur, dieses Einschließen?

Er kühlte die schmerzenden Hände unter dem Kaltwasserhahn und blickte dabei unwillkürlich in den blitzblanken Spiegel über dem Waschtisch.

Ein verzerrtes grauweißes Gesicht schaute ihm aus dem Glas entgegen.

Er seufzte tief. Die Reise begann ja gut! Aber er wollte dem menschenfreundlichen Ehepaar erklären, daß er nicht daran dächte, sich unterwegs in die Kabine einsperren zu lassen wie ein kleines Kind, von dem man fürchtet, es könne ins Wasser fallen oder dumme Streiche anstellen.

Wenn es nur erst soweit wäre, daß er seine Meinung äußern dürfte. Wenn man ihm nur erst öffnen würde.

Durch das Bullauge sah er, daß die Jacht schon beinahe aus dem Hafengebiet heraus war.

Er überlegte, ob es Sinn haben würde, das runde Fenster einzuschlagen, auf diese Weise an seine Gegenwart zu erinnern?

Schon hatte er sich dazu entschlossen, aber im letzten Augenblick scheute er doch davor zurück. Es widerstand ihm, hier als völlig Fremder etwas zu zerstören. Und vielleicht erreichte er auch damit seinen Zweck nicht, das Glas war von ganz besonderer Stärke.

Er verharrte ein Weilchen mit zusammengezogenen Brauen und schnellem Atem. Was sollte er tun, wie sollte er sich helfen?

Er würde natürlich auch verlangen, daß die Jacht sobald wie möglich wieder anlegte, damit er an Land gehen konnte.

Schade, er hatte sich die Seereise so verlockend vorgestellt, und die Ersparnis der Reiseunkosten fiel für ihn auch noch ganz besonders in die Waagschale.

Er ließ sich wieder in den Sessel sinken und zermarterte seinen Kopf, warum man ihn eingeschlossen hatte.

Es klopfte.

Er stand auf und schrie wütend: „Herein!“

Jetzt wurde an der Tür gerüttelt, dann hörte er die Stimme des Spaniers: „Ich kann leider nicht eintreten, Sie haben anscheinend zugeriegelt.“

Heino Staufen vermochte seinen Ärger nicht zu verbergen.

„Ich kann nicht öffnen, man hat mich eingeschlossen, seit endloser Zeit donnere ich schon gegen die Tür.“

Man vernahm draußen ein lautes „Caramba!“, dann schalt der Spanier: „Wer hat sich denn nur diese Dummheit geleistet?“

Nach einem Weilchen klang es fast fröhlich zu Heino Staufen herein: „Der Schlüssel hängt an seinem gewöhnlichen Platz neben der Tür!“

Fast gleichzeitig ward ein Schlüssel ins Schloß geschoben und im nächsten Augenblick stand Ricardo Espada in der Kabine.

„Aber lieber, verehrter Herr Staufen, wie konnte ich ahnen, daß Sie hier einfach festgehalten wurden! Meine Frau und ich wunderten uns, weil Sie sich gar nicht oben sehen ließen, weil Sie scheinbar gar kein Interesse für die Fahrt durch den Hafen bezeigten. Doch wir wollten Sie nicht stören, weil wir annahmen, Sie kleideten sich vielleicht um oder wären müde. Irgend jemand von der Bemannung hat wahrscheinlich nicht gewußt, daß die Kabine jetzt bewohnt ist und hat ordnungsgemäß den Schlüssel abgezogen. Ich bitte natürlich tausendmal um Verzeihung und bedaure den kleinen Irrtum außerordentlich.“

Heino Staufen dachte noch ein wenig verärgert, daß ihm der kleine Irrtum ziemlich große Aufregung verschafft hatte und dann mußte er doch lachen.

Wie harmlos und einfach war die Erklärung für etwas, dem er überwichtige Bedeutung beigelegt.

Er begriff jetzt nicht mehr, wie er sich gleich so sehr darüber hatte aufregen können.

Ricardo Espada faßte ihn freundschaftlich unter.

„Wollen frühstücken, Verehrtester, dabei unterhalten wir uns dann gemütlich von Ihrem Mißgeschick. Meine Frau wird große Augen machen, wenn sie hört, mit was für Pech Ihr Aufenthalt auf dem Lobo begann.“

Die blonde Frau aber machte keine großen Augen, sondern lachte vergnügt: „Schade, daß wir Ihre Attacke gegen die Tür nicht gehört haben.“

Heino kam sich ganz dumm vor, weil er, anstatt sofort einen Irrtum anzunehmen, erst nach schwerwiegenden Gründen herumgesucht.

Er war jetzt sogar froh, daß niemand vorhin sein Toben gehört.

Es gab ein reichliches Frühstück mit Schinken, Eiern, köstlichen Marmeladen und Tee. Der chinesische Steward servierte alles tadellos. Man saß unter dem Sonnensegel und die Unterhaltung war fröhlich und angeregt.

Das Wetter war herrlich und Heino Staufen verspürte gar keine Lust mehr, in seine Kabine zurückzugehen. Die Zeit verging hier oben so schnell und der reine Odem des Wassers scheuchte so manchen quälenden Gedanken weg.

Längst war man über Kuxhaven hinaus, als das Mittagessen in der Messe eingenommen wurde. Er eilte danach sofort wieder nach oben und sah die sagenumwobene Insel Helgoland aus der Nordsee auftauchen, felsig, poesieumsponnen. Er stand allein an Backbord und sog den kraftvollen Odem des Meeres ein, wie ein Verschmachteter wohl einen langen Trunk tut.

In das Meer wollte er seine Liebe werfen, damit sie untergehen und ihn nicht mehr stören sollte.

Er nahm sich vor, nicht mehr an Elisabeth zu denken und dachte nun erst recht an sie. Ihr entzückender Liebreiz ward so lebendig vor ihm, daß er davor erschauerte.

Herrgott, im Himmel, war das schwer, so ein wunderschönes Lieb vergessen zu wollen! Nein, zu müssen!

Im fremden Lande würde und sollte es ihm bestimmt gelingen. Sie war es ja nicht wert, daß er sich ihretwegen so sehr quälte, daß er ihretwegen so litt.

Ihre Liebe war nichts weiter als eine kleine flügellahme Alltagsliebe gewesen. Die Aussicht darauf, vielleicht alle Konkurrentinnen in dem Wettbewerb um den Titel Modekönigin zu schlagen, hatte ihr mehr gegolten als seine Person.

Er machte eine Bewegung, als werfe er etwas in die wogenden, aufschäumenden Wasser.

Symbolisch warf er seine Liebe in die dunkle geheimnisvolle Tiefe der See.

Aber sie ging nicht unter, sie schwamm auf den Schaumkronen der Wogen.

Seine Lippen zuckten.

So würde die Liebe immer neben der Jacht herschwimmen und ihn hinübergleiten nach Spanien.

Eiseskälte überrann ihn, denn noch eine andere, fast schlimmere Sorge folgte ihm hinüber in das fremde Land. Ein Spuk war es, ein Gaukelspiel seiner Sinne. Der armselige Vagabund, der Mann mit dem Strick aus dem Stadtwalde, folgte ihm.

Auch der Gedanke an ihn verkörperte sich. Auf den Wassern standen die Füße des Armseligen und er reckte sich wichtig zu ihm empor, schrie ihm ins Ohr: „Warum wecktest du mich nicht, warum gabst du mir kein Trostwort, warum hattest du nicht ein paar elende Pfennige übrig für einen Wegemüden, Halbverhungerten?“

Gigantisch wuchs die Gestalt über ihn hinaus, schon schien ihr Kopf mit den vom Schweiß angeklebten grauen Haarsträhnen gegen den Himmel zu stoßen.

Mit riesigen Fäusten drohte er ihm: „Du hättest mir das Leben retten können und hast es nicht getan, du hast schwere Schuld auf dich geladen und bist nun nicht mehr wert wie ein gewöhnlicher Mörder!“

Heino Staufen wehrte sich verzweifelt gegen seine allzu lebhafte Einbildungskraft.

Der Mann mit dem Strick mochte gar nicht daran gedacht haben, zu sterben, und er dreifacher Narr kämpfte wie ein Verzweifelter gegen den grausigen Spuk.

Heino Staufen lachte sich selbst aus.

Er war heute nicht zurechnungsfähig. In ihm arbeitete noch zuviel, das ihn durcheinander brachte.

Vor allem der Bruch mit Elisabeth. Danach die Untersuchungshaft, dann auch der seine Ehre schwer belastende Freispruch.

Und vielleicht litt er auch stark unter dem Abschied von der Heimat.

Es war doch ein bedeutungsvoller Schritt, den er getan. Er ließ die Heimat hinter sich, fuhr einer unsicheren Zukunft im fremden Lande entgegen.

Morgen würde er sich frischer fühlen und mit den Spukgeistern seiner erregten Phantasie leichter fertig werden.

Modekönigin

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