Читать книгу Geschichte der abendländischen Philosophie - Anthony Kenny - Страница 15
Giordano Bruno
ОглавлениеDie schillerndste philosophische Gestalt der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bewegte sich weit außerhalb der Grenzen der Rechtgläubigkeit, sei diese katholisch oder protestantisch. Giordano Bruno (1548–1600) wurde in Neapel geboren und trat dort im Jahre 1565 in den Dominikanerorden ein. Bereits 1576 verdächtigte man ihn als Ketzer und schloss ihn aus dem Orden aus. Er floh gen Norden nach Genua, doch war er bei den dortigen Calvinisten ebenso unbeliebt. In Frankreich war er hingegen erfolgreicher: Er studierte und lehrte in Toulouse und Paris und genoss eine Zeitlang die Gunst des französischen Königs Heinrich III.
Brunos erstes Werk, Über die Schatten der Ideen, verband ein hoch entwickeltes neuplatonisches System der Metaphysik mit praktischen Ratschlägen über die Kunst der Erinnerung. Es gibt eine Hierarchie der Ideen, auf deren unterster Stufe die Ideen des Menschen und auf deren oberster Stufe die göttlichen Ideen stehen, die im Geist Gottes eine Einheit bilden. An sich können diese Ideen von uns nicht erfasst werden. Sie sind jedoch in der Natur ausgedrückt, die die allgemeine Wirkung Gottes ist. Bilder der himmlischen Welt stehen Gott näher als Bilder der sublunaren Welt. Wenn wir daher unser Wissen auf solche Weise strukturieren wollen, dass wir es systematisch abrufen können, sollten wir unsere Gedanken innerhalb der Muster der Sternzeichen anordnen.
Im Jahre 1583 ging Bruno nach England und besuchte Oxford, wo er einige Vorlesungen hielt. Sein dortiger Aufenthalt war kein Erfolg. Er war nicht der letzte Philosoph des europäischen Kontinents, der die Universität besuchte und feststellte, dass man ihn als Scharlatan behandelte. Seinerseits meinte er, seine philosophischen Gastgeber seien mehr an Wörtern als an Ideen interessiert. Seine Verachtung der Oxforder Pedanterie sowie seine Ideen zu allgemeineren philosophischen Fragen brachte er 1584 in einer Reihe von Dialogen zum Ausdruck, deren erster den Titel Das Aschermittwochsmahl (La cena de le ceneri) hatte. Er scheint diese Dialoge geschrieben zu haben, während er in London als Doppelagent sowohl für den französischen als auch für den englischen Geheimdienst tätig war.
Brunos Dialoge zeichnen sich durch einen hohen Lesewiderstand aus. Sie sind von Wesen bevölkert, die einen großartigen, aber mysteriösen Status haben, worin sie den Göttern Wagners und den Geschöpfen von Tolkiens Fantasie ähnlich sind. Sie verfügen über Kräfte, deren Grenzen undeutlich sind, und über kaum verständliche Motive. Obwohl sie die Namen klassischer Gottheiten tragen, weisen sie mit den Göttern Homers und Vergils nur eine bedingte Ähnlichkeit auf. So entspricht zum Beispiel der römische Gott Merkur nicht nur dem griechischen Gott Hermes, sondern auch dem ägyptischen Gott Thot: Häufig gibt er die Lehren des damals in Mode befindlichen hermetischen Kultes wieder. Dieser gründete sich auf kurz zuvor entdeckte Dokumente, von denen man annahm, sie stammten aus dem Ägypten der Zeit von Moses. Die hermetische Philosophie war Brunos Ansicht nach dem Christentum überlegen und dazu bestimmt, es abzulösen.
Nach dem in diesen Dialogen dargelegten System sind die von uns beobachteten Phänomene die Wirkungen einer Weltseele, die die Natur belebt und sie zu einem einzigen Organismus macht. Die Welt der Natur ist unendlich. Sie hat keine Grenze und keine Außenseite. Doch die Unendlichkeit der Welt ist nicht identisch mit der Unendlichkeit Gottes, denn die Welt hat Teile, die selbst nicht unendlich sind, während Gott sich vollständig sowohl in der gesamten Welt als auch in jedem ihrer Teile befindet. Dieser Unterschied reicht vielleicht schon aus, um die Position Brunos vom Pantheismus zu unterscheiden, doch bleibt die genaue Beziehung zwischen Gott und der Welt im Dunkeln. Sie wird durch Brunos erhabene Formulierung, dass Gott die die Natur schaffende Natur (natura naturans) sei, während das Universum die von der Natur geschaffene Natur (natura naturata) sei, nicht wirklich erklärt.
Vor allem zwei Aspekte von Brunos System haben das Interesse von Historikern und Wissenschaftlern auf sich gezogen: seine Übernahme des kopernikanischen Weltbildes und seine Behauptung, es gebe mehrere Universen. Bruno nahm an, dass die Erde die Sonne und nicht die Sonne die Erde umkreist. Er entwickelte die kopernikanischen Ideen auf mutige und dramatische Weise weiter. Die Erde war nicht der Mittelpunkt des Universums, doch ebenso wenig stand die Sonne in seinem Zentrum. Unsere Sonne sei lediglich ein Stern unter anderen, und im unendlichen Raum gebe es viele Sonnensysteme. Keine Sonne und kein Stern könnten als Mittelpunkt des Universums bezeichnet werden, da alle Positionen relativ seien.
Unsere Erde und unser Sonnensystem haben keine privilegierte Stellung. Nach allem, was wir wissen, gibt es möglicherweise intelligentes Leben zu anderen Zeiten und in anderen Gegenden des Universums. Bestimmte Sonnensysteme entstehen und vergehen. Es sind lediglich vorübergehende Phasen im Leben des einzigen unendlichen Organismus, dessen Seele die Weltseele ist. Innerhalb des Universums ist jedes intelligente Wesen ein bewusstes, unsterbliches Atom, welches in sich die gesamte Schöpfung spiegelt. Während Bruno in seiner Verschmelzung von Gott und Natur Spinoza antizipierte, hat er mit seiner Theorie der vernunftbegabten Atome eine Idee von Leibniz vorweggenommen.
Brunos Verteidigung der hermetischen Philosophie und seine Theorie der Vielzahl von Universen forderte die orthodoxe Lehre heraus, dass Gott in Jesus auf einzigartige Weise inkarniert war und das Christentum die definitive göttliche Offenbarung ist. Dennoch akzeptierte man ihn, nachdem er England verlassen hatte, in Wittenberg eine Zeitlang als Lutheraner, und im Jahre 1591 hielt er in Zürich Vorlesungen. Unklugerweise nahm er eine Einladung des Dogen von Venedig an und im Jahre 1592 fand er sich im Gefängnis der dortigen Inquisition wieder. Ein Jahr später wurde er der römischen Inquisition übergeben, und nach einem Prozess, der fast sieben Jahre lang dauerte, wurde er im Jahre 1600 auf dem Campo dei Fiori, an einer Stelle, wo heute eine Statue von ihm steht, als Ketzer verbrannt.
Zweifellos widersprachen die in Brunos Schriften formulierten Ideen den orthodoxen Auffassungen. Bemerkenswert an seinem Prozess ist, dass er seine Ideen so standhaft verteidigte und dass seine Inquisitoren so lange brauchten, um ihn der Ketzerei für schuldig zu befinden. Doch obwohl Theorien mehrfacher Universen heute wieder populär sind, wäre es falsch, Bruno als Märtyrer der Wissenschaft anzusehen. Seine Spekulationen basierten nicht auf Beobachtung und Experiment, sondern auf okkulten Traditionen und apriorischen Argumenten. Er wurde nicht zum Tode verurteilt, weil er das kopernikanische System für wahr hielt, sondern weil er Zauberei praktizierte und die Göttlichkeit Christi leugnete.